Mehr denn je haben wir in der Pandemie erfahren, vor welchen Problemen Aufklärung über Pseudowissenschaft und gute Wissenschaftskommunikation angesichts einer aufstrebenden postfaktischen Szene stehen. Wo ansetzen, welche Defizite sind auszugleichen, wo sind die Quellen schon verfestigter Fehlinformationen? Eine Einschätzung von Udo Endruscheit.
Auf Twitter begegnete mir heute eine interessant formulierte Frage zu diesem Thema: Warum glauben so viele Leute offensichtlichen Quatsch, wenn er aus einem Mund kommt, dem sie vertrauen?
Ein interessanter Aspekt. Richtigerweise lässt diese Frage durchblicken, dass "Vertrauen" ein wirkmächtiger Faktor sein kann. Aber Vertrauen kann eben auch Vertrauen in Rattenfängerei sein, vielleicht geboren aus latenter, in der Pandemie manifest gewordener Grundsatzopposition gegenüber "denen da oben", vielleicht aus Angst, vielleicht aus dem Bestreben, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu suchen.
Das ist dann allerdings das "blinde" Vertrauen, das darauf angewiesen ist, ohne eigene Urteilsfähigkeit (Kompetenz) zu vertrauen. Und hier liegt schon die Antwort auf die Twitter-Frage: "Wer nichts weiß, muss alles glauben", wussten schon die Science Busters. Und ja, "nur" Vertrauen, das kann dazu führen, dass auch "offensichtlicher Quatsch" geglaubt und dieser Glaube sich selbst gegenüber mit "Vertrauen" gerechtfertigt wird. Dies scheint mir in der Tat ein sehr häufiges Muster zu sein, das sich in der Pandemie zum Beispiel durch die unkritische "Gefolgschaft" gegenüber vermeintlichen Führerfiguren manifestiert, bis hin zu einer wahrlich erstaunlichen Spendenbereitschaft.
Ersichtlich steht Aufklärung vor dem Problem, dass sie auf mehreren Ebenen gleichzeitig Wirksamkeit entfalten muss – auf einer psychologischen, einer kognitiven und einer materiellen. Mindestens.
Pseudowissenschaften als existenzielle Bedrohung für das Überleben von Gemeinschaften
Es ist sogar noch komplizierter, wie uns eine kürzlich erschienene Studie vor Augen führt.1 Die Autoren dieser Arbeit sehen das Aufwachsen von Pseudowissenschaften als existenzielle Bedrohung für das Überleben von Gemeinschaften an. Sie waren deshalb ebenfalls davon motiviert, zu verstehen, welche Ursachen Menschen anfällig für pseudowissenschaftliche Postulate machen.
In vier getrennten Versuchen untersuchten die Forscher die Rezeption pseudowissenschaftlicher Botschaften (ein neues Virus sei als Biowaffe geschaffen worden, Verschwörungserzählungen zu Covid-19 und die angeblich nachgewiesene krebserregende Wirkung von genetisch veränderten Organismen) bei Personengruppen, die grundsätzlich positiv, aber unterschiedlich differenziert zu Wissenschaft eingestellt waren. Zwei Hauptfaktoren wurden identifiziert.
Zum Ersten: Teilnehmer, bei denen ein eher allgemeines Vertrauen in die Wissenschaft festgestellt wurde, akzeptierten falsche Behauptungen umso eher, wenn diese wissenschaftliche Referenzen enthielten und sich einer wissenschaftlichen Terminologie bedienten (was für eine ordentliche Pseudowissenschaft ja Mindestanforderungen sind – die sogenannte Wissenschaftsmimikry).
Zweitens macht es einen Unterschied, ob die kritische Haltung der Probanden sich recht konkret im Wissen um die Bedeutung einer kritischen Bewertung von Aussagen manifestierte – dies verringerte den "Glauben" an falsche Behauptungen – oder eher in einem allgemeinen Vertrauen in die Wissenschaft – dies führte interessanterweise keineswegs zu einer verminderten Akzeptanz von pseudowissenschaftlichen Behauptungen. (Auch bisher gab es schon Erkenntnisse in diese Richtung, basierend auf der Beobachtung, dass es in der Regel höhere Bildungsschichten sind, die pseudomedizinischen Behauptungen zuneigen – aus einer nur gefühlten "All-Kompetenz" heraus.)
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass "Vertrauen in die Wissenschaft" allein die Menschen geradezu anfällig für pseudowissenschaftliche Behauptungen machen kann, die ja in aller Regel als "Wissenschaftsmimikry" daherkommen. Es scheint bereits eine wissenschaftliche Terminologie oder eine lange Referenzliste auszureichen, um Menschen, die sich selbst für Anhänger der Wissenschaft halten, unkritisch werden zu lassen. Man denke nur an den gewaltigen Aufwand der Homöopathen dafür, sich ein scheinwissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen oder auch an Impfskeptiker, die es gut verstehen, sich zum Beispiel in Videos als wissenschaftlich orientierte kritische Geister zu präsentieren.
Eine der Mitautorinnen stellte in einem Interview2 zur Studie fest:
"Die Lösung für die Leugnung des Klimawandels, für irrationale Ängste vor Genfood oder für das Zögern beim Impfen ist nicht, Vertrauen in die Wissenschaft zu predigen. (Was auf einen reinen Appell im Sinne von "Trust me, I'm a scientist" hinauslaufen würde.) Das Vertrauen in die Wissenschaft spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die wissenschaftliche Bildung zu verbessern und vertrauenswürdige von nicht vertrauenswürdigen Quellen zu unterscheiden. Vertrauen in die Wissenschaft behebt jedoch nicht alle Übel und kann zu Anfälligkeit für Pseudowissenschaft führen, wenn Vertrauen bedeutet, nicht kritisch zu sein."
Und hier kommen die Forscher zu einem von mir schon lange vorgetragenen Ceterum Censeo: sie schlagen vor, dass eine nachhaltigere Lösung zur Eindämmung von Fehlinformationen darin besteht, allgemein so etwas wie eine wissenschaftliche Grundkompetenz ("methodologische Kompetenz") zu vermitteln. Ein Gedanke, den ich an dieser Stelle erst kürzlich in einem Kommentar zur Wissenschaftskompetenz von Menschen in verantwortlichen Positionen ausgeführt hatte.
Das aber wird eine Sache sein, die einen langen Atem erfordert. Denn das muss bereits in der Schule, und zwar nicht erst in der gymnasialen Oberstufe, beginnen. Was ist Wissenschaft? Was ist Wissenschaft nicht? Was für einen Anspruch stellt sie selbst an sich – und welchen nicht? Und später: was ist die wissenschaftliche Methodik und auf welchen Prämissen beruht sie? Was ist ihre Bedeutung für unser Leben? Aber auch – dringend notwendige – Aufklärungskampagnen zu Wissenschaftsfragen, nicht zu reden von Dingen im Gesundheitsbereich wie derzeit die Covid-19-Impfungen, müssen dies berücksichtigen, in Form wie in Inhalt.
Fazit: Die Sache mit dem Vertrauen ist ein wahrlich schlüpfriger Boden, solange es nicht von kritisch-skeptischen Grundkompetenzen flankiert wird, die in der heutigen technisierten und informationsbasierten Zeit (über-)lebenswichtig sind. Diese Kompetenzen müssen bereits während der Schullaufbahn grundgelegt werden. Was hier in den letzten Jahrzehnten versäumt worden ist, zeigt sich zum Teil in der beklagenswerten, offen und teils mit Stolz zur Schau getragenen Irrationalität erschreckend großer Teile der Allgemeinheit. Auch andere Gründe sind hier im Spiel, selbstverständlich. Aber die beschriebenen Defizite sind offensichtlich.
Eine pointierte Zusammenfassung habe ich schon vor längerer Zeit einmal so formuliert: Solange es gelingt, den Menschen (mit staatlichem Segen) Zuckerkügelchen als Medizin zu verkaufen, so lange wird es nicht gelingen, Akzeptanz für wesentlich komplexere Problemlösungen auf wissenschaftlicher Basis zu erlangen. Wie gefährlich so etwas werden kann, haben wir gesehen.
Vergessen wir nicht: Bildung ist der Urgrund des Humanismus – und vice versa.
- Thomas C. O'Brien, Ryan Palmer, Dolores Albarracin: Misplaced trust: When trust in science fosters belief in pseudoscience and the benefits of critical evaluation. Journal of Experimental Social Psychology, Vol. 96/2021, 104184, ISSN 0022-1031.↩︎
- The Journalist's Resource: Trusting science leaves people vulnerable to believing pseudoscience, new research finds.↩︎
15 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ein hervorragender Artikel der viele Fragen aufwirft und denoch ist die Antwort darauf inhärent.
Was die Impfgegner betrifft, so wären vermutlich viele davon nicht auf der Welt, hätte es in den Nachkriegsjahren keine Impfpflicht für einige tödliche Krankheiten wie z.B. Pocken,
Polio, usw. gegeben.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Da irren Sie sich, werter Herr Baierlein. Wissenschaft hat *NIE* den Anspruch, ihre Thesen zu beweisen (kann sie per se nicht, s.u.); sie belegt 'nur' ihre Thesen.
Zur Erläterung ein Zitat des von mir hochgeschätzten Alan Musgrave aus seinen (ansonsten grottenschlecht übersetzten) "Weltlichen Predigten" (vgl. meine Rezension: https://hpd.de/artikel/alan-musgrave-weltliche-predigten-14831):
"Wissenschaft ist nicht deshalb ein rationales Unternehmen, weil sie über eine Methode zum Beweis ihrer Theorien verfügt oder zu deren zwingender Widerlegung. Sie ist rational, weil ihre kritischen Methoden immer bessere Theorien hervorbringen, die uns immer umfangreicher darüber in Kenntnis setzen, wie die Welt beschaffen ist".
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Entweder habe ich mich falsch ausgedrückt oder Sie haben mich falsch verstanden.
Ich wollte nur den Unterschied zwischen Faktenbasierter Wissenschaft und Homöopathischer-
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ersteres ist nah dran:
"Wissenschaft hat immer den Anspruch ihre Thesen zu beweisen" ist irrig, d.h. mind. falsch ausgedrückt bzw. nicht verstanden.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
wo ist der gravierende Unterschied zwischen beweisen und belegen?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Oh, das würde hier zu lang werden. Kurz, würde Wissenschaft etwas beweisen wollen / können bzw. bewiesen haben, hätten wir ein unumstößliches Dogma. Das liefert Wissenschaft prinzipiell nicht.
Bei Bedarf gerne mehr.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Werter Herr Trutnau, bitte entschuldigen Sie meine Unwissenheit, ich habe leider nur 8 Jahre
Volksschulbildung genossen und 4 Jahre Berufsschule.
um die Sonne, gilt das jetzt als bewiesen, oder belegt?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Haben Sie den Wiki-Eintrag über das Induktionsproblem gelesen?
Falls ja, wird Ihre Frage darin angesprochen?
Falls nein, warum fragen Sie mich das? Denken Sie, ich sei eine Art Richter?
Das ist aber nicht der Fall. Wissenschaft beweist *nichts* endgültig; sonst würde das auf ein Dogma hinauslaufen (ich wiederhole mich). Wissenschaft belegt ihre Thesen; mal mehr, mal weniger gut.
Und jetzt kommen Sie und lernen den Wiki-Eintrag auswendig. ;-)
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Trutnau, es tut mir leid, aber mit ihrer Antwort kann ich leider nichts anfangen.
Den Wiki-Eintrag habe ich nicht gelesen, aber so ziemlich alle Bücher von Stephen Hawking,
Wie Sie auf die Idee kommen, ich könnte in ihnen eine Art Richter sehen, ist mir schleierhaft.
Im übrigen gehen Sie meist nie auf die Inhalte meiner Schreiben ein, sondern schießen sofort
verbal gegen mich, warum das ? habe ich Ihnen irgendwann Anlass gegeben mich zu attackieren? oder habe ich Sie beleidigt.
Sicher haben Sie eine andere Sicht auf die Dinge als ich, aber das ist kein Grund mich permanent zu belehren.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Dann lassen Sie es halt bleiben und lesen den Wiki-Eintrag nicht, Herr Baierlein.
Eine schöne Zeit Ihnen noch.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Warum immer gleich so patzig, ich schreibe doch auch höflich.
Humanistischer ... am Permanenter Link
Zur Information: Da diese Diskussion hier keine inhaltliche Komponente mehr hat und auf ein "Persönlich werden" hinausläuft, werden an dieser Stelle keine weiteren Kommentare mehr freigegeben.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Gut gemacht, lieber Udo; und abgerundet mit einem schönen Fazit!
Das Vertrauen in die Zuckerkügelchen ist in der Tat immer wieder erschreckend.
Michael Fischer am Permanenter Link
Ich bin zumindest so lange beruhigt, als ich noch die Fähigkeit zum Selbstzweifel an mir feststelle und mir meiner Wissenslücken bewußt bin.
Sollte das allerdings eines Tages nicht mehr der Fall sein, werden mich hoffentlich ein paar gute Freunde darauf aufmerksam machen.
A.S. am Permanenter Link
Vertrauen erschleichen sich die Kirchen, Politiker und andere Scharlatane.
Wo blindes Vertrauen eingefordert und Skepsis verpönt wird, sollten bei jedem gebildeten Menschen die Alarmglocken schrillen.
Es wird/wurde auch Vertrauen für ungeregelte Zuwanderung gefordert und Skepsis verpönt - u.a. hier beim hpd.de
Ebenso wird von der Regierung Vertrauen in alle möglichen Grundrechtseinschränkungen gefordert und Skepsis verpönt - auch hier beim hpd.de. und das Recht, diese öffentlich zu äußern. Letzteres steht als "Meinungsfreiheit" im GG, aber in den letzten Jahren sind regelmäßig, geradezu systematisch Skeptiker mit Radikalen gleichgesetzt und verunglimpft worden.
Skepsis schützt vor Indoktrination und blindem Vertrauen.
Ich fordere ein Menschenrecht auf Skepsis