Am 30. April 1945 endete in München die Diktatur der Nationalsozialisten mit dem Einmarsch der "Rainbow Divison" der US-Army. Bereits am 29. April 1945 war das KZ Dachau befreit worden, am 8. Mai 1945 musste der Nazi-General Alfred Jodl die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnen. Der verbrecherische Krieg war somit beendet. Zur Erinnerung und Mahnung werden auch in diesem Jahr wieder weiße Fahnen in München wehen.
Für München, die "Hauptstadt der Bewegung" des Nationalsozialismus, begann nach der Kapitulation ein lange währender Prozess der Auseinandersetzung mit diesem dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte. Er war in den Jahren nach dem Krieg auch angesichts personeller Kontinuitäten sehr zögerlich. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich eine veränderte Erinnerungskultur entwickelt, die in ihrer Notwendigkeit von einem breiten Konsens getragen wird.
Die Befreiung der von den Nazis politisch und rassistisch Verfolgten, der KZ-Häftlinge, der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, der Kriegsdienstverweigerer und Widerstandskämpfer war damit verbunden. Für die NS-Verbrecher, Mitläufer und Sympathisanten war es dagegen Zusammenbruch, Niederlage und das peinliche Ende ihres mörderischen Unterdrückungs- und Gewaltsystems. 65 Millionen Menschen waren gewaltsam zu Tode gekommen. Mit 27 Millionen Getöteten waren die Völker der Sowjetunion am stärksten betroffen. Sechs Millionen europäische Juden wurden im Rahmen des Nazi-Völkermordes umgebracht, über drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, bis zu 500.000 Sinti und Roma sowie etwa 300.000 behinderte und pflegebedürftige Menschen.
Der 30. April 1945 war und bleibt "ein die Zeiten überdauernder Tag der befreienden Niederlage und des rettenden Zusammenbruchs" (Martin Sabrow, Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam). Wir haben den alliierten Siegermächten den Frieden und die Befreiung vom Nazi-System zu verdanken und sollten das – wie in vielen anderen Ländern – im Gedächtnis behalten und feiern.
Mit diesem Tag begann ein mühsamer Prozess der Demokratisierung und der Entwicklung von Freiheitsrechten, der bis heute andauert. Gerade in Krisenzeiten ist die demokratische freiheitliche Struktur einer Gesellschaft besonders wichtig und einer belastenden Bewährungsprobe ausgesetzt. Wir dürfen die Gefahren für die Demokratie nicht verharmlosen, wir dürfen Freiheitsrechte nicht leichtfertig aufs Spiel setzen und müssen sie mit Geschichtsbewusstsein bewahren und weiterentwickeln.
Die braunen demokratiefeindlichen Strömungen sind leider nicht verschwunden. Es gilt, außer der Pandemie, auch braune Viren zu bekämpfen, Infektionswege zu stoppen und Widerstandskräfte zu stärken. Wir sind alle in der Verantwortung, uns gegen Hass und Gewalt zu wehren und für freiheitliche Menschenrechte offen und sichtbar einzustehen.
Leider ist es nicht möglich, diesen Jahrestag mit Präsenzveranstaltungen zu begehen. Umso wichtiger ist es, trotzdem öffentliche Zeichen zu setzen für Freiheit und Frieden sowie gegen Geschichtsverfälschung und braunen Sumpf. Zeichen, die weithin wahrnehmbar sind – auch weit über die Stadt München hinaus.
In einer sehr erfolgreichen Aktion zum 75. Jahrestag 2020 unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dieter Reiter waren in der ganzen Stadt für eine Woche sehr viele weiße Fahnen mit der Aufschrift "Tag der Befreiung" zu sehen. Eine Dokumentation der Orte von öffentlichen als auch von privaten Initiativen ist auf der Website www.tagderbefreiung.online zu finden.
Der Wunsch nach einer Fortsetzung und Verstetigung dieses Zeichens für Freiheit und Demokratie wurde laut und so werden auch in diesem Jahr weiße Fahnen und Tücher wehen – als Zeichen für Frieden und Freiheit, gegen Krieg, Hass und Gewalt.
Zugesagt haben unter anderem das NS-Dokumentationszentrum, das Münchner Stadtmuseum, die Hochschule für Fernsehen und Film, das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst, der Sparkassen Verband Bayern, das Residenztheater und das Museum of Urban and Contemporay Art (MUCA). Aber natürlich sind alle Organisationen sowie Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, sich spontan zu beteiligen und weiße Tücher aus den Fenstern zu hängen. Die Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dieter Reiter und eine Unterstützung durch das Kulturreferat ist angefragt.
Wir erstarren nicht vor Angst, wir ignorieren nicht die Gefahren. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Stimmen, die den 8. Mai zu einem gesetzlichen Feiertag für alle erheben wollen. Dies wäre ein deutliches Zeichen und eine starke Positionierung im Sinne eines friedlichen und solidarischen Zusammenlebens in einer globalisierten Welt, in der Zusammenarbeit auch über nationale Interessen hinaus mehr denn je geboten ist. Wer nicht feiert, hat verloren.
Nichtstun wäre ein falsches Signal. Wir zeigen, dass wir aus der Geschichte lernen, die Würde und Freiheit aller Menschen zu achten. Wir zeigen, dass wir uns für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.
4 Kommentare
Kommentare
Epikur am Permanenter Link
Ein zusaetzlicher Feiertag ist keine gute Idee. Es ist besser, alle Feiertage abzuschaffen und mehr Urlaubstage einzufuehren.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Gemeinsame Gedenk- und Feiertage sind wichtig, in Gemeinden und Ländern, für Staaten, Kontinente und die Welt: weil jeder Mensch in Gemeinschaften lebt.
Marlies Beitz am Permanenter Link
Ebenfalls zu diesem Thema: Kolumne von Viktoria Morasch "Lasst uns diesen Tag feiern" in der taz am 30.4.21
Manfred Gilberg am Permanenter Link
Liebe Redaktion,
ihr Bericht anlässlich des bevorstehenden Tages der Befreiung am 8.Mai 1945 ist ein wichtiger Beitrag aus unserem säkularen Lebensbereich in diesem Land.
Gefehlt haben mir die Fahnenflüchtigen Soldaten, Sozialdemokraten, Kommunisten, Freidenker, Freigeister, Freireligiöse, Gewerkschafter, Humanisten, Atheisten uvam. Also das ganze zu Umschreiben ist sicher nicht leicht, aber vielleicht kann ich einen Vorschlag einbringen: Säkulares Spektrum. Mögen andere Vorschläge kommen.
Stellvertretend möchte nur mal ein Person in Erinnerung bringen: Wilhelm Leuschner.
Er wurde für seinen Einsatz um die Demokratie, die Gewerkschaft, als Widerstandskämpfer und wg. seiner Zugehörigkeit in der Freireligiösen Gemeinde Darmstadt, am 29. September 1944 hingerichtet.
Meine These: Wegen seiner Nichtreligiosität wird er von üblichen Geschichtsschreibern trotz seines enormen Wirkens im Widerstand meist unterschlagen. Und das sollten wir im eigenen Interesse - auch für unsere Geschichte - künftig nicht mehr tun.
Buchtipp:
Axel Ulrich in
Wilhelm Leuschner - Ein Deutscher Widerstandskämpfer
Thrun-Verlag Wiesbaden
ISBN 978-3-9809513-9-5
Geschichtsbericht
Darmstädter Echo vom 22. Januar 2020, Seite 8