China: Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung

Die Stimmung der internationalen Staatengemeinschaft kippt gemäß einer neuen Studie des Pew Research Center weiter zu Ungunsten Chinas. Der Umgang der kommunistischen Regierungspartei mit der Opposition, mit Journalist:innen, mit Minderheiten, aber auch ihre grundlegende Ansicht zum Wert eines Menschenlebens sowie die Vielzahl von einschneidenden Eingriffen dieser in die Wissenschaft und Wirtschaft, wird insbesondere von westlichen Demokratien scharf kritisiert. Doch für nachhaltige Veränderungen sind noch konsequentere und umfassendere Handlungen nötig.

Die "Umbrella"-Bewegung aus dem Jahr 2014 ist vielen Menschen noch in Erinnerung. Damals hatten vor allem junge Menschen in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong für demokratische Verhältnisse demonstriert. Die überwiegend friedlichen Proteste wurden von Staat und Polizei zunächst toleriert, später jedoch vielerorts geräumt – zum Teil unter Einsatz von Tränengas. Dabei kam es zu einigen wenigen Festnahmen. Doch wie sehr sich seither die Gangart der chinesischen Regierung gegenüber Kritiker:innen verschärft hat, sickert erst allmählich in das allgemeine Bewusstsein. Nachdem es 2019 und 2020 erneut zu Massenprotesten kam, reagierte Peking mit dutzenden Verhaftungen der Aktivist:innen. Immer wieder werden Menschen festgenommen, weil sie sich für Demokratie und etwa gegen das Vergessen des Leids durch vergangene Massaker einsetzen. Durch neue Gesetze könnte bald sogar jegliches regierungskritische Verhalten als Straftat eingestuft werden. Außerdem befürchten Anhänger:innen der Demokratiebewegung, dass durch das folgenschwere neue Sicherheitsgesetz die ohnehin bereits eingeschränkte Autonomie Hongkongs weiter abgebaut wird.

Aus menschenrechtlicher Sicht sind neben Hongkong auch das unter chinesischer Kontrolle stehende Gebiet Tibet, die chinesische Region Xinjiang und jene der Inneren Mongolei äußerst brisant. Der Jahrhunderte alte Konflikt um Tibet wird vor allem zwischen der chinesischen Regierung, deren Truppen 1951 das Land einnahmen und für sich beanspruchen, und tibetischen Kräften ausgetragen, die sich auf die in den Jahrzehnten zuvor bestehende Unabhängigkeit der Region berufen. Aus Sorge, den wichtigen Handelspartner China zu verlieren, hatte die Unabhängigkeit Tibets aber kaum ein Staat offiziell anerkannt. Diplomat:innen und Journalist:innen werden von der chinesischen Regierung in Tibet nicht geduldet und immer wieder kommt es zu willkürlichen Festnahmen. Für die Menschen in der stark buddhistisch geprägten Region ist außerdem die strenge Kontrolle der Religionsausübung ein Anlass zur Missgunst gegenüber den chinesischen Machthaber:innen. Bei Auseinandersetzungen beider Seiten kommen immer wieder Dutzende bis Hunderte Menschen ums Leben.

In Xinjiang und der Inneren Mongolei leben eine Reihe von Minderheiten wie etwa Uiguren, Kasachen und Kirgisen in ersterem oder Mongolen, Mandschu und Hui in letzterer. Sie alle eint, dass sie vielfach elementarer Rechte beraubt werden. Doch die Uiguren stehen besonders im Fokus der Behörden.

Staatlich ignorierte Menschenrechte

Die muslimische Minderheit der Uiguren in China ist vielfach massiven und strukturellen Diskriminierungen ausgesetzt. Deutlich wird das an deren totaler Überwachung und ihrer Deportation in Masseninternierungslager, derer nur sehr wenige entfliehen können. In diesen Lagern sollen sie "umerzogen" werden, damit sie sich in die kommunistische Gemeinschaft fügen. Aufgrund einer erschwerten Berichterstattung kann die Zahl der Insassen in Umerziehungslagern wie etwa jenen in Xinjiang, die amtlich in euphemistischer Manier "Zentren zur beruflichen Qualifizierung und Ausbildung" genannt werden, nur geschätzt werden. Häufig genannte Zahlen reichen von vielen Zehntausend bis mehrere Millionen Menschen, die in solchen Einrichtungen willkürlich gefangen gehalten und zu Zwangsarbeit gedrängt werden. Ein Gerichtsverfahren ist für das erste Jahr im Lager in aller Regel nicht vorgesehen. Auch später ist juristischer Beistand, die Möglichkeit zur Verteidigung oder das Einlegen von Einspruch bei den Scheinprozessen meist nicht möglich. Menschen, die den Aufenthalt dort überleben, berichten übereinstimmend von psychischem und physischem Missbrauch und sogar Folter. Misshandlungen, Schläge, Elektroschocks, Einzelhaft, Fesselung sowie Wärme-, Nahrungs-, Wasser- und Schlafentzug sollen dabei regelmäßig zum Einsatz kommen. Die religiösen Minderheiten, zu denen neben den muslimischen unter anderem auch einige christliche gehören, werden dazu genötigt, ihrer Religion abzuschwören. Neuere Erkenntnisse weisen außerdem darauf hin, dass es systematisch zu Zwangssterilisierungen und -schwangerschaftsabbrüchen in den Lagern kam.

Während Menschenrechtsorganisationen bereits seit einigen Jahren auf diese Missstände aufmerksam machen und dringenden Handlungsbedarf sehen, setzt die chinesische Regierung alles daran, mittels eigener Propagandakanäle die ungerechtfertigte Gewalt herunterzuspielen. Die Internierungslager seien angeblich zur Bekämpfung von Extremismus notwendig. Doch viele Staaten stellen sich dieser Version entschieden entgegen. Das niederländische Parlament oder auch der US-Außenminister Antony Blinken sprechen hierbei sogar von einem Genozid, der an den Uiguren vollführt werde. Björn Alpermann, Professor für Chinaforschung der Gegenwart, hält zumindest den Begriff "kulturellen Genozid" für angebracht, da hinreichend viele Belege vorlägen, die bewiesen, dass die "Wesensmerkmale der uigurischen ethnischen Identität" durch die chinesischen Bestrebungen ausgelöscht werden sollen. Trotz dieses Intervenierens gibt China weiterhin vor, dass es keine Ausbeutung oder Unterdrückung der Uiguren gebe – was effektiv einige gesellschaftliche Folgen hat. So gilt es auf chinesischem Boden weitestgehend sogar bereits als verpönt, den Umgang mit Minderheiten als ein aktuelles Problem anzuprangern.

Die Politik Pekings im Hinblick auf den Wert eines Menschenlebens oder aber die individuellen Bedürfnisse der Bürger:innen und deren Würde ist ebenfalls Gegenstand heftiger Kontroversen zwischen weiten Teilen der internationalen Staatengemeinschaft und China. Zum einen wird die Todesstrafe in kaum einem Land so rigoros angewendet wie dort. Neben extremen Gewaltverbrechen kann diese zum Beispiel auch für Bestechung und Drogenhandel verhängt werden. Insgesamt gibt es 46 Straftaten, die mit dem Tod geahndet werden. Zum anderen ist aber auch die Grundversorgung mit Arzneimitteln in vielen ländlichen Regionen nicht ausreichend gewährleistet. Hinzu kommt, dass Umsiedlungen wegen bestimmter Bauvorhaben häufig nicht wie in anderen Ländern mit einem angemessenen finanziellen Ausgleich einhergehen, sondern mit minimalen Abfindungen abgegolten werden. Viele der Betroffenen werden aufgrund dieser staatlichen Maßnahmen über Jahre zu Obdachlosen. Und durch die elektronische Überwachung der Bürger:innen, die intensive Bespitzelung der Minderheiten und das Implementieren eines Punktesystems ist sehr fraglich, ob die Würde des Menschen im Einklang mit den allgemeinen Menschenrechten durch diese Politik gewahrt bleibt. Gerade das Punktesystem, um "gutes" und "schlechtes Verhalten" gemäß der Ansicht der kommunistischen Regierung zu bewerten, steht im Verdacht, die Freiheiten der Chines:innen weiter einzuschränken sowie für Zensur und die Förderung von Propaganda missbraucht zu werden. Ohne ausreichend viele Punkte gibt es etwa keinen Kredit, keine Beförderung und bei als "schwierig" perzipierten Fällen kann es sogar zu Kürzungen bei Sozialversicherungen, zur Ablehnung von Versicherungsanträgen oder zur massiven Einschränkung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kommen.

Unterbundene Voraussetzungen einer freien Gesellschaft

Während die meisten Medien aus freiheitlich-demokratischen Staaten sich an journalistische Standards halten, sich gegenseitig überprüfen und bei begangenen Fehlern diese in aller Regel korrigieren, verhalten sich staatliche Propagandasender wie das chinesische CCTV genau umgekehrt dazu. Etwa die anhaltenden Kriegsdrohungen gegenüber Taiwan werden von den chinesischen Sendern als legitime Territoriumsansprüche geframed. Kritik daran, wie etwa durch Faktenchecks oder Gegendarstellungen, wird in der chinesischen Medienlandschaft nicht geduldet.

Generell existieren das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Privatleben praktisch nicht mehr. Internet und Medien sind über weite Teile komplett zensiert. Mit der "Great Firewall" ist in China eines der umfassendsten Systeme zur Internetkontrolle errichtet worden. Bestimmte Webseiten und Apps sind offiziell nicht verfügbar. Darunter fallen etwa YouTube, Facebook, Twitter und WhatsApp oder aber renommierte Zeitschriften wie die New York Times. Bereits das Installieren einer verschlüsselten App kann in manchen Regionen als "terroristischer Akt" eingestuft werden. Die Bewegungsfreiheit ist ebenfalls massiv eingeschränkt. Verwaltungstechnisch sind alle Chines:innen insofern an den Ort ihrer Geburt gebunden, als dass sie verpflichtet sind, dort zur Schule zu gehen und sich kranken- und rentenversichern zu lassen. Zudem ist die politische Willensbildung enorm limitiert. Regierungskritische Vereinigungen oder Versammlungen werden unterbunden und Oppositionsparteien gar nicht erst zugelassen. Ebenso sind unabhängige Gewerkschaften und die Gründung von Menschenrechtsorganisationen verboten. Immer wieder werden entsprechende Gesetze unter dem Vorwand verschärft, die nationale Sicherheit wahren zu müssen.

Auch auf Universitäten wird unverhältnismäßig viel Druck ausgeübt. Selbst außerhalb Chinas wird über verschiedene Institute versucht, das Bild über die Volksrepublik zu beeinflussen – auch in Deutschland. An einigen Hochschulen gibt es Berichte über Einschüchterungsversuche, um kritische Student:innen zum Schweigen zu bringen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat erst kürzlich die politischen Vorhaben begrüßt, dass etwa die Konfuzius-Institute von den deutschen Hochschulen abgekoppelt werden sollen, um weiteren Verschleierungen von Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen. Die Freiheit der Wissenschaft könne in diesen Einrichtungen nicht gewährt werden, da dort keine kritischen Abhandlungen über Xi Jinping vorgestellt oder diskutiert werden dürften. Dem GfbV-Referenten für Genozid-Prävention Hanno Schedler zufolge könnten so keine fundierten Erkenntnisse über China gewonnen, sondern allenfalls dessen Staatspropaganda unterstützt werden. Laut der GfbV ist beim Umgang mit diesen Instituten besondere Vorsicht geboten, da diese die Ideologie der kommunistischen Partei (KPCh) in einen auf den ersten Blick harmlos wirkenden Kontext einbetten, der jedoch letztlich ebenfalls dazu beiträgt, dass unterdrückte Minderheiten weiterhin leiden.

Wirtschaft und Politik mit fehlender Haltung

Fatal ist auch der Druck, der selbst auf einige der größten europäischen und amerikanischen Unternehmen ausgeübt wird. Wer die zunehmend schärfere Gangart der USA wie etwa deren Sanktionen unterstützt, kann durch eine entsprechende gesetzliche Regelung in China verklagt werden. Und da die Justiz dort völlig unter der Kontrolle der KPCh steht, ist der Ausgang solcher Verfahren bereits im Vorhinein klar. Dabei kann die Hoffnung vieler Staaten, durch Wirtschaftsbeziehungen die Demokratisierung voranzutreiben, auch den gegenteiligen Effekt haben, wenn nicht selbstbewusst genug auf die Einhaltung bestimmter Mindeststandards geachtet wird. Innerhalb Chinas vermögen die Beispiele Didi und Alibaba die Missstände treffend zu veranschaulichen: Ersteres – ein Fahrdienstunternehmen, das ähnlich wie Uber funktioniert – wurde nach dessen Börsengang mit fadenscheinigen Begründungen aus dem chinesischen App-Store gänzlich verbannt. Damit ist das wirtschaftliche Überleben des Dienstleisters kaum mehr möglich. Letzteres – das chinesische Pendant zu Amazon, welches zusätzlich auch den Bezahldienst AliPay betreibt – machte dadurch Schlagzeilen, dass es die horrende Summe von 2,8 Milliarden Dollar Strafe an den chinesischen Staat wegen vermeintlicher Monopolstellung zahlen musste. Angeklagt wurde das Unternehmen des Gründers Jack Ma allerdings erst, nachdem dieser die Wirtschaftspolitik Pekings kritisiert hatte. Danach war dieser, sonst stark in der Öffentlichkeit stehend, über Monate nicht mehr zu sehen.

Doch nicht nur China und dessen Umgang mit eigenen Unternehmen stehen in der Kritik – auch einige international agierende Konzerne sind davon betroffen. Die jeweilige Führungsetage von Siemens, BASF, VW und vielen weiteren geben sich lammfromm und verkünden öffentlich, dass sie von der Unterdrückung und dem Genozid an den Uiguren nichts wüssten, um unbehelligt weiter Betriebsstätten unterhalten zu können. Die Vorwürfe, wonach es sehr wahrscheinlich sei, dass dort auch Zwangsarbeiter:innen beschäftigt werden, werden weitestgehend ignoriert. Dabei befinden sich einige der Fabrikgebäude sogar auf dem Areal, auf dem auch die Umerziehungslager stehen. Einige Menschenrechtsorganisationen haben nun Strafanzeige gegen deutsche Firmen beim Generalbundesanwalt erstattet. Der Vorwurf: Beihilfe zur Versklavung von Uiguren. Ob es jedoch tatsächlich zu Ermittlungen und anschließend zu einem Verfahren kommt, ist noch offen.

Wie weitreichend die Beeinflussung ist, zeigt sich bereits an Kleinigkeiten: Daimler zeigte 2018 eine Werbung mit einem Zitat des Dalai Lama, was China aufgrund dessen politischer Haltung gegenüber Tibet als Affront verstanden wissen wollte. Statt die teuer produzierte Werbung mit dem netten Nebeneffekt – mehr Aufmerksamkeit für Tibet – weiterlaufen zu lassen, wurde diese binnen kürzester Zeit aus allen Formaten genommen und sich dafür entschuldigt. Ein solches Kuschen vor Staaten, die die Menschenrechte mit Füßen treten, ist Menschenrechtler:innen zufolge kein Beitrag für eine humanere Welt. Im Gegenteil: Derlei vermag es, Missstände zu perpetuieren.

Notwendige Konsequenzen

Aufgrund all dieser Faktoren käme es einer Relativierung von Menschenrechtsverletzungen gleich, die Volksrepublik China auf eine Ebene mit autoritären Staaten wie Ungarn oder Tunesien zu stellen. Es handelt sich in der aktuellen Form hierbei um einen der wenigen Staaten weltweit, die neben Nordkorea, Saudi-Arabien, dem Iran und Venezuela als eindeutig totalitär bezeichnet werden müssen. Auch für einen Übergangsbereich zwischen autoritär und totalitär, wie er aktuell etwa in der Türkei oder Brasilien auszumachen ist, finden sich bezogen auf China aufgrund der noch brutaleren Vorgehensweise gegen Regimekritiker:innen und der kategorischen Unterbindung von politischer Opposition nur wenige Argumente. Die Bevölkerung, die Regierung und die Unternehmen der beteiligten Staaten sind weiterhin dazu angehalten, dies zu erkennen und das verwerfliche Wirken Chinas effektiv einzudämmen. Die kippende Stimmung könnte ein erster Indikator dafür sein, dass es nun zu einem Umdenken kommt. Doch für echte Veränderung braucht es noch viel Mut und es bedarf klarer Kante gegen Menschenrechtsverletzungen – auf allen Ebenen.

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