Gegen krassen Hass muss volle Unterstützung her

Dass Ärzte und Ärztinnen nicht mehr als "Götter in Weiß" gelten, war überfällig und gut. Sie dürfen aber nicht zur neuesten Zielscheibe für Hass werden, bloß weil sie für Impfschutz gegen Corona eintreten, sagt unsere Kolumnistin Natalie Grams-Nobmann.

Wenn man den wissenschaftlichen Kenntnisstand weitertransportiert, dann kann man sich schon mal Hass, Beleidigungen, Verfolgung und Häme einfangen. Ich selbst habe das leider bereits vor langer Zeit lernen müssen; schließlich habe ich schon weit vor der Pandemie viel Zeit investiert, um Globuli, Anthroposophie und allgemein Esoterik in der Medizin wissenschaftsbasiert zu kritisieren. Das hat mir das ein oder andere hasserfüllte Lowlight beschert. Ähnlich geht es schon seit Langem vielen, die Verschwörungsmythen oder die rechte Szene journalistisch entlarven. So richtig ernst nahm das kaum jemand. Außerhalb meiner eingeschworenen Community mit ähnlich leidvollen Erfahrungen hörte man, als unterstützend gemeinten Kommentar, höchstens so etwas wie: "Dann lass es halt. Was musst du dich auch so exponieren?"

Gut, man könnte es Privatvergnügen nennen, wirkungslose medizinische Methoden oder rechte Abgründe zu kritisieren. Oder vielleicht weniger "Vergnügen", zumindest aber Privatsache. In Zeiten der Pandemie müssen Ärzte, Ärztinnen und alle anderen Menschen im Medizinbetrieb sich nun jedoch mit einem viel krasseren Ausmaß an Hass, Verfolgung und Bedrohungen auseinandersetzen. Für die Verursacher gibt es keine Rechtfertigung, selbst wenn alle nach zwei Jahren zunehmend verzweifeltem Struggle mit den Nerven am Ende sind.

Man sollte meinen, dass Ärztinnen und Ärzte bewundert, unterstützt, gelobt und gefeiert werden, wenn sie in diesen Pandemiezeiten klare Worte finden, wenn sie sich für den Impfschutz einsetzen. Immerhin ist wissenschaftlich unbestreitbar, dass der Impfschutz nach wie vor die beste Maßnahme ist, die wir haben, um die Pandemie zu bewältigen. Jeder sollte auch wissen, was es bedeutet, ungeimpft mit einem schweren Covid-Verlauf auf einer Intensivstation zu landen.

Es verdient also Anerkennung, wenn Ärztinnen und Ärzte über den Alltag der Corona-Verläufe auf ihrer Intensivstation berichten, um zu informieren und zu warnen. Wenn sie Überstunden machen, in ihrer Freizeit in den Sozialen Medien Aufklärungsarbeit leisten, sich in Impfzentren und Praxen für das Impfen einsetzen und dabei auch noch die sich immer wieder ändernden Empfehlungen beachten.

Doch weit gefehlt: Offensichtlich passt es Leugnenden nicht, wenn die Pandemiesituation Thema ist und wenn aus der Praxis mit teils deutlichen Worten berichtet und über das Impfen aufgeklärt wird. Dann platzen Kommentarspalten vor Hate, Missgunst, persönlichen Unterstellungen und Beleidigungen. "Dr. Mengele" ist schon fast zur üblichen und quasi zur nettesten Anrede geworden. Danach folgt dann bald "Kindermörder". Die Ärztekammer beklagt eine neue Qualität und ein neues Ausmaß an Hass. Ein Beitrag der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature hat schon im Herbst zusammengestellt, wie die hasserfüllte Reaktion gegenüber Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ausfällt, die in Zeiten von Corona Wissenschaftskommunikation betreiben.

Deutlich wird hier eine generell neue Qualität der Grenzüberschreitung. Bei Globuli-Kritik hatte man einzelne hasserfüllte Mails im Postfach, konnte seine Privatadresse verbergen und blöde Kommentare im Zweifel ignorieren. Nun aber stellen Impfgegner und durch Telegram gesteuerte Querdenkende Ärzten und Ärztinnen in ihren Praxen nach, terrorisieren MFAs anonym am Telefon, schreiben Drohkettenbriefe und lancieren große Shitstorms. Von manchen meiner Kolleginnen und Kollegen weiß ich, dass sie zeitweise nur unter Polizeischutz ihre Praxistätigkeit aufrechterhalten konnten. Viel zu wenig ist dieses Problem bisher bekannt, viel zu wenig wurde dagegen unternommen. Manche Mediziner ziehen sich aus den Sozialen Medien zurück, schränken ihre Kommentare ein, lassen ihr Profil ausschließlich anonym laufen. Ein Thread gibt das Ausmaß an Bedrohung und Ärger auf Twitter fühlbar wieder.

Hilfe gegen den Hass

Was tun? Anzeigen? Ja, auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum, aber der juristische Weg ist oft mühsam und führt nicht immer zum Erfolg – und wenn, dann oft erst mit viel Zeitverzögerung. In der Zwischenzeit wird munter weiter gehated. Es gibt kaum Schnellverfahren, und man muss sich zum Teil, wenn es um eine zivilrechtliche Klärung geht, mit seinem eigenen Geld dafür einsetzen, dass üble Verleumdungen verfolgt werden. Da überlegt man sich dann auch dreimal, einen Prozess überhaupt anzustrengen – denn vieles, was man mit gesundem Menschenverstand als Beleidigung oder als Bedrohung auffassen würde, muss juristisch noch nicht unbedingt so gesehen werden. Zum Ärger kommt also das Risiko, sich noch mehr Ärger einzuhandeln, während der Praxisbetrieb ja weiterlaufen muss. Das kann es echt nicht sein.

Zum Glück gibt es mittlerweile tolle ehrenamtliche Organisationen wie "Hassmelden" oder "HateAid", die auch Ärztinnen und Ärzten helfen, bei digitaler Gewalt zu entscheiden, wie konkret das Bedrohungspotenzial einer Hass-Nachricht ist und ob diese strafrechtlich verfolgt werden kann. Auch sonst leisten sie wertvolle Unterstützungsarbeit.

Viele Ärzte und Ärztinnen bleiben aber auch allein mit dem gegen sie gerichteten Hass im Netz – und darüber hinaus dem im "richtigen" Leben. In Ärzte-Chats fragen wir uns inzwischen tatsächlich, ob erst ein Mord geschehen muss, bis endlich gesehen wird, was hier passiert. Hoffentlich kommt es nie so weit! Impfende Kollegen sehen sich aber bereits Hausfriedensbruch, Nötigung oder Verleumdung ausgesetzt – manche haben Hunderte von Strafanzeigen gestellt. Hier müssen Polizei und Staatsanwaltschaft tätig werden – doch auch das dauert seine Zeit, und nicht immer ist das Problem in seiner ganzen Abartigkeit dort schon bekannt. Teils wird von körperlicher Gewalt und Wutausbrüchen in Praxen, Notaufnahmen und Intensivstationen berichtet. Ein "Doxing", das mutwillige Veröffentlichen von privaten Daten oder Praxisdaten, kann auch deswegen extrem belastend sein. Fast schon harmlos ist dagegen der Ärger durch schlechte Google- oder Jameda-Bewertungen.

Der aus all dem sprechende Hass richtet sich dabei nicht nur auf die betroffenen Ärztinnen und Ärzte als Menschen, sondern vor allem auf das, wofür sie in der Logik der Täter stehen: für die Wissenschaft, die evidenzbasierte Medizin, die Aufklärung, den Fortschritt. Befeuert wird er von den üblichen Verdächtigen wie rechtem Populismus und Querdenkertum.

Wir, die Ärztinnen und Ärzte als Berufsgruppe, dürfen uns davon sicher nicht treiben und kaputtmachen lassen. Doch was tun? Mich selbst hat Hass nie kaltgelassen, aber auch nie mundtot gemacht. Und viele meiner Kollegen, die weitaus mehr und Schlimmeres aushalten müssen, lassen sich ebenfalls nicht unterkriegen oder zum Schweigen bringen. Die Gesellschaft ist hier gefragt, nicht der persönliche Mut des Einzelnen, der sich diesem Drama mit Mut, Durchhaltevermögen und Chuzpe entgegenstellt.

Es reicht nicht, der Radikalisierung hier und in anderen Bereichen einfach zuzuschauen – egal, ob schockiert oder gleichgültig. Nein! Hier ist die Politik, ja, auch die Standespolitik gefordert, endlich etwas für die Ärztinnen und Ärzte zu tun. Denn die sind – so oder so – in dieser verrückten Zeit nach bestem Wissen und Gewissen für die Patienten und Patientinnen da – oft weit über die eigene Kraft hinaus. Tut etwas für sie! Und gerne auch für alle anderen in den Gesundheitsfachberufen, für Zahnärztinnen, Apotheker, Tierärzte und Pflegefachkräfte, die ebenfalls zum Impfen bereit sind. Schaut hin, was gerade passiert. Und lasst uns nicht allein.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von spektrum.de.

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