Kolumne: Sitte & Anstand

Mein Weg in die Spiritualität, Teil 9: Frohe, traurige Tage

Weihnachtszeit. Alles fallen lassen. Entspannen. Chillaxen. Die Weltseele durch das eigene irdische Gehäuse ziehen lassen. Hach!

In anderen Zeiten als diesen gesegneten Jahresendwochen würde man sich ja ein richtiges Thema raussuchen, es gewieft durchdenken und pointiertestmöglich – aber so, dass die Leute den Witz doch auch noch prozessiert kriegen – niederschreiben, der Vernunft und ihrer Freundin, der Ironie, zum Ruhme.

Nun aber, ach. Diese köstliche Entspannung. Da wollen wir mal sehen, was wir gelernt haben. Ist all die Pointiertheit, all die Rationalität nicht ein furchtbarer Zwang? Reproduzieren sie nicht die Bedrängtheit einer durchökonomisierten Welt?

Wir wollen heute mal einen ganz anderen Text schreiben. Der so vor sich hin dödelt. Ohne rechtes Ziel. Mit vielen Absätzen drin.

Einfach nur, weil Absätze echt Spaß machen. Zack, du haust auf Return, und schon kommt das Glücksgefühl, das du mit Tastaturgeklacker gesät hast, zu dir zurück. Wieder was geschafft. Sinn gemacht. Den Unterschied gemacht. Willst du den schönen, schlüssigen Text denn wirklich mit Themen oder Fakten erdrücken?

Der Weltgeist wallt in mir, und er sagt: Hm. Sollte hier nicht die Reise in die Spiritualität weitergehen? Schreckst du, Autörchen, Weltgeistgefäß, etwa hier vor etwas zurück? Hast du dich wieder auf Esoterikerseiten rumgetrieben und weißt gar nicht mehr, ob du lachen oder nicht doch furchtbares Mitleid haben sollst mit dem, was deinem Tagesgehirn als Regression und traurige Weltflucht erscheint?

Herrje, man müsste das mal durchanalysieren: wie das esoterische Denken letztlich die Welt negiert, mit all ihren Widersprüchlichkeiten und Hürden und mit den Aufgaben und Belohnungen, die sie für uns bereithält. Wie das Wichtige ausgeblendet und das Unbedeutende zu riesiger Größe aufgepustet wird. Jeder Cent auf dem Gehweg: ein Zeichen des Universums. Für dich. Da das Universum sich eben durch das Hinterlegen von abgegrabbelten Münzen zu äußern beliebt. Wie traurig sind diese Ideen, von wie viel Einsamkeit berichten sie!

Da denken wir mal nicht drüber nach. Wir denken nicht an unsere eine verstorbene Freundin, die sich komische Steine in ihr Trinkwasser legte, um den Krebs zu besiegen. Denken nicht an unsere andere verstorbene Freundin, die nach der ersten Chemo keinen Bock mehr hatte auf den Scheiß und zum Heiler im Nachbardorf ging, und der Heiler sagte zu ihr: Die Ärzte lügen alle. Sie solle aufhören, Kaffee zu trinken, dann werde alles wieder gut. Auch denken wir nicht an jene verlorene Freundin, die zunächst versicherte, das Universum halte für sie einen Parkplatz bereit, wenn sie nur daran glaube. Die dann anfing, Fliegen per Gedankenkraft aus dem Zimmer zu manövrieren. Schließlich von ihrer Telefon-Schamanin erfuhr, welche bedeutenden welthistorischen Persönlichkeiten sie in einem früheren Leben war. Und die parallel zu ihrem Esoterikboost immer mehr Verbindungen in die echte Welt kappte.

Nein, nein, nein, das soll nicht sein. Das soll ja lustig hier sein.

Andererseits, was soll's. Traurigkeit wird viel zu selten zugelassen, finden wir. Es wird zu wenig darüber geredet. Und dann gehen die Leute und suchen sich irgendeine Fantasiewelt, in der sie zu lustwandeln und rumzuschweben beginnen, statt echten Trost.

Denn Trost, den gibt es. Eine Umarmung. Schoki. Eine Kerze. Einen netten Hund. Freunde und Liebste. Krähen und Wolken. Gespräche. Das alles reinzulassen, statt von hier zu verduften in eine Märchenwelt aus Räucherkerzenduft – ist gar nicht so schwer. Frohe Tage, liebe Lesende!

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