"Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen." So verspricht es der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien (S. 110), und man darf dieses Versprechen durchaus ernst nehmen. Schließlich waren es vor allem die damaligen Oppositionsparteien FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, die im Jahr 2020 erstmals einen von vielen beteiligten Akteuren als grundsätzlich tragfähig eingestuften Entwurf eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen vorgelegt hatten. Ein zeitgleich vorgelegter Entwurf der AfD-Fraktion erwies sich dagegen schon im Ansatz als untauglich, weil er den Verfassungsauftrag zur Ablösung ignorierte und die Staatsleistungen schlicht auslaufen lassen wollte.
Der Entwurf von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke nannte in Paragraph 1 explizit das Äquivalenzprinzip als zentralen Maßstab und zielte ausweislich der Begründung auf "vollständigen Ausgleich". Dafür sollte der volle Wert der Staatsleistungen ersetzt werden und die Staatsleistungen sollten außerdem bis zu dessen vollständiger Erbringung weitergezahlt werden. Hinter dieser Zielsetzung steht jedoch ein methodisch sehr zweifelhafter originalistischer Ansatz, der mit der vollständigen Nichtberücksichtigung der in den letzten 100 Jahren geleisteten Zahlungen gegen den Zweck von Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung (WRV) verstößt. Auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erweist er sich als verfassungsrechtlich problematisch.
Staatsleistungen im Sinne von Artikel 138 Absatz 1 WRV
Der Begriff der "Staatsleistungen" in Artikel 138 Absatz 1 WRV umfasst einen relativ engen Kreis von regelmäßigen Zuwendungen des Staates an die Kirchen, die bereits vor 1919 durch Gesetz, Vertrag oder besondere Rechtstitel begründet wurden und eine Kompensation für kirchliche Vermögensverluste im Zuge der Säkularisationen darstellen. Wenn von der Ablösung von Staatsleistungen die Rede ist, dann geht es also nicht um die Kirchensteuer (die der Sache nach ein Beitrag der Kirchenmitglieder und nicht des Staates ist), nicht um Subventionen im Sozial- und Gesundheitssektor (die die Kirchen unter den gleichen Bedingungen erhalten wie private Träger der freien Wohlfahrtspflege) und auch nicht um die Kosten, welche dem Staat durch Organisation und Durchführung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen und die Einrichtung und den Erhalt theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten entstehen. Hinter den Staatsleistungen im Sinne des Artikel 138 Absatz 1 WRV stehen vielmehr der historischen Herleitung entsprechend vor allem Kirchenbaulasten und Personal- oder Verwaltungskosten. In der Praxis werden die Staatsleistungen allerdings vielfach aus Praktikabilitätsgründen als Pauschbetrag ohne konkret rechtfertigende Zweckbindung in den allgemeinen Haushalt der Empfänger geleistet.
Staatsleistungen im Sinne des Artikel 138 Absatz 1 WRV gibt es nur auf der Ebene der Länder. Ihr geschätztes Gesamtvolumen soll sich in diesem Jahr auf etwa 600 Millionen Euro belaufen. Anders als im Jahr 1919 macht das nur noch einen recht kleinen Anteil (ca. 2%) an den Haushalten der Kirchen aus. Sorge vor einer finanziellen Existenzgefährdung der Kirchen durch den Wegfall der Staatsleistungen – ein maßgebliches Motiv in der Nationalversammlung für die verfassungsrechtliche Verankerung – muss man also heute nicht mehr haben.
Die historische Grundentscheidung für die Beendigung der Staatsleistungen
Der Begriff der "Ablösung" umschreibt die Aufhebung der auf Dauer wiederkehrend angelegten Zuwendungen an die Kirchen durch einen Einmalbetrag. Die in Artikel 138 Absatz 1 WRV geschaffene Verpflichtung, die bestehenden Staatsleistungen gegen einen Ausgleich abzulösen, war ein Kompromiss: Entgegen der Position des Zentrums, das gerne die Staatsleistungen mit nur einvernehmlicher Aufhebbarkeit festgeschrieben hätte, entschied sich die Weimarer Reichsverfassung explizit für deren Ablösung. Zugleich wies sie aber auch eine auf radikale Trennung à la française gerichtete Vorstellung zurück, denn sie verlangte einen Ausgleich in Form einer Ablösesumme. Trotz aller Schwierigkeiten im Übrigen liegt in diesem Kompromiss die schon 1919 getroffene eindeutige Grundentscheidung, dass die Finanzbeziehungen zwischen Staat und Kirchen entflochten werden sollen und die Zahlung der Staatsleistungen endgültig eingestellt werden soll.
Staatsleistungen (...) muss man (...) heute nicht mehr haben.
Die spätere Praxis konterkarierte diese beim Kompromiss getroffene Grundentscheidung allerdings vollständig. In Artikel 173 WRV explizit garantierter Bestandteil des Kompromisses war, dass die Staatsleistungen bis zur Entscheidung über die Ablösung weitergezahlt würden. Der 1919 gefundene Kompromiss hatte also in der Rückschau einen geradezu paradoxen Effekt: Anstatt die intendierte zügige Ablösung zu erreichen, wurden die auf höchst unterschiedlichen, teilweise sogar ungeschriebenen Garantien beruhenden Verpflichtungen des Staates übergangsweise, nämlich bis zu ihrer endgültigen Ablösung, in Verfassungsrang erhoben und auf dieser Basis mehr als 100 Jahre lang weitergezahlt – viel länger, als sich dies der damalige Verfassungsgeber wohl hätte vorstellen können.
Darüber hinaus ließ der Kompromiss auch entscheidende weitere Fragen offen. Schon das anwendbare Verfahren ist nur unvollständig festgelegt, weil keine Aussagen zur Beteiligung der Länder, die die Ablösesummen aufbringen müssen, oder der Kirchen gemacht wurden. Vor allem aber verschob der Kompromiss die Bemessung der Höhe der Ablösungszahlungen in die Zukunft. In dieser Hinsicht erwies sich der Kompromiss als in echtem Sinne dilatorisch – bis heute hat es keine parlamentarische Mehrheit im Bundestag gegeben, die sich an die zentrale Frage der Wertbestimmung der Ablösesummen herangetraut hätte.
Fehlschlüsse einer originalistischen Verfassungsinterpretation
Der Entwurf von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke aus dem Jahr 2020 versuchte, das Ziel des vollen Wertersatzes unter Heranziehung der Grundsätze des Bewertungsgesetzes (BewG) zu erreichen. Das Bewertungsgesetz dient dem Fiskus dazu, Vermögen für die Zwecke der Besteuerung zu bewerten. Dazu trifft es in Paragraph 13 Absatz 2 BewG Regelungen über die Bewertung "immerwährender Nutzungen und Leistungen", die mit dem 18,6-fachen ihres Jahreswerts zu veranschlagen sind. Dies entspricht einer Ablösesumme von über 10 Milliarden Euro an die Kirchen. Die Kirchen legten in ihrer gemeinsamen Stellungnahme sogar noch deutlich höhere Berechnungsfaktoren für die Ablösesummen zugrunde.
Die Orientierung am vollen Wertersatz übersieht, dass durch die mehr als 100-jährige Untätigkeit des Gesetzgebers ein Dilemma entstanden ist. Bei einer rein auf die normative Regelung des Artikels 138 Absatz 1 WRV gerichteten, und insofern originalistischen Betrachtung erscheint der volle Wertersatz plausibel: Die Weiterzahlung wäre demnach eine verfassungsrechtlich garantierte Vermögensposition. Die Ablösung müsste Wertersatz leisten, würde aber ex nunc erfolgen und nicht zurückwirken; bisherige Zahlungen als Staatsleistung wären dementsprechend nicht auf die Ablösung anzurechnen. Daher rührt auch das gelegentlich zu lesende Argument, eine Miete werde ja auch dann nicht zum Kauf, wenn der über die Jahre gezahlte Mietzins den ursprünglichen Wert der Sache deutlich übersteige (vgl. etwa hier und hier).
Auf der anderen Seite – und insofern hinkt der Vergleich mit der Miete deutlich – ist die Regelung in Artikel 138 Absatz 1 WRV klar auf Beendigung der Dauerleistung gerichtet. Der formulierte Verfassungsauftrag ist der einer Ablösung der Staatsleistungen, nicht einer Fortzahlung. Auch kann kein ernsthafter Zweifel bestehen, dass der mit den Staatsleistungen verfolgte Ausgleichzweck, insbesondere die Entschädigung für Vermögensverluste im Zuge der Säkularisierung, längst (über-)erfüllt ist. Materiell haben also Positionen, die eine Berücksichtigung beziehungsweise Anrechnung der bereits gezahlten Staatsleistungen einfordern, durchaus ihre Berechtigung. In den ersten Jahren der Geltung der WRV mag ein voller Wertersatz nachvollziehbar gewesen sein. Nach mehr als 100 Jahren hat eine rein historisch-normative Betrachtung ihre legitimierende Wirkung verloren. Hinter der Forderung nach vollem Wertersatz scheint methodisch ein erstaunlicher Originalismus bei der Verfassungsauslegung auf, wie er in Deutschland eigentlich nirgends vertreten wird. Deshalb ist neueren Stimmen in der Literatur beizupflichten, die anstelle eines vollen Ersatzes nur einen angemessenen Ausgleich verlangen. So formuliert es übrigens auch Artikel 18 Absatz 3 des Konkordats mit dem Heiligen Stuhl aus dem Jahr 1929.
Anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften droht zusätzliche Ungleichbehandlung
Hinzu tritt ein Gleichbehandlungsproblem, das bislang zu wenig berücksichtigt wird. Die Orientierung an den Säkularisierungen des 19. Jahrhunderts und dem Bestand des Jahres 1919 hat eine Privilegierung der christlichen Kirchen im Vergleich zu anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zur Folge. Das ist den Haushaltsgesetzgebern in den Ländern schon länger bewusst und sie haben sich deshalb vielfach dafür entschieden, auf freiwilliger Basis – und mit teilweise expliziten Hinweisen auf Gleichbehandlungserfordernisse – auch anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften entsprechende zweckungebundene, allgemeine Zuwendungen zu zahlen (vgl. z.B. die Vorbemerkung zu Kapitel 05 52 des Bayerischen Haushaltsplans 2021, S. 265). Diese Zahlungen machen darauf aufmerksam, dass auch die Landesgesetzgeber davon ausgehen, dass die allein historische Rechtfertigung mit dem Ausgleich für Vermögensverluste im 19. Jahrhundert schon länger nicht mehr trägt.
legitimierende Wirkung verloren.
Aber: Diese Praxis kommt – soweit ersichtlich – überwiegend Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zugute, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) verfasst sind. Während also beispielsweise in Bayern für den Bund für Geistesfreiheit als KdöR eine Ausgleichzahlung erfolgt, gibt es in den entsprechenden Kapiteln der Länderhaushalte nirgends vergleichbare, zweckungebundene Zuweisungen an muslimische Gemeinschaften. Inwiefern die rechtliche Organisationsform ein geeignetes Kriterium für die Einbeziehung in entsprechende Leistungen sein soll, erschließt sich nicht. Hierin liegt eine gleichheitswidrige Benachteiligung muslimischer (und anderer nicht erfasster) Gemeinschaften. Diese Ungleichbehandlung würde durch einen vollen Wertersatz für die nach Artikel 138 Absatz 1 WRV abzulösenden Staatsleistungen weiter verschärft.
Ein angemessener Ausgleich muss die bisherigen Leistungen berücksichtigen
Geschuldet ist nach allem kein am Äquivalenzprinzip orientierter voller Wertersatz, sondern nur ein angemessener Ausgleich. Wenn der Gesetzgeber jetzt tätig wird, so muss er sehen, dass er einen mehr als 100 Jahre alten Verfassungsauftrag nachholt. Dies lässt sich nicht bewerkstelligen, indem man schlicht genau jene Rechenoperationen anstellt, die eigentlich in den frühen 1920er Jahren erforderlich gewesen wären. Vielmehr muss eine wertende Gesamtschau erfolgen, bei der einerseits zu berücksichtigen ist, dass der Zweck einer Entschädigung für Säkularisierungen des 19. Jahrhunderts lange erfüllt ist und jede weitere Zahlung allein an die christlichen Kirchen die ohnehin bereits bestehende Ungleichbehandlung anderer Religionsgemeinschaften verstärkt. Auf der anderen Seite lässt sich nicht bestreiten, dass der Auftrag der Ablösung aus Artikel 138 Absatz 1 WRV bislang nicht umgesetzt wurde. Daraus resultieren Vertrauenstatbestände, die man nicht ignorieren kann. Nur für diese gilt es jetzt eine Richtgröße zu finden.
Dieser Artikel erschien zuerst unter einer CC-BY-SA-Lizenz beim Verfassungsblog.
9 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Die kriminelle Kirche kann doch das Lachen kaum mehr zurückhalten, über die Dummheit
der Politiker seit über ein Jahrhundert und das Steuerzahlende Volk lässt dies alles zu ohne
Diese längst als verlogen und scheinheilig entlarvten Kirchen müssten seit langer Zeit auf den Müllhaufen der Geschichte landen, aber die Politik klammert sich aus Gründen der eigenen Machterhaltung noch immer an diese ebenso verlogenen Institutionen Kirchen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nicht "Ablösung [...] durch einen Einmalbetrag", sondern Beendigung der Staatsleistungen ohne jede 'Entschädigung' wäre meine Forderung; die Kirchen schwimmen förmlich in Raubgut.
Roland Weber am Permanenter Link
Angesichts der durchaus zutreffenden Ansicht der AfD mit ihrem Entwurf und der hier gewählten Überschrift "Eigentlich schon lange quitt" erschließt sich die zögerliche Auffassung der Autoren nicht!
Andere Staaten sehen und sahen sich als Souverän und legten von sich aus fest, ob bei neuer staatlicher Organisation überhaupt etwas an die Kirchen zu zahlen ist. Regelmäßig: Nein!
Was hier problematisiert wird, ist ein ganz spezielles Problem aus deutscher staatlicher Verzagtheit, Konfliktscheue und Romtreue. Ein Ausgleich für die evangelische Kirche ist ohnehin eine nicht gerechtfertigte Gleichbegünstigung.
Mehr Mut und Entschlossenheit, ihr Freunde des Humanismus und der Säkularisation - und das gilt auch für die Parteien-Vertreter!!!
Da gibt es schon lange nichts mehr zu verlieren (da der Staat nahezu alle Sozialleistungen finanziert, die früher die Kirche als ihr Aufgabengebiet ausgab), sondern nur noch zu gewinnen. Gott kommt bestimmt auch mit weniger aus! (Siehe Ausland!) Schließlich bleibt immer noch eine Kirchensteuer, die ebenfalls im Ausland und bei anderen Religionen vollkommen unbekannt ist!
Klaus Bernd am Permanenter Link
Ich bin ja kein Jurist, aber für mich gibt es da eine unangreifbare Argumentationskette:
- ohne eine „Enteignung“ sind die Dotationen verfassungswidrig, da sie einzelne Religionsgemeinschaften bevorzugen.
- solange sie das nicht leisten, und sie haben das 200 Jahre lang nicht getan, haben sie keinen Anspruch auf diese Entschädigungsleistungen
- das Grundsätzegesetz könnte sich also darauf beschränken, die Länder anzuweisen, die Erfüllung dieser Bedingungen einzufordern.
Und warum sollten die Länder die Zahlungen nicht einfach bis dahin einstellen – Hamburg und Bremen tun das doch schon - oder auf einem speziellen Konto einfrieren oder in eine Stiftung einbringen.
Ich bin aber dafür, die Abschaffung der Kirchensteuer zu priorisieren. Laut „Violettbuch Kirchenfinanzen“ von Carsten Frerk kostet die den Staat mehr als dreimal soviel im Jahr; 1,8 Mrd € im Jahr 2009 (!). Die Rechtslage dürfte da doch sowas von eindeutig sein (s.u.).
Man könnte sich Aktionen vorstellen, dass Arbeitnehmer die entsprechende Angabe auf der Lohnsteuerkarte verweigern; oder sie gehen juristisch gegen eine entsprechende Auskunft von Behörden vor…
GG:
»Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
...
Art. 136
...
(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.«
Demnach haben die Arbeitgeber nicht das Recht, die Religionszugehörigkeit eines Mitarbeiters abzufragen wie das für den Kirchensteuereinzug über die Lohnsteuer erforderlich ist.
foobar am Permanenter Link
Ich frage mich ja, ob es wirklich sinnvoll ist, jetzt auf eine Ablösung hinzuarbeiten.
Wenn das Maximum des aktuell Erzielbaren wäre, den Barwert der zukünftigen Zahlungen sofort zu zahlen, dann hätte man finanziell dabei ja nichts gewonnen.
Es scheint mir aber wahrscheinlich, dass sich mit anderen politischen Rahmenbedingungen bessere Konditionen durchsetzen lassen sollten.
Noch sind in den Parteien und Parlamenten viele den Kirchen zugetane Menschen zu finden, die im Zweifel wahrscheinlich an einer großzügigen Zahlung nichts auszusetzen hätten. Ähnlich sieht es tendentiell in der allgemeinen Öffentlichkeit aus, die zumal natürlich oftmals auch noch ein sehr verzerrtes Bild davon hat, wofür Kirchen ihre Mittel einsetzen.
Wenn die Religiosität weiter abnimmt, wäre aber ja durchaus vorstellbar, dass es irgendwann ein offensichtlicher gesellschaftlicher Konsens wäre, dass Zahlungen hoher Ablösebeträge an eine kleine Minderheit von Mitgliedern einiger gesellschaftlich nicht weiter bedeutsamer Sekten über das rechtlich zwingend gebotene hinaus vollkommen inakzeptabel sind.
Gleichzeitig scheinen mir schlechtere Konditionen in der Zukunft sehr unwahrscheinlich, denn einen nennenswerten Aufschlag auf den Barwert dürfte auch im heutigen politischen Klima wohl kaum zu rechtfertigen sein.
Solange eine Ablösung zum Barwert im Raum steht und eine Verschlechterung der Konditionen nicht zu erwarten ist, verliert man finanziell nichts, wenn man einfach die Zahlungen fortsetzt - und kann so risikolos auf eine Zeit warten, in der sich politisch eine günstigere Lösung durchsetzen lässt.
Im Grunde scheint es mir insofern im Interesse der Kirchen, eine schnelle Ablösung herbeizuführen.
Die Lage wird natürlich durch die politisch damit verbundenen Zahlungen an andere Gemeinschaften verkompliziert - wenn diese mit einer Ablösung an die christlichen Kirchen ebenfalls entfallen würden, kann es sich natürlich finanziell eher lohnen. Wenn andererseits dann der politische Konsens wäre, auch diesen Gemeinschaften eine Ablösung zu zahlen, dann wäre aber natürlich auch wieder nichts gewonnen.
Naja, die Details sind komplex, aber jedenfalls scheint mir, dass man die Grundannahme, eine möglichst schnelle Ablösung wäre im Interesse der sekularen Gesellschaft, durchaus mal hinterfragen sollte.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Grundsätzlich würde ich Ihnen zustimmen. Das mögliche ABER haben Sie bereits selbst erwähnt.
Die Kirchen genießen einen starken Rückhalt in der Politik. Und das verzerrte Bild der Kirchen in der allgemeinen Öffentlichkeit ist bislang immer noch positiv.
Trotz zahlreicher Austritte und öffentlichen Skandalen sehe ich bislang keine Meinungsänderung in der Öffentlichkeit. In der Politik befürchte ich sogar, dass die entschieden Religiösen weiterhin eine bedeutende Rolle spielen werden.
Unechter Pole am Permanenter Link
Ich zitiere: „ Subventionen im Sozial- und Gesundheitssektor (die die Kirchen unter den gleichen Bedingungen erhalten wie private Träger der freien Wohlfahrtspflege)“.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Der grundsätzlichen Ablehnung einer originalistischen Sicht auf die Ablösuingsproblematik ist zuzustimmen.
Was bleibt, ist der Vertrauenstatbestand, der sich nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen aus dem "Durchschleppen" des Verfassungsauftrages über 100 Jahre ergibt. Diesen Schuh muss sich der Gesetzgeber anziehen, was nicht dadurch einfacher wird, dass es ja eine ganze Reihe von Gesetzgebern (wenn auch alle in der Nachfolge des Deutschen Reichs) sind, die sich hier an die Nase fassen müssten. Wobei man sehr unterschiedliche Intentionen in unterschiedlichen historischen Abschnitten vermuten darf. So kam es bei der Formulierung des Grundgesetzes aus rein pragmatischen Gründen zur Inkorporation des sog. Staatskirchenrechts der WRV. Niemand wollte die junge Bundesrepublik, noch tief in den Nachkriegswehen, mit einem Kirchenkonflikt einerseits oder einer immensen finanziellen Belastung andererseits befrachten.
Und nun? Dass das Bewertungsrecht hier nur eine höchst vordergründige Blaupause für die Lösung des Problems liefern kann, ist offensichtlich. Auch der Aspekt einer Ungleichbehandlung anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts, die diesen Status über den Art. 140 GG erreicht haben, scheint mir sachfremd und ebenso "originalistisch". Wer diesen Statuz erst nach der Verabschiedung der WRV erlangt hat, kann schlechterdings keine Teilhabe an historisch bedingten Entschädigungsleistungen haben, sieht man das Problem teleologisch.
So kann man das Problem langsam einkreisen, ohne es einer wirklichen Lösung näherzubringen. Mir scheint, obwohl juristische Denkweisen gewohnt, hier so langsam die alexandrinische Lösung angezeigt: ein Ende der Staatsleistungen und eine allfällige Entschädigung wird schlicht mit den unbezweifelbaren Überzahlungen der letzten 100 Jahre verrechnet. Punktum. Ok, angezeigt vielleicht, aber ich bin Realist genug, um zu wissen, dass es so nicht kommen wird. Der Karren ist tief im Schlamm und alle müssen mithelfen, ihn rauszuziehen.
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Ihr Kommentar trifft absolut ins Schwarze.
Ihr letzter Satz aber ist sehr wichtig, und alle religiös nicht eingeschränkten Bürger dieses Landes müssten sich daran halten. Ich versuche, in meinem Freundeskreis Aufklärungsarbeit zu leisten. Aber besser wäre es, wenn die säkularen Mitglieder der Parteien ohne "C" sich dazu aufraffen könnten, die Bevölkerung über die 100- bzw. 200-hundertjährigen Zahlungen an die Kirchen in großem Stile aufzuklären. Das könnten z.B. halbseitige Informationen in den großen Tageszeitungen sein, Versammlungen, zu denen die Parteien einladen, Plakate etc. Es soll ja jetzt auch bei der SPD eine säkulare Gruppierung geben, damit nicht immer nur Ingrid Matthäus - Mayer als Frontfrau der Nichtreligiösen auftreten muss.