Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen, erfahren derzeit beispiellose Solidarität und Unterstützung, sowohl auf offizieller wie privater Ebene. So begrüßenswert das ist, fragt man sich doch, warum wir dazu nun auf einmal in der Lage sind – und es 2015 nicht waren. Auch erhalten andere, noch verheerendere humanitäre Krisen auf der Welt keine vergleichbare Aufmerksamkeit, obwohl sie ihnen mindestens in gleichem Maße zustehen würde.
Bis zum Osterwochenende sind laut Angaben des Bundesinnenministeriums rund 350.000 Personen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Wobei dies lediglich eine grobe Schätzung ist, denn eine systematische Erfassung der Geflüchteten erfolgt nicht. Dies liegt zum einen daran, dass Ukrainerinnen und Ukrainer visafrei nach Deutschland einreisen und sich dort bis zu 90 Tage aufhalten dürfen. Zum anderen liegt es auch am Wunsch der Politik, die Menschen aus der Ukraine mit möglichst wenig Restriktionen zu behelligen. Dem ist durchaus zuzustimmen: Personen, die vor Krieg fliehen, müssen nun wirklich nicht mit überbordender Bürokratie drangsaliert werden.
Dennoch erstaunt der Umgang mit den ukrainischen "Gästen", besonders im Vergleich mit der "Flüchtlingskrise" ab 2015. Die Geflüchteten, die zumeist 2015 und 2016 hierher kamen, wurden gemäß Königsteiner Schlüssel direkt auf die Länder verteilt, teilweise mehrfach und ohne jegliche Rücksicht auf familiäre Bindungen, die nun plötzlich von der Politik beschworen werden. Was nun wünschenswert erscheint – das Unterkommen bei Verwandten oder Bekannten – war den Geflüchteten von 2015 strikt untersagt, selbst der bloße Besuch war verboten, sofern es sich um ein anderes Bundesland handelte.
Man wundert sich schon: Was 2015 überreglementiert erschien, macht nun den Eindruck von laissez faire. Die unterschiedliche Behandlung der "alten" und "neuen" Geflüchteten spiegelt sich auch in anderen Bereichen wider: Asylverfahren? Nicht nötig. Geld vom Sozialamt? Nicht doch, Grundsicherung vom Jobcenter. Obligatorische Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung? Fehlanzeige. Arbeitserlaubnis? Ja, sofort. Anerkennung von Bildungabschlüssen? Beschleunigt. Zugtickets? Natürlich kostenlos. Gefühlt hat inzwischen die Hälfte der Personen aus meinem Umfeld Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Mehr als 100 Millionen Euro wurden in Deutschland bislang aus privater Hand für die Ukraine gespendet. Selbst Länder wie Polen, die 2015 noch mit Stolz verkündet haben, so gut wie keine muslimischen Flüchtlinge aufgenommen zu haben und noch bis vor zwei Monaten Geflüchtete aus dem Nahen Osten an der belarussischen Grenze erfrieren haben lassen, haben nun im großen Stil die Nächstenliebe entdeckt.
Verstehen Sie mich nicht falsch: ich finde es ganz wunderbar, wie sich Menschen und Politik engagieren. Genau so muss es sein. Es zeugt von großer Empathie und zivilgesellschaftlichem Engagement. Nur frage ich mich, wo eben jene Empathie für Personen aus anderen Weltregionen bleibt. Seit mehr als sieben Jahren tobt beispielsweise im Jemen ein erbarmungsloser Krieg, bei dem bislang Hunderttausende umgekommen sind. Die meisten übrigens aufgrund der katastrophalen humanitären Situation: Hunger, unzureichende medizinische Versorgung etc. Über zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren sind dort akut mangelernährt, Säuglinge und Kleinkinder sterben an eigentlich vermeidbaren Krankheiten, die aufgrund des zusammengebrochenen Gesundheitssystems nicht behandelt werden können.
Ähnliches spielt sich in Syrien und Äthiopien ab. Wo ist die Empathie und die mediale Aufmerksamkeit hier? Wo sind die 100 Millionen Euro an privaten Spendengeldern? Im März wurde bei einer UN-Geberkonferenz für den Jemen nicht einmal die Hälfte der erforderlichen Gelder zugesagt, die Medien berichten kaum über das Land. Natürlich, die Lage in der Ukraine, gerade in Städten wie Mariupol, ist katastrophal, anders kann man es nicht sagen. Bei der medialen Aufmerksamkeit, welche der Krieg und das Leid in der Ukraine erhalten, kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass es sich um die größte humanitäre Katastrophe der Welt handelt. Doch dies ist eben nicht der Fall.
Wo liegt also der Unterschied? "Die Menschen in der Ukraine stehen uns näher" oder "Das ist ein Krieg auf europäischem Boden" hört man landläufig. Wenn jedoch die Fähigkeit, Empathie zu empfinden, nicht davon abhängt, was einem Menschen widerfahren ist, sondern lediglich, woher dieser kommt, ist dies nicht nur – gelinde gesagt – primitiv, sondern schlicht rassistisch. Rassismus kommt nicht immer in Springerstiefeln und Bomberjacke daher (obwohl das durchaus wünschenswert wäre, dann könnte man ihn leichter erkennen!). Nein, rassistische Denkmuster sitzen meist tief verwurzelt und sind einem oftmals nicht einmal bewusst. Dennoch sind sie vorhanden und beeinflussen unser Denken und Handeln.
Neben der "Ukrainer stehen uns kulturell näher"-Argumentation gibt es noch ein weiteres Narrativ, welches gerade en vogue ist: "Anders als 2015 kommen nun vor allem Frauen und Kinder, die (heroischen) ukrainischen Männer verteidigen ihr Heimatland!" Während dies nicht per se falsch ist, impliziert die Aussage oft noch einen zweiten Teil, der jedoch meist nicht explizit ausgesprochen wird: "Wäre das mal 2015 so gewesen! Aber die (feigen) geflüchteten Männer, die 2015 zu uns kamen, haben ja stattdessen Land (meist Syrien, Irak, Afghanistan) und Familie im Stich gelassen, um ihre eigene Haut zu retten!" So oder so ähnlich dürfte die Argumentation in vielen Köpfen lauten.
Was dabei großzügig außer Acht gelassen wird, sind die gravierenden Unterschiede. Erstens: Die Konflikte, die sich zu dieser Zeit in Syrien, Irak und Afghanistan abspielten, sind keine Kriege wie der aktuelle Krieg in der Ukraine, bei dem ein Staat gegen einen anderen kämpft. Beispiel Syrien: Wem hätte sich ein syrischer Mann 2015 anschließen sollen? Der Armee von Assad, um auf die eigenen Leute zu schießen? Wohl eher nicht. Dem sogenannten Islamischen Staat, um einen Gottesstaat zu errichten? Kaum. Zweitens: Fluchtkorridore ins sichere Ausland, wie sie den Menschen in der Ukraine glücklicherweise zur Verfügung stehen, gab und gibt es in den genannten Ländern nicht. Vielmehr ist der Fluchtweg nach wie vor extrem gefährlich: bis heute ertrinken regelmäßig Personen auf seeuntüchtigen Schlauchbooten auf dem Mittelmeer. Zudem bleibt die Flucht kriminalisiert, ohne einen Schlepper ist sie kaum zu bewältigen. Man kann nun einmal in sich gehen und darüber nachdenken, ob man selbst Frau und Kinder in ein solches Boot gesetzt hätte. Aber gut, zu Hause auf dem Sofa redet es sich natürlich leicht.
Im Ergebnis bleibt Ernüchterung, Desillusionierung und auch Wut. Nicht nur bei mir, sondern vielmehr bei Menschen aus den bislang "klassischen" Fluchtherkunftsländern, die sich nun zu Recht fragen, wieso Europa mit zweierlei Maß misst und scheinbar in Flüchtlinge erster und zweiter Klasse unterteilt. Das gleiche Europa, welches sonst – zu Recht! – weltweit für die Einhaltung von Menschenrechten eintritt und sich gegen Rassismus engagiert. Zuletzt äußerte sich der Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus dazu und stellte infrage, ob die Welt schwarzen und weißen Leben wirklich die gleiche Beachtung schenke. Viele Kommentatoren aus dem Nahen Osten, Vorderasien und Afrika kommen zu ähnlichen Schlüssen. Neben dem ethischen Aspekt hat somit nicht zuletzt die außenpolitische Glaubwürdigkeit Europas Schaden genommen.
26 Kommentare
Kommentare
Thomas Hellgrewe am Permanenter Link
Was Sie schreiben, ist die beschämende Wahrheit. Sie sprechen mir aus der Seele.
David Z am Permanenter Link
Wenn Sie glauben, dass viele vernachlässigt werden und Sie das wütend macht, warum helfen Sie dann nicht mehr?
Therese Dietrich am Permanenter Link
2015 war ja der Terrorismus zu bekämpfen, da ging es noch immer um den Kampf gegen die Achse des Bösen.
Ganz anders jetzt bei diesem verbrecherischen Angriffskrieg des durchgeknallten Porentaten und seiner Knechte!!
Die Ukraine kämpft für unsere Demokratie!!!!
Norbert Schnitzler am Permanenter Link
Die Autorin hat Islamwissenschaften studiert und arbeitete bei einem kirchlichen Träger. Wie kommt sie zum "Humanistischen Pressedienst"?
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass sie die säkulare Flüchtlingshilfe nicht kennt. Es ist auch etwas dürftig, den Syrern als Alternative zur Flucht nur Anschluss bei Assad oder dem IS vorzuschlagen, weil das wahrscheinlich kein Leser m.w.d. möchte. Gab es nicht auch Kurden m.w.d.?
Martin am Permanenter Link
Ich verstehe Ihren Beitrag nicht.
Die Autorin hat Islamwissenschaften studiert, nicht islamische Theologie und sie ist keine Imamin.
Der Artikel selbst enthält auch keinerlei religiöse Propaganda, sondern vertritt vor allem eines: Humanistische Werte, universelle Werte.
Ilse Rose am Permanenter Link
Mir geht es wie Ihnen: wie jetzt Flüchtlinge aus der Ukraine behandelt werden, ist völlig in Ordnung, aber es schmerzt mich andererseits, wenn ich an die Menschen denke, die 2015 und weit davor als Asylsuchende zu uns
Deutschland und Europa nehmen Schaden, aber bei wem? In den Ländern, die nach wie vor nicht auf der Prioritätenliste stehen, also wen interessiert das? Was, wenn wir uns auf die Flucht begeben müssen, wohin? Zu wem? Wer nimmt mich, dich, uns?
Roland Fakler am Permanenter Link
Die Argumente haben sie genannt: 1. Frauen, Kinder und Alte hält man für schutzbedürftiger als junge Männer. 2. Die Ukraine steht uns geografisch näher. Es fehlen 2 wichtige Argumente. 3.
K. Zeiler am Permanenter Link
Danke, Herr Fakler, für diese wichtige Richtigstellung. Vergewaltigungen und die (Nicht-)Bereitschaft, unsere Kultur anzuerkennen sind Dinge, die man nicht so leicht erträgt und auch nicht vergisst.
Johannes Reiter am Permanenter Link
Wobei Sie, Herr Fakler, natürlich einige Dinge geflissentlich übersehen, die auch im Artikel anklingen:
1., Eben jene Kräfte, die Frauen, Kinder und Alte für schutzbedürftiger halten, hätten auf sichere Fluchtwege und unkomplizierten Familiennachzug drängen müssen, deren Nichtvorhandensein die Zusammensetzung der Fluchtwelle 2015/16 bedingt hat. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Stattdessen geht die Flüchtlingspolitik, die die politische Rechte fordert, offensichtlich zulasten der Schwächsten.
2. Die Werte, von denen Sie sprechen, sind nicht westlich und nicht östlich, sondern universell. Es mag sein, dass sich in der Ukraine insgesamt mehr Menschen mit einer liberalen Demokratie identifizieren können als etwa in Syrien; dass Muslime sie per se nicht akzeptieren würden, ist ebenso wenig zu halten wie die Suggestion, die Geflüchteten seien allesamt Muslime gewesen. Straftaten jeder Art sind immer Taten einer Minderheit gewesen und haben sich im Übrigen mindestens so viel gegen andere Geflüchtete gerichtet wie gegen deutsche Staatsbürger.
Ich wüsste, Herr Fakler, nicht, worin diese unsere Werte bestehen sollten - wenn nicht genau in dem, was angesichts der letzten Flüchtlingswelle eben nicht geleistet wurde: In erster Linie das Individuum zu betrachten - und nicht nur seine Herkunft und Kultur - und keinem Menschen aufgrund von Eigenschaften, für die er nichts kann (wie etwa seinem Geschlecht) ein schlechteres Recht auf Schutz zuzusprechen.
Roland Fakler am Permanenter Link
Hallo Herr Reiter In vieler Beziehung haben sie ja Recht. Zu 1. Es hätte vieles anders laufen sollen. Letztlich entscheidet aber die gewählte Regierung wie der Staat handelt und nicht einzelne Grüppchen.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kairoer_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte_im_Islam
David Z am Permanenter Link
1. Warum geht es " zulasten der Schächsten" , wenn D hundertausende Frauen und Kinder
aus der Ukraine aufnimmt?
2. Wenn unsere Werte universell sind warum werden dann Frauen zB in Afghanistan, Iran, Pakistan Saudi Arabien uvm gezwungen, Kopftuch zu tragen, Schwule aufgrund ihres Schwulsein erhängt und Dieben die Hand abghackt?
3. Dass es Muslime gibt, die hinter den Werten stehen, die wir im Westen pflegen, steht ausser Frage und hat niemand geleugnet.
4. Dass die Migration nach Europa bzw D einen sehr grossen Anteil von Menschen aus muslimisch geprägten Ländern aufweist, lässt sich in jeder Statistik nachlesen.
5. Nein, Straftaten jeder Art werden nicht "immer von Minderheiten" begangen. Die Minderheit der ostasiatischen Migranten taucht in der Kriminalstatistik zB gar nicht erst auf.
6. Der Umstand, dass sich Gewalt von Migranten auch gegen andere Migranten richtet ist ein groteskes Argument. Halten Sie die Unversehrtheit von Migranten für weniger wert als die der Eingeborenen?
7. Sie wissen nicht, worin unsere Werte bestehen? Wie können Sie sich hier zu Wort melden bzw jemals ethisches Handeln bewerten, wenn Sie das nicht wissen?
8. Wie wollen Sie bei 300 Millionen Flüchtlingen/Migranten das Individuum bewerten?
9. Wir haben 2015 ff. kein "schlechteres Recht" ausgesprochen. Man könnte allenfalls sagen, dass den Ukrainern eine "besseres" Recht zuteil wurde. Das ist ein riesen Unterschied. Die Gründe für diesen positiven Vertrauensvorschuss sind ja oben bereits genannt.
David Z am Permanenter Link
Weil die eine Gruppe aus tatsächlichen Kriegsflüchtlingen, grösstenteils Frauen und Kindern eines ähnlichen Kulturkreises, besteht, die aus einem in unsere Nähe stattfinden Kriegsgebiet flüchten während die andere Gru
Ist der Gedanke so abwegig, dass die geographische und kulturelle Nähe bzw Distanz zu einer Region sich selbstverständluch auch in dem Ausmass der Solidarität wiederspiegelt?
Ja, auch bei mir bleibt Ernüchterung. Ernüchterung darüber, dass es tatsächlich immer noch Menschen bei uns gibt, die glauben, Europa oder gar Deutschland allein könne und solle (!) nicht nur die ganze Welt beherbergen sondern auch noch alimentieren. Da fehlen einem echt die Worte.
Johannes Reiter am Permanenter Link
Woher Sie das alles nun wissen wollen und wie Sie zu Ihren Unterstellungen an "Menschen bei uns" kommen, Herr Z, bleibt offen.
Bei Stichworten wie "archaisch" wird gerne vergessen, dass noch um die Mitte des letzten Jahrhunderts in weiten Teilen Europas ähnliche Moralvorstellungen die Gesetze leiteten wie heute in der Türkei oder in Syrien.
Frauen aus diesen Ländern sind ebenfalls unter ihnen sozialisiert - was also soll der ständige Hinweis auf die "Jungmänner" (übrigens eine befremdliche Bezeichnung für einen 25-Jährigen in einem Land wie Afghanistan, in dem die Lebenserwartung gerade 50 Jahre beträgt)? Dass es sich bei den Geflüchteten seit 2015 ganz oder überwiegend um junge Männer gehandelt hätte, ist ohnehin unzutreffend. Die offiziellen Statistiken stützen diese Darstellung so nicht.
Ihr Gedanke ist in der Tat nicht nur nicht abwegig, er ist genau das, was die Autorin kritisiert. Weil man nämlich nicht gut beanspruchen kann, für Menschenrechte zu streiten, wenn man sie nur nach Maßgabe des Geschlechtes, des Alters, der Herkunft, des kulturellen Hintergrundes und der - behaupteten - Fähigkeit oder Bereitschaft von Menschen, sie selbst zu leben, gewähren will. Genau das widerspricht dem Konzept fundamental.
David Z am Permanenter Link
1. Nö. Da ist gar nichts offen. Der Artikel argumemtiert doch genau in diese Richtung. Ihre Argumentation ebenfalls.
2. Dass in der Vergangenheit auch andere Kulturen archaischen Konzepten nachgingen, ist sicherlich richtig, hier im Kontext aber unerheblich. Relevant ist die Gegenwart.
3. Der Hinweis auf die Jungmänner erfolgt deshalb, weil es die Realität beschreibt. Finden Sie das präzise Beschreiben der Realität falsch? Wie Sie darauf kommen, dass es nicht überwiegend junge, männliche Personen waren, bleibt völlig unklar. Es würde am Sachverhalt allerdings auch nicht viel ändern, wenn es 50% Jungmänner wären, denn dass die absolute Mehrheit der aus der Ukraine geflüchteten Personen Frauen und Kinder sind und wir damit einen klaren Kontrast haben, ist Ihnen doch hoffentlich klar.
4. Man kann sehr wohl auch dann für Menschenrechte streiten, wenn man erkennt, dass sie durch Realität und Vernunft limitiert sind. Davon abgesehen ist Immigration kein Menschenrecht.
Hermann Klein am Permanenter Link
Man könnte vielleicht nachdenken, warum Menschen nicht zu unbegrenzter und absolut gleicher Empathie allen gegenüber, jederzeit und überall auf der Welt fähig sind.
Leon Paysan am Permanenter Link
Selbstverständlich ist die Solidarität mit Menschen aus muslimisch geprägten Ländern geringer.
Wer die Ablehnung muslimischer Glaubensvorstellungen als Rassismus betitelt begeht in meinen Augen nicht nur Etikettenschwindel sondern verharmlost die Verbrechen des Nationalsozialismus.
Im Übrigen, wer überall sofort Rassismus wittert, der interpretiert allzu oft den eigenen Rassismus in die Köpfe anderer hinein.
Unechter Pole am Permanenter Link
Lediglich Unterschiede zwischen der Behandlung der Flüchtlingen Anno 2015 und 2022 zu sehen ist zu wenig. Die Zweiklassen-Flüchtlingsgesellschaft gibt es nämlich weiterhin.
KDL am Permanenter Link
Das Argument der kulturellen Nähe der Westukraine lässt die Autorin wohl nicht gelten. Warum sonst die Eingangsfrage?
Viele 2015er werden nicht zurückkehren in ihre islamischen Herkunftsländer, deren patriarchalische Kultur sie tief geprägt hat.
Wie werden sich die liberalen, emanzipatorischen Länder Europas verändern unter dem demographischen Einfluss - nicht erst seit 2015.
Dass Ukrainer uns näher stehen, sie auch für den Wiederaufbau ihres Landes zurückkehren, stellt einen wichtigen Unterschied zu 2015 dar.
Johannes Reiter am Permanenter Link
Tatsächlich, KDL, hat nie jemand behauptet, alle syrischen oder afghanischen Flüchtlinge dächten liberal, würden sich problemlos einfügen oder bei erster Gelegenheit zurückkehren.
Was die von Ihnen so genannte "Verweigerungshaltung" betrifft, so muss zumindest die Frage gestellt werden, ob diese überhaupt verlässlich auf Kultur und Werte zurückgeführt werden kann. Das ist zweifelhaft, jedenfalls genügt es nicht als Erklärung. Viele der "2015er" wussten von Anfang an, dass sie vom deutschen Staat nichts zu erwarten haben - am wenigsten einen sicheren Status - und dass das System, das sie aufnimmt, regelkonformes Verhalten nicht belohnt.
Man kann sich nicht ernstlich darüber verwundern, wenn etwa ein abfällig als "Wirtschaftsflüchtling" deklarierter Mensch, der genau weiß, dass man ihn ohnehin bei erster Gelegenheit abzuschieben hofft, keine Bereitschaft aufweist, die deutsche Sprache zu erlernen oder einer legalen Arbeit nachzugehen. Oder wenn einem Menschen, der noch nicht einmal lesen und schreiben kann und in einem unfreien politischen System aufgewachsen ist, die Einsicht in das Funktionieren eines komplexen Sozialstaats fern bleibt.
In Anbetracht der Tatsache, dass kaum ein osteuropäisches Land heute als liberale Demokratie anzusprechen ist und beispielsweise die polnische Regierung eifrig daran arbeitet, patriarchale Verhältnisse zu befestigen und Menschenrechte auszuhöhlen, erscheint mir das lose Wort von der "kulturellen Nähe" (die Sie selbst ja vorsorglich auf die Westukraine einengen) zweifelhaft. Darauf kommt es aber auch gar nicht an. Zu der Flüchtlingswelle seit 2015 hätte es nicht kommen müssen, hätte man frühere und umfassendere Maßnahmen getroffen, vor Ort zu helfen. Für die Ukraine gilt das so nicht.
David Z am Permanenter Link
Oh doch, das haben viele behauptet. Damals wurden ja sogar die Warnung von Antisemitismus und Terrorismus nicht ernst genommen, ja als irrational diffamiert.
Wie kommen Sie darauf zu behaupten, dass viele der 2015er nichts vom dt. Staat zu erwarten hatten? Selbstverständlich gab es neben dem eigentlich Ziel einer Flucht, nämlich Schutz, die bei uns übliche Alimentierung. Und die fällt global gesehen extrem grosszügig aus, selbst für europäische Masstäbe. Diese erhebliche Leistung, die Deutschland und damit indirekt jeder einzelne deutsche Steuerzahler den Migranten entgegengebracht hat (und bringt), zu negieren und sogar zu behaupten, regelkonformes Verhalten seitens der Migranten würde in D nicht belohnt, grenzt mMn schon an Unverschämtheit. Regelkonformes Verhalten ist eine Selbstverständlichkeit, grade als Gast, und bedarf keiner Entlohnung!
Der Begriff "Wirtschaftsmigrant" ist keine abfällige Beleidigung sondern eine sachliche Beschreibung der Realität. Wenn ein Flüchtling mehrere sichere Länder durchreist, um nach D zu kommen, dann ist das keine Flucht sondern die bewusste Migration in ein Land seiner Wahl, das etwas haben muss, was es als Ziel interessant erscheinen lässt. Was wird das wohl sein? Unser gutes Wetter? Oder vlt doch unser üppiges Sozialsystem?
Abschiebungen folgen bei uns den Regeln des Rechtsstaat. Wenn jemand abgeschoben wird, dann gibt es für gewöhnlich gute juristische Gründe dafür. Abschiebungen sind Teil des Asylsystems. Ohne Abschiebungen funktioniert kein Asylrecht bzw braucht es erst gar keines. Aber Sie haben in so fern Recht, dass man diese unberechtigten Personen gar nicht erst nach D hätte einreisen lassen dürfen, dann hätte sich das angesprochene Problem der Integrationsverweigerung von selbst erübrigt.
Ihre Zweifel an der kulturellen Nähe sollten sich spätestens dann in Luft auflösen, wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass in Osteuropa Homosexuelle nicht an Kränen aufgehängt oder Dieben nicht die Hände abgehackt werden (etc pp.).
Umfänglich zustimmen möchte ich Ihnen mit Ihrem letzten Satz: Die Personenbewegungen von 2015 hätten abgeschwächt oder sogar verhindert werden können, wenn man Hilfe vor Ort erhöht oder zumindest nicht reduziert hätte.
Manfred H. am Permanenter Link
"Nur frage ich mich, wo eben jene Empathie für Personen aus anderen Weltregionen bleibt.", schreibt Frau Kropp, und ergänzt: "Viele Kommentatoren aus dem Nahen Osten, Vorderasien und Afrika kommen zu äh
Der Nahe Osten, Vorderasien und Afrika sind offenbar nicht in der Lage, aus Krisenregionen Geflüchteten ausreichend unter die Arme zu greifen.
Das ist schlimm, denn ein Blick auf den Globus zeigt, dass dann nicht mehr viel übrig bleibt.
So gesehen stellt sich eher die Frage, warum man in Europa Ukrainer dem Rest der Welt vorzieht.
Vermutlich sind sie uns tatsächlich einfach näher, und zwar in jeglicher Beziehung.
Man erschrickt und denkt sich unwillkürlich: Das könnte auch mir passieren. So erklärt sich die Empathie.
Martin am Permanenter Link
"wieso Europa mit zweierlei Maß misst und scheinbar in Flüchtlinge erster und zweiter Klasse unterteilt"
Leider nicht nur scheinbar, sondern sogar anscheinend, wenn nicht sogar offensichtlich.
Es ist ein Mischung aus klassischem Rassismus und religiös-kulturellen Ressentiments:
Dunklere Haut, schwarze Haare und Augen, eine Religion, die "wir christlichen Europäer" doch schon bei den Kreuzzügen voller Nächstenliebe ausrotten wollten, mitsamt ihren Anhängern, und dann sind die doch alle so unaufgeklärt und frauenfeindlich und schwulenfeindlich und antisemitisch - was es sonst in Europa nirgends gibt, nicht in Polen und nicht in Deutschland. Der allererste Antisemit Deutschlands war vermutlich ein unbekannter Bürgerkriegsflüchtling aus dem Libanon, der sich 1982 in Kreuzberg niederließ.
Wäre ich ein bisschen optimistischer, hätte ich die Hoffnung, daß Menschen und Politik nun lernen, wie man mit Kriegsflüchtlingen umgehen sollte, egal woher sie kommen.
SG aus E am Permanenter Link
Man sollte Deutschland im Jahr 2015 nicht schlechtreden. Was damals geleistet wurde, war außergewöhnlich und wurde weltweit anerkannt. Hier nur eine Stimme einer Zeitzeugin:
„Nach der Katastrophe hat sich Deutschland exemplarisch benommen. Nichts wurde geleugnet. Antisemitismus war nicht mehr modern. Heute sind andere Zeiten. Die Welt ist voller Flüchtlinge. Für uns haben sich die Grenzen damals hermetisch geschlossen und nicht, wie hier, geöffnet, dank dieser unglaublich generösen, mutigen, menschlichen Geste, die hier gemacht wurde.“ (1)
Dass dann nach Neujahr 2016 die Stimmung tatsächlich kippte, war – nicht nur zum Teil – auch von den großen Medien herbeigeredet. Nach „Köln“ wurde also wieder verstärkt nach der Herkunft der Menschen gefragt und wurden Probleme mit kulturellen Unterschieden erklärt.
All jenen, die jetzt wieder (bzw. immer noch) auf angebliche kulturelle Unterschiede zwischen Menschengruppen abheben, sei Christoph Antweiler ans Herz gelegt – z.B. hier (2) oder hier:
„Eine wichtige Aussage des Ethnologen Christoph Antweiler ist, dass die ‚Überbetonung kultureller Vielfalt‘ leicht dazu führen könne, dass Kultur auf Differenz reduziert werde. Diese Sichtweise blende jedoch aus, dass es in jeder über eine gemeinsame Kultur definierten Gruppe große interne Unterschiede gebe und andererseits Menschen über Gruppengrenzen hinweg in vieler Hinsicht gleich sind – auch kulturell.“ (3)
Sein Rat:
„Lasst uns Kultur runter dimmen und mehr auf Individuen einerseits und die ganze Menschheit andererseits achten.“ (4)
—
(1) Anita Lasker-Wallfisch am 31. Januar 2018 im Deutschen Bundestag: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw05-nachbericht-gedenkstunde-rede-wallfisch-541710
(2) https://hpd.de/node/7900
(3) https://hpd.de/artikel/miz-420-erschienen-kulturkampf-relikt-150-jahren-18963
(4) https://hpd.de/artikel/identitaetspolitik-vergiftet-gesellschaft-19384
David Z am Permanenter Link
Die Aussage Antweilers ist interessant, ist sie doch grade auch ein schönes Argument gegen unsere mMn ausufernde identity policies / diversity Bewegung, die unsere Gesellschaften tendenziell wieder archaisch in Gruppe
Manfred H. am Permanenter Link
"Warum verurteilen wir den Krieg Russlands, aber nicht den der Türkei?" ist eine ebenso gute Frage - aber mit Rassismus hat auch dieser Fall von Doppelmoral wohl eher weniger zu tun.
https://www.zeit.de/zett/politik/2022-04/kurdistan-tuerkei-russland-ukraine-doppelmoral-westen?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
Martin am Permanenter Link
Na faehlt noch die Lage von LGBT+ Fluechtilnge. Die ist noch andres als fuer Cisgender and Heteros. Der Gefahr kommt aus allen Seiten.