Filmrezension

Eine Reise in die gemeinsame Gefühlswelt von Mensch und Affe

Wie ähnlich sind sich Menschen und Menschenaffen in ihrem Fühlen und Denken? Dieser Frage geht Filmemacherin Anja Krug-Metzinger in ihrer Wissenschaftsdokumentation "Menschenaffen – Eine Geschichte von Gefühl und Geist" nach. Tatsächlich scheinen sich beide wesentlich ähnlicher zu sein, als es die Wissenschaft noch vor wenigen Jahren dachte. 

Dass Mensch und Affe biologisch eng verwandt sind, ist seit Darwin ein alter Hut. Dass der Mensch nicht Gottes Ebenbild und die Krone der Schöpfung ist, sondern das vorläufige Ergebnis evolutionärer Prozesse, erlebten viele Menschen im 19. Jahrhundert als Kränkung. Doch über die Generationen arrangierte man sich mit dieser Erkenntnis – wenigstens außerhalb religiös-fundamentalistischer Kreise. Denn trotz des Wissens über die gemeinsame Verwandtschaft in grauer Vorzeit, konnte der Mensch sich doch immerhin noch an die Gewissheit klammern, dass er sich vom Tier weiterhin kategorial unterscheidet. Die Verhaltensforschung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte entzieht dieser Gewissheit jedoch mehr und mehr den faktischen Boden.

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© Anja Krug Metzinger Filmproduktion GmbH

Anja Krug-Metzingers äußerst sehenswerte Wissenschaftsdokumentation "Menschenaffen – Eine Geschichte von Gefühl und Geist" trägt die zentralen Erkenntnisse der jüngeren Verhaltensforschung an Menschenaffen zusammen und weist den Zuschauer überdeutlich auf den Affen hinter seiner eigenen menschlichen Maske hin. In Interviews mit den hochkarätigen Affenforschern Jane Goodall, Frans de Waal und Volker Sommer sowie durch Filmaufnahmen von Verhaltensexperimenten zeigt Krug-Metzinger auf, dass all jene vermeintlich typisch menschlichen Alleinstellungsmerkmale, auf die sich das Selbstbewusstsein des Menschen gegenüber dem Tier jahrzehntelang gründete, bereits bei Affen zu finden sind. Unterschiedliche Kulturen in unterschiedlichen Affenpopulationen gibt es ebenso wie fast religiös anmutende Rituale, rückschauendes und planendes Denken, Kooperation, Fairness, Empathie, Trost und Versöhnung – kurz: die Grundzüge dessen, was wir Moral nennen. Kaum etwas scheint es im Affenreich zu geben, das wir – zwar in graduell, nicht jedoch in kategoriell anderer Form – nicht auch aus menschlichen Gemeinschaften kennen. Von Krieg und Fremdenfeindlichkeit bis zu dominanten Müttern, die ihre Söhne die Karriereleiter hinaufschubsen.

Die Dokumentation zeigt, wie stark das emotionale und geistige Erbe ist, mit dem uns die Evolution ausgestattet hat. Hinzugekommen ist in der Entwicklung des Menschen wohl nur eine Prise Rationalität, die in Zusammenhang steht mit unserer wirklich einzigartigen Fähigkeit, Sprache zu nutzen. Sie ermöglicht es uns, abstrakte und komplexe Zusammenhänge abzubilden und diese denken zu können.     

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Filmemacherin Anja Krug-Metzinger. © Privat

Oft wird im Zusammenhang mit der Diskussion jüngerer Ergebnisse der Verhaltensforschung an Menschenaffen die Frage gestellt, inwieweit es sich aufgrund der emotionalen und geistigen Ähnlichkeit zwischen Menschen und anderen Menschenaffen überhaupt noch moralisch legitimieren lasse, dass Affen in medizinischen Experimenten gequält oder in Zoos ausgestellt werden. Implizit stellt sich die Frage natürlich auch in dieser Dokumentation. Doch Krug-Metzinger zielt mit ihrem Film in eine andere Richtung. Sie will dem Zuschauer verdeutlichen, wie viel Affe in seiner eigenen Gefühls- und Gedankenwelt steckt. Und auch, welche Auswirkungen dies auf unsere menschliche Welt hat. Dank unseres Verstandes, so die Aussage des Films, sind wir zu unvorstellbaren technologischen Großtaten in der Lage. Doch unser geistig-emotionales Fundament ist dem nicht gewachsen, weil es – wenn man so will – noch immer im Dschungel herumdümpelt. Eine Erklärung unter anderem dafür, dass wir so versessen darauf sind, unsere eigenen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zu zerstören, obwohl wir es doch – rein rational – eigentlich besser wissen.  

Ein Ausweg aus diesem Dilemma wäre es vielleicht, endlich die Erkenntnis zuzulassen, dass auch unser Fühlen und Denken etwas evolutionär Gewordenes ist und das Rationale nur einen ziemlich jungen und äußerst dünnen Firnis unserer menschlichen Existenz darstellt. Eine erneute Kränkung wie einst zu Darwins Zeiten, gewiss. Aber wohl eine notwendige.

Die Dokumentation "Menschenaffen – Eine Geschichte von Gefühl und Geist" von Anja Krug-Metzinger wird am 08.05.2021 um 21:45 Uhr auf arte ausgestrahlt und ist anschließend in der arte-Mediathek verfügbar.

Trailer der Dokumentation "Menschenaffen  Eine Geschichte von Gefühl und Geist".

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