Bayern will das Schulfach "Islamischer Unterricht" einführen

Ein Unterrichtspflichtfach Ethik wäre besser

Der Bayerische Landtag hat gestern, am 24. Juni 2021 gegen 15 Uhr mit den Stimmen von CSU, Freien Wähler, SPD und FDP die Einführung des Schulfachs Islamischer Unterricht in zweiter Lesung beschlossen. Auf Antrag der AfD muss der Landtag jedoch noch einmal in einer dritten Lesung am 6. Juli darüber abstimmen. Mit einer anderen Mehrheit ist jedoch nicht zu rechnen.

Normalerweise werden die Gesetzentwürfe in zweiter Lesung verabschiedet. Auf besonderen Antrag einer Fraktion kann auch eine dritte Lesung erfolgen. Die AfD will wohl das Thema am Kochen halten und Wählerstimmen ernten. Die Argumentation ihres Redners bezog sich fast ausschließlich auf die Teile des Korans und des Islams, die mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten kollidieren. Der Unterricht soll in ausschließlich staatlicher Regie ohne die in anderen Bundesländern übliche Beteiligung von reaktionären Islamverbänden stattfinden.

Dieses neue Fach stellt ein Ersatzfach für diejenigen Schüler*innen dar, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Es steht parallel zum ebenfalls als Ersatzfach angebotenen Ethikunterricht.

Allerdings regt sich gegen das neue Fach "Islamischer Unterricht" Widerstand. Dieser Widerstand kommt aus säkularen Kreisen. Eigentlich erstaunlich, sind doch die reaktionären Islam-Verbände nicht beteiligt. Oder gibt es ganz andere Probleme, jenseits der Verbände?

Akten

Am Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes soll eine Popularklage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht werden, mit dem Ziel, die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes festzustellen.

Der hpd sprach mit dem Initiator der Popularklage, dem Pädagogen Ernst-Günter Krause (Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne Bayern), über seine Motive und Hintergründe zur Einreichung der Popularklage.

hpd: Herr Krause, Sie haben gegen den Landtagsbeschluss zur Einführung des Schulfaches "Islamischer Unterricht" eine Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Einfach nur zum Verständnis: Was ist eine Popularklage?

Ernst-Günter Krause: Eine Popularklage kann gegen ein Gesetz erhoben werden*. Es muss geltend gemacht werden, dass ein durch die Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Die Klage kann erhoben werden, ohne dass eine Verletzung subjektiver Rechte vorliegen muss, somit von jeder wahlberechtigten Person mit Wohnsitz in Bayern. Diese Art der "Normenkontrollklage" durch die Bürger*innen gibt es nur in Bayern. (*Art. 98 S. 4 BayVerf, Art. 2 Nr. 7 in Verbindung mit Art. 55 VerfGHG)

Haben Sie Unterstützung bei der Einleitung des Gerichtsverfahrens?

Ja, ich bin nicht allein unterwegs und darüber freue ich mich sehr. Unterstützung erhalte ich von säkularen Organisationen in Bayern, dem Bund für Geistesfreiheit Bayern (bfg) sowie von der Regionalgruppe München im Förderkreis der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs). Diese beiden Organisationen reichen mit mir gemeinsam die in den vergangenen Wochen ausgearbeitete Popularklage am Tag nach dem Landtagsbeschluss beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) ein.

Nicht alle Ortsgruppen des BfG unterstützen die Popularklage. Der bfg München teilte in einer Pressemitteilung mit, dass er die Klage nicht unterstützt, da eine Ablehnung des "Islamischen Unterrichts" eine "religiöse Diskriminierung der Musliminnen und Muslime und der mehr als 160.000 Kinder und Jugendlichen aus dem islamischen Kulturkreis" darstelle. Weiter heißt es in der Pressemitteilung: "Eine Gleichstellung mit ihren christlichen, jüdischen und alevitischen Mitschülerinnen und Mitschülern findet nicht statt, obwohl selbstverständlich Kinder und Jugendliche aus dem islamischen Kulturkreis wie alle anderen einen grundgesetzlich verbrieften Anspruch auf bekenntnisorientierten Religionsunterricht haben (Art. 7 Abs. 3 GG)."

Sie stellen also die Verfassungsmäßigkeit des neuen Gesetzes infrage?

Ganz wesentlich ist, dass dieses Lehrfach, so wie es ausgestaltet ist, einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz darstellt, wonach der Staat zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist. Er darf sich nicht mit einzelnen Religionen identifizieren und die Glaubenswahrheiten herausholen, die ihm passen.

Die reaktionären Islamverbände sind an diesem Schulfach nicht beteiligt. Handelt es sich denn nicht um einen bloßen Islamkundeunterricht?

Dass die Verbände wie etwa Ditib, Millî Görüş und andere in Bayern nicht als Partnerorganisationen des Staates akzeptiert werden, ist natürlich sehr erfreulich. Ich würde mir diese Klarheit und Eindeutigkeit in allen Bundesländern wünschen.

Aber: es ist eben kein Islamkundeunterricht. Der wäre ja grundsätzlich zulässig. Das Gesetz vermengt jedoch in intransparenter und unzulässiger Weise einen staatlich verantworteten Islamkundeunterricht mit einem religiös bekenntnisorientierten Islamunterricht. Das Kultusministerium hatte vorgeschlagen, das neue Fach "Islamkundeunterricht" zu nennen. Doch die am zehnjährigen Modellversuch "Islamischer Unterricht" Beteiligten wollten es bei der bisherigen Bezeichnung belassen. Aus gutem Grund: Schaut man sich die in den Lehrplänen beschriebenen Kompetenzerwartungen samt Inhalten an, handelt es sich zweifellos um einen islamischen Religionsunterricht. Bis auf die Glaubenswahrheiten sind keine wesentlichen Unterschiede zu den Lehrplänen für katholischen und evangelischen Religionsunterricht zu erkennen. Das Schulfach "Islamischer Unterricht" als "Kunde"-Unterricht zu bezeichnen, ist ein reiner Etikettenschwindel. Ein solches Handeln hat das Potenzial, die Grundfesten eines demokratischen Staates zu erschüttern.

Ernst-Günter Krause
Ernst-Günter Krause

Nur ein Beispiel aus dem Lernbereich 5 "Glaubenslehre des Islams" zur Kompetenzerwartung: "Die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass die sog. '99 Namen Gottes' dem islamischen Verständnis nach zugleich Gottes Eigenschaften und Fähigkeiten sind." Als Inhalt wird vorgegeben: "Gottes Eigenschaften und Fähigkeiten, z. B. Gott existiert, liebt seine Geschöpfe, ist gerecht und barmherzig, hört, sieht und spricht die Menschen an, ist allmächtig, allgegenwärtig, allwissend, z. B. K 20:82". Weitere Beispiele sind den Ausführungen in der Popularklage und den Anlagen zu entnehmen.

Sehen Sie noch andere negative Aspekte aufgrund der Gesetzesänderung?

Der Verstoß der Legislative gegen verfassungsrechtliche Grundsätze führt perspektivisch zu einer Ausweitung des Einflusses religiöser Institutionen auf das Bildungs- und Erziehungssystem mit negativen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer als Kind räumliche Trennung von Klassenkamerad*innen in religiösen und weltanschaulichen Angelegenheiten je nach Religionsgemeinschaft erlebt hat, kann das im Erwachsenenalter häufig nicht völlig abschütteln.

Was bedeutet das Nicht-abschütteln-Können praktisch?

Analog dem Internet könnte man sagen: Unser Gehirn vergisst nie. Manche Menschen leiden auch noch im späteren Alter darunter, dass die religiöse Herkunft die Gruppenbildung in der Schule bestimmt und das persönliche Kennenlernen der religiösen oder nichtreligiösen Weltanschauungen der Mitschüler*innen unterbunden oder zumindest erschwert hat. Religionsunterricht setzt auf die Betonung der Unterschiede und nicht auf das Gemeinsame.

Da nach der Verfassung religiöse Institutionen gerade aus dem Schulfach "Islamischer Unterricht" herausgehalten werden sollen: Worin ist die Ausweitung religiösen Einflusses zu sehen?

Die Verfassung schließt keine religiösen Institutionen aus. Im Gegenteil: In Art. 136 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern, in Kraft getreten 1946, also rund drei Jahre vor dem Grundgesetz mit dem inhaltsgleichen Art. 7 Abs. 3, heißt es, dass der Religionsunterricht "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgemeinschaft" erteilt wird. Wenn die Voraussetzungen für eine Religionsgemeinschaft erfüllt sind, ist dagegen rechtlich auch nichts einzuwenden. Allerdings erfüllt in Deutschland gegenwärtig keine islamische Institution diese Anforderungen. Welche zu erfüllen sind, hat das Oberverwaltungsgericht NRW 2017 näher bestimmt. Politische Verbände sind keine Religionsgemeinschaften. Der Staat darf sich nicht anmaßen entscheiden zu können, welche Glaubenswahrheiten vermittelt werden sollen.

Warum befürworten die großen christlichen Kirchen einen Islamunterricht in Bayern?

Die Kirchen wissen genau, dass die größte Gefahr für ihren konfessionsgebundenen Religionsunterricht von einem Pflichtfach Ethik ausgeht. Müssen alle Schüler*innen am Ethikunterricht teilnehmen und können zusätzlich, müssen aber nicht, auch den Religionsunterricht besuchen, bedeutet das mittel- und langfristig das Ende des Religionsunterrichts. Um zu verhindern, dass aus dem bisherigen Ersatzfach Ethik wegen der ständigen Zunahme der Anmeldungen ein Pflichtfach Ethik für alle Schüler*innen wird, ist aus Sicht der Kirchen eine Schwächung des derzeitigen Ethikunterrichts erforderlich.

Wie kann das erreicht werden?

Wenn den muslimischen Schüler*innen ein islamischer Unterricht angeboten wird, nimmt die Zahl der Schüler*innen, die am Ethikunterricht teilnehmen, um die Zahl der muslimischen Schüler*innen ab, die zum islamischen Unterricht wechseln. Diese Entwicklung würde den Religionsunterricht auf unbestimmte Zeit zementieren. Die Kirchen verfolgen also keine hehren Ziele, sondern schamlose Interessenpolitik.

Müssen denn alle Kinder muslimischer Eltern zwangsweise in den islamischen Unterricht?

Nein, sie können wählen. Allerdings ist davon auszugehen, dass nicht die Kinder, sondern die Eltern darüber bestimmen, welchen Unterricht ihre Kinder besuchen. Umfragen von theologischen Instituten in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg belegen, dass die Schüler*innen, welchen Glaubens (oder Unglaubens) auch immer, sich lieber im Klassenverband miteinander über Gott und die Welt austauschen wollen, als nur in einer abgeschirmten Gruppe.

Sie waren 25 Jahre Lehrer an einer kaufmännischen Berufsschule. Welche Erfahrungen haben Sie dabei mit getrenntem Religionsunterricht und dem fakultativen Ethikunterricht gesammelt.

Meine Schüler*innen im Alter von 15 bis 20 Jahren wollten Einzelhandelskaufmann beziehungsweise -kauffrau werden. Der Anteil der Schüler*innen mit Migrationshintergrund lag in "meiner" Heimwerkerbranche zwischen 50 und 70 Prozent. Einmal am Tag wurde die Klasse buchstäblich zerrissen. Ein Teil der Schüler*innen blieb im Klassenzimmer, ein zweiter begab sich ins Zimmer X und ein dritter ins Zimmer Y, um am katholischen, evangelischen oder Ethikunterricht teilzunehmen. Dass eine solche Trennorgie die Entwicklung eines gesellschaftlichen Zusammengehörigkeitsgefühls stört, dürften höchstens Realitätsverweigerer bezweifeln.

Wie könnte diese Trennung beendet werden?

Wie gut es laufen könnte, wenn Schüler*innen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam unterrichtet werden, habe ich am Schluss meiner beruflichen Tätigkeit erfahren: Ich wurde verpflichtet, im letzten halben Jahr in meiner eigenen Klasse Ethikunterricht zu erteilen. Dafür war ich, wie die meisten der bayerischen Ethiklehrer nie auch nur eine Stunde vorbereitet worden. Aber nichtsdestotrotz war es ein Halbjahr, das einen Spitzenplatz in meinem Lehrerleben einnimmt. Derart viel Nähe zwischen den Schüler*innen und mir, getragen von gegenseitigem Verständnis und Respekt, hatte ich noch nie erlebt. Der entscheidende Grund dafür war die Antwort der Schüler*innen auf meine Frage, wovon es abhänge, welcher Religion jemand angehört. Praktisch alle antworteten mit "Eltern". Als sie erfuhren, dass ich als evangelischer Christ getauft worden und rund zwanzig Jahre später zum Atheisten geworden bin, gab es kein Erschrecken, sondern Anerkennung.

Ihr Fazit?

Meine Schlussfolgerung aus praktischer Erfahrung: Ein Unterrichtspflichtfach Ethik ist dazu geeignet, Integration und Toleranz sowie Verständnis füreinander zu fördern. Denn nur so können wir verhindern, dass die Unwissenheit über die jeweils andere Religion zu Vorurteilen und in letzter Konsequenz zur Radikalisierung von Jugendlichen führt.

Es heißt, Sie hätten schon einmal eine Popularklage eingereicht. Um was ging es damals?

Das zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene bayerische "Gesundheitsschutzgesetz" sah eine Ausnahme für den Nichtraucherschutz in Gaststätten vor. Das Rauchverbot sollte nur für Gaststätten gelten, die öffentlich zugänglich sind. Das führte prompt zur Bildung von Raucherclubs. Wer in einer Gaststätte rauchen wollte, brauchte bloß eine kostenlose Mitgliedschaft durch Unterschrift erwerben, um unbeschränkt die Raumluft mit gesundheitsschädlichem Tabakrauch anreichern zu dürfen. Mit der Popularklage der Nichtraucher-Initiative München e. V. (NIM) mit mir als Vorsitzendem und weiteren Personen sollte der Halbsatz "soweit sie öffentlich zugänglich sind" für verfassungswidrig erklärt werden. Das Medienecho der Popularklage war immens. Wie 1.750 andere Personen unterstützte auch der damalige Vorsitzende der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) Bayern, Bernhard Suttner, die Popularklage per gesonderter Unterstützererklärung an den Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Ein Jahr später initiierte die ÖDP das Volksbegehren Nichtraucherschutz, an dem sich auch die NIM finanziell und personell beteiligte. Beim Volksentscheid am 4. Juli 2010 sprachen sich 61 Prozent der Wähler*innen für die Streichung des Halbsatzes aus. Über die ursprüngliche Popularklage musste der Verfassungsgerichtshof nicht mehr entscheiden, weil die 2008 gebildete Koalition aus CSU und FDP auf Drängen der FDP das Gesundheitsschutzgesetz zwischenzeitlich geändert und verschlechtert hatte. Das Volk hielt offensichtlich nichts davon. Bei der Wahl 2013 flog die FDP mit 3,3 Prozent aus dem Landtag.

Eine letzte Frage. Kann die Popularklage auch noch von anderen Bürger*innen unterstützt werden und wie?

Wahlberechtigte Personen mit Wohnsitz in Bayern können die Popularklage unterstützen, indem sie das auf meiner Webseite www.egkrause.de bereitgestellte PDF-Formular mit Namen, Anschrift, Datum und Unterschrift versehen und an den Bayerischen Verfassungsgerichtshof senden. Der Vordruck ist bereits mit der Anschrift des Gerichts versehen und für Fensterkuverts geeignet. Die Unterstützung ist mit keinen weiteren Kosten verbunden.

Herr Krause, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg mit der Popularklage.

Das Gespräch führte Walter Otte für den hpd.

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