Noch immer kursieren rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch Mythen und Halbwahrheiten, die von Abtreibungsgegnern am Leben gehalten werden. Ein Kampagnenteam des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung und Doctors for Choice Germany hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, mit einer Website gegenzusteuern, die Zahlen und Fakten rund um das Thema präsentiert.
Das Problem der sachlichen Information zum Schwangerschaftsabbruch ist seit der Debatte um die Abschaffung des Paragrafen 219a in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt: Er verbietet das Bewerben der Maßnahme – eine Regelung, die sogenannte "Lebensschützer" missbrauchen, um gegen Ärzt:innen vorzugehen, die Abbrüche vornehmen und über die Durchführung öffentlich informieren. In diesem Jahr richtete sich der Blick dann verstärkt auch auf den Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche prinzipiell als kriminelle Handlung ausweist, die nur unter bestimmten Voraussetzungen nicht verfolgt wird. Er "feiert" 2021 seinen 150 Geburtstag. 219a wurde vor zweieinhalb Jahren einer umstrittenen Reform unterzogen, 218 besteht bis heute unverändert fort. Die künftige Ampel-Koalition hat angekündigt, das "Werbeverbot" abschaffen zu wollen.
Es ist kaum möglich, frei von Emotionalisierung und Moralisierung über Abtreibungen zu diskutieren. Um die Debatte zu versachlichen, wurde daher die Kampagne "Mehr als du denkst – weniger als du denkst" ins Leben gerufen, hervorgegangen aus dem im Frühjahr 2020 im Rahmen eines Vernetzungstreffens des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung gegründeten "Arbeitskreises Entstigmatisierung". Ein Jahr später gingen die Website und der zugehörige Instagram-Account online. Sie stellen öffentlich zugängliches, einfach verständliches sowie unabhängiges Wissen zur Verfügung, um die Aufmerksamkeit zurück zur Gesundheit der ungewollt Schwangeren zu lenken. "Mehr als du denkst" beziehe sich dabei auf Personen, die einen Abbruch hatten, während "weniger als du denkst" auf die Ärzt:innen verweise, die diesen durchführen, erläutert Dr. med. Jana Maeffert, Gynäkologin aus Berlin und Mitgründerin der Kampagne, gegenüber dem hpd. Schwangerschaftskonfliktberater:innen, Gynäkolog:innen, Medizinstudierende, Jurist:innen, Psycholog:innen und Filmwissenschaftler:innen aus dem ganzen Land haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam aufzuklären – im besten Sinne: Mithilfe anschaulicher Grafiken und persönlichen Statements präsentieren sie Fakten und Fragestellungen zum Schwangerschaftsabbruch, die in Schule, Popkultur und sogar der medizinischen Ausbildung oft zu kurz kämen.
Da wäre beispielsweise die Analyse der bereits erwähnten juristischen Situation in Deutschland, die Ärzt:innen verunsichert und die Ausübung ihres Berufes schwer macht. Dies ist auch ein Grund für die ebenfalls thematisierten Versorgungslücken, die im Bereich Abtreibung bestehen. Erfahrungsberichte Betroffener veranschaulichen, was dies in der Praxis bedeutet, unter Zeitdruck und in einer psychischen Ausnahmesituation Hilfe zu suchen und keine zu finden. Frauenfeindliche Klischees werden benannt und überprüft: etwa, dass der Abbruch einer nicht gewünschten Schwangerschaft als egoistisch bezeichnet wird und der betroffenen Person mangelndes Wissen über Verhütung vorgeworfen wird. Dabei wird zum Bespiel die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen detailliert aufgelistet. Ergebnis: Keine Verhütungsmethode ist auch bei fehlerfreier Anwendung zu 100 Prozent sicher.
Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, warum in Deutschland häufiger auf die operative als die medikamentöse Abbruchmethode zurückgegriffen wird. Hier hat sich unter anderem – wie schon bei der Sterbehilfe – der scheidende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unrühmlich hervorgetan, indem er empfahl, ein von der WHO als "essentielles Medikament" eingestuftes Präparat nicht mehr zu importieren. Generell kritisieren die aufklärenden Aktivist:innen, dass es in Deutschland – im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, keine Leitlinien und keine Qualitätssicherung zum Schwangerschaftsabbruch gebe. Außerdem räumen sie mit sich hartnäckig haltenden Mythen auf: Weder existiert das "Post-Abortion-Syndrom" als offizielle Diagnose noch führen Schwangerschaftsabbrüche zu Unfruchtbarkeit. Auch die Differenzierung zwischen Embryo, Fötus und Baby wird vorgenommen und erklärt, warum bei einem Ungeborenen noch kein Schmerzempfinden vorhanden ist.
Mittlerweile hat der Instagram-Account "mehr.als.du.denkst" fast 2.500 Follower. Pro Woche werden etwa zwei bis vier Posts veröffentlicht, bisher sind es insgesamt knapp 100. Das Team ist von anfangs sechs auf inzwischen ungefähr 15 aktive Personen angewachsen, die alle ehrenamtlich arbeiten. "Wir erhalten zahlreiche positive Rückmeldungen, insbesondere wird hervorgehoben, dass der Account mit den vielen sachlichen Fakten und Zahlen hilfreich für Recherche und Diskussionen ist", so Dr. Maeffert.
Die Infomaterialien kann man hier herunterladen. Neben den Online-Aktivitäten gibt es verschiedene Postkarten-Reihen, die bestellt werden können.
2 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das Verbot einer Bewerbung einer Abtreibung erscheint mir anachronistisch.
Jedoch dass ein Embryo (als Zellhaufen ohne Nerven) schmerzunempfindlich ist, nur folgerichtig.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ja wat nu!