Wie Querdenker und Impfgegner unser Leben gefährden

Die Corona-Pandemie ist noch nicht zu Ende. Entgegen der Hoffnungen steigen erneut die Infektionszahlen und ein langer düsterer Herbst steht uns offensichtlich bevor. Mithilfe der Impfungen ließe sich diese Entwicklung in den Griff bekommen. Jedoch ist die Impfbereitschaft weiterhin erschreckend niedrig; gleichzeitig haben Querdenker und Impfgegner argumentativ aufgerüstet.

Beunruhigende Entwicklung

Es ist eigentlich wie im Märchen. Eine Pandemie bricht aus, doch Wissenschaftler aus aller Welt haben es zusammen geschafft, uns den Schlüssel zur Bekämpfung der Seuche zu übergeben: die Impfung! Über diesen medizinischen Fortschritt freuen sich jedoch nicht alle in der Bevölkerung. Bereits seit Jahren lässt sich für Deutschland beobachten, dass sich eine beunruhigende Impfmüdigkeit ausbreitet. So war zuletzt die Quote bei Masernimpfungen so weit gefallen, dass die Regierung sich gezwungen sah, eine weitgehende Impfpflicht einzuführen. Was für die Masern galt, gilt leider auch für die Impfungen gegen das Coronavirus: Die Impfkampagne stockt und von einer notwendigen Impfquote deutlich über 80 Prozent ist man deutlich entfernt. Aktuell ist gerade mal rund die Hälfte der Bevölkerung vollständig immunisiert.

Ursachensuche

Woher kommt nun diese ablehnende Haltung gegenüber dem Impfen? Ein wichtiger Grund für die Skepsis ist sicherlich, dass viele Menschen überhaupt nicht wissen, wie eine Impfung funktioniert. Dabei ist das Grundprinzip relativ einfach zu verstehen: Das Immunsystem wird mit abgeschwächten oder mit abgetöteten Krankheitserregern stimuliert. Die Krankheit selbst kann so nicht ausgelöst werden, aber der Körper baut eine Abwehr gegen den Erreger auf. Eine ernsthafte Erkrankung wird so in der Regel verhindert. Tatsächlich schützen Impfungen uns vor vielen Krankheiten, etwa vor Masern, Kinderlähmung, Pocken, Mumps, Grippe oder den Röteln. Allerdings wird genau diese Schutzwirkung schon seit Jahren von einer großen Szene an Impfgegnern bezweifelt. Wer etwa bei Online-Buchhändlern nach Werken sucht, um sich über das Impfen zu informieren, wird sofort mit angstmachenden Titeln konfrontiert. Kaum besser sieht es im Internet aus – Falschinformationen sind prominent vertreten.

Impfgegner gibt es dabei tatsächlich schon so lange wie das Impfen selbst. Eine richtige Szene entwickelte sich jedoch erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die damit einhergehende Impfskepsis in der Bevölkerung führte dazu, dass die Anzahl der gegen Pocken geimpften Personen deutlich sank. Die Folge war die Einführung des Reichsimpfgesetzes 1874, das Eltern verpflichtete, ihre Kinder gegen die Pocken impfen zu lassen. 1881 erschien als Reaktion darauf die verhetzende Schrift "Die Judenfrage als Rassen-, Sitten- und Kulturfrage" von Eugen Dühring. Darin behauptete dieser, Impfen sei von Juden aus Geldgier erfunden worden. Ein Motiv, das heute noch in der Impfgegnerszene weit verbreitet ist, auch wenn "Jude" meist durch die Chiffren Rothschild, Finanzelite oder George Soros ersetzt wird.

Heute ist die Szene der Impfgegner diffus. Neben den Verschwörungstheoretikern finden sich Impfgegner häufig unter Anhängern der Alternativmedizin und in diversen Sekten. Nach einer Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung umfasst der harte Kern der Impfgegner in Deutschland etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Deutlich mehr sind jedoch für deren Argumente zugänglich: Rund ein Drittel der Deutschen neigt bei der Beurteilung der Pandemie ohnehin zu Verschwörungsmythen. Besonders Anhänger der AfD sind hierfür empfänglich.

Fake News gegen das Impfen

Was sind nun die zentralen Argumente, die gegen das Impfen vorgebracht werden und was ist von diesen zu halten? Manches ist so absurd, dass die Widerlegung nicht lohnt. Das gilt etwa für Aussagen wie "Impfen führt zu Krebs und Masturbation", wie jüngst von einer Heilpraktikerin behauptet wurde. Gleiches gilt auch für die These, es gäbe gar keine Viren, folglich könne man auch nicht gegen diese impfen. Andere Behauptungen sind dagegen nicht gleich offensichtlicher Unsinn. In diese Kategorie fällt etwa der Einwand, dass Impfstoffe giftiges Aluminium, Formaldehyd oder Quecksilber enthalten. Verschwiegen wir hierbei aber, dass wie immer die Dosis das Gift macht. In Impfstoffen sind diese nur in verschwindend geringen Dosen vorhanden, die weit unter den erlaubten Grenzwerten liegen.

Ein Klassiker unter den Fake News über das Impfen ist die Behauptung, eine solche Immunisierung könnte Autismus auslösen. Verschwiegen wird von den Impfgegnern jedoch, dass die zentrale Studie, die diesen Zusammenhang belegen sollte, eine Fälschung war. Korrekt ist allerdings, dass Impfungen Nebenwirkungen oder Impfreaktionen verursachen. In der Regel sind dies Rötungen, Schwellungen und Schmerzen an der Einstichstelle. Zudem können Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen sowie Unwohlsein auftreten. Diese Beschwerden verschwinden in der Regel sehr schnell wieder. Ernstere Impfkomplikationen sind im Allgemeinen extrem selten. Dies gilt ganz besonders für Todesfälle, wie sie im Zusammenhang mit Astra Zeneca aufgetreten sind und worauf umgehend reagiert wurde.

Die Grundlage für solche Falschaussagen ist ein von der Realität abgekoppeltes Weltbild. Die durchaus berechtigte Kritik daran, dass es Pharmafirmen gibt, die schwer zu rechtfertigende Gewinne einfahren, wird ins Absurde verzerrt. Wer etwa behauptet, dass Menschen gezielt vergiftet werden oder, dass wir durch Impfungen zu willenlosen Sklaven der Pharmaindustrie gemacht werden sollen, verlässt den akzeptablen Diskursrahmen. Dennoch finden sich diese Denkmuster bei vielen Querdenkern, Aufgeweckten und sonstigen Pandemieleugnern wieder, welche die grassierende Seuche dann wahlweise für eine Erfindung von George Soros, Bill Gates, den Illuminaten, den Rothschilds oder der Pharmaindustrie halten.

Mythen über den neuen RNA-Impfstoff

Bei den Impfstoffen der Firmen Biontech und Moderna handelt es sich um neue Impfstoffe mit neuer Technik. Es ist verständlich, dass Menschen dies erst mal skeptisch und ängstlich hinterfragen. Bei genauerer Betrachtung gibt es zumindest für Angst keinen Grund. Anders als bei konventionellen Impfungen wird bei diesen Impfstoffen kein Krankheitserreger für eine Immunisierung benötigt. Das Bundesministerium für Gesundheit erklärt auf seiner Website hierzu Folgendes: "Durch die Impfung wird den Zellen im Muskelgewebe in Form einer mRNA (messenger-RNA bzw. Boten-RNA) nur die Information für die Herstellung einzelner Antigene übertragen. Ähnlich der Infektion mit einem Virus, beginnt die Zelle nach dem Bauplan der mRNA mit der Produktion von Proteinen, die als Antigene dem Immunsystem präsentiert werden und eine Immunantwort auslösen." Daher besteht bei dieser Methode auch kein Infektionsrisiko.

Die Verschwörungstheoretiker, Querdenker und Impfgegner sehen das naturgemäß anders und verbreiten reichlich Fake News zu dieser neuen Technik. Besonders beliebt ist dabei die Behauptung, mit der Impfung würde ein Mikrochip zur Gedankenkontrolle injiziert. Hinter diesem Plan wird dann meistens Bill Gates vermutet, weil er sich seit Jahren für das Impfprogramm der WHO engagiert. Eine weitere beliebte Falschinformation der Impfgegner ist, dass die neuen mRNA-Impfstoffe die menschliche DNA verändern könnten. Das Paul-Ehrlich-Institut, Deutschlands oberste Impfbehörde, stellt hierzu allerdings eindeutig fest: "Es besteht keine Gefahr einer Integration von mRNA in das humane Genom. Beim Menschen befindet sich das Genom in Form von DNA im Zellkern. Eine Integration von RNA in DNA ist unter anderem auf Grund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich."

Eine besonders perfide Lüge ist, dass die neuen Impfstoffe Zellen von Babys enthalten würden. Was natürlich perfekt zur QAnon-Verschwörungstheorie passt, wonach eine aus Satanisten bestehende Elite im Verborgenen Kindern Adrenochrom entzieht und nur Donald Trump die Welt retten kann. Tatsache ist jedoch, dass die Impfstoffe selbstverständlich keine solchen Zellen enthalten. Ähnlich verhält es sich mit der Behauptung, man könne unter Umständen nach der Impfung keine Kinder mehr gebären. Hierfür gibt es keinerlei nachvollziehbare Belege. Impfgegner verbreiten diese absurde Falschinformation dennoch überall im Internet und den Sozialen Medien.

Neue Argumentationsmuster

In der jüngsten Zeit ist nun zu beobachten, dass die Impfgegner neue Strategien anwenden, um einer drohenden Impfpflicht vorzubeugen. Eine besonders beliebte Behauptung ist, dass in der EU bereits mehr als 5.000 Menschen an der Impfung gestorben wären. Verwiesen wird dabei direkt auf Daten der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Die entscheidende Information darüber, dass es sich hierbei lediglich um Verdachtsfälle handelt, wird unterschlagen. Wenn man wie bei der aktuellen Impfkampagne Millionen sehr alter Menschen impft, dann ist es aus statistischer Sicht wenig überraschend, dass einige davon in zeitlicher Nähe zur Impfung sterben.

Eine weitere aktuell beliebte Halbwahrheit ist, dass die amerikanischen Gesundheitsbehörden bestätigt hätten, dass Geimpfte bei der Delta-Variante genauso ansteckend seien wie Ungeimpfte. Folglich sei dann das von Impfbefürwortern ins Feld geführte Argument, man schütze mit einer Impfung nicht nur sich selbst, sondern auch andere, falsch. Folglich seien die wahren Asozialen die Geimpften, weil sie kaum noch getestet würden. Der Haken an dieser Argumentation ist jedoch, dass hier erneut eine wichtige Information unterschlagen wird: Denn es ging nur um Personen, bei denen ein Impfdurchbruch festgestellt wurde. Geimpfte müssen sich aber erst einmal anstecken und dieses Risiko ist weiterhin deutlich geringer als bei Ungeimpften. Nichts anderes vertritt auch das Center for Disease Control and Prevention (CDC).

Das beliebteste Argument gegen die Impfung ist aktuell jedoch die Situation in Gibraltar: Dieser Staat hätte trotz hundertprozentiger Impfung dennoch eine der weltweit höchsten Inzidenzen, woraus dann gefolgert wird, dass die Impfung keinerlei Nutzen hätte. Mitunter wird sogar behauptet, die Impfung würde die Ansteckungen sogar erhöhen. Auch das entspricht nicht den Tatsachen und diese sind im Falle Gibraltars speziell. Gibraltar hat zwar tatsächlich eine hohe Impfquote, aber eben keine 100 Prozent, denn es wurden auch Pendler aus anderen Ländern geimpft und statistisch mitgezählt. Eine komplette Immunisierung gibt es also auch dort nicht. Hinzu kommt, dass Gibraltar gerade einmal 35.000 Einwohner hat, da reichen dann schon wenige Fälle, um die Inzidenz stark steigen zu lassen. Zudem hat auch nie jemand behauptet, dass es keine Impfdurchbrüche geben könne. In Gibraltar wurden alte Menschen schon sehr früh geimpft. Hier lässt die Wirkung gegen Ansteckungen leider bereits deutlich nach. Dennoch wirkt die Impfung natürlich: Von März bis August starb in Gibraltar lediglich ein Mensch.

Fazit

Der Szene der Impfgegner und Querdenker ist derzeit jedes Mittel Recht, um die Impfkampagne der Regierung zu torpedieren. Dabei muss man berücksichtigen, dass die große Mehrheit dieser Menschen tatsächlich glaubt, dass es sich bei der Pandemie und der Impfkampagne nur um eine Verschwörung handelt. Das erklärt auch die Aggressivität mit der auf Widerspruch reagiert wird. Auch ist eine latente Gewaltbereitschaft festzustellen. Am schlimmsten ist jedoch, dass es der Szene gelingt, mit ihren Mythen und Märchen unbedarfte Menschen massiv zu verunsichern, so dass diese sich oder ihre Kinder nicht impfen lassen. Das ist keine Bagatelle, denn hierdurch sterben in dieser Pandemie Menschen, die nicht sterben müssten.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der MIZ 4/20 und wurde für den hpd aktualisiert und erweitert.


Siehe zu diesem Thema auch den beim hpd erschienenen Kommentar des Autors:
"Der Schlüssel zur Freiheit: Warum eine Impfpflicht leider notwendig ist"

Unterstützen Sie uns bei Steady!