Missbrauchsskandal: Die Spur führt nach Südamerika

Wie die Kirche Verdächtige in Sicherheit brachte

Beim Missbrauchsskandal der katholischen Kirche mehren sich die Hinweise auf eine bislang kaum beachtete Dimension der Vertuschung: Demnach sollen die Verantwortlichen verdächtige Priester aus Deutschland in lateinamerikanische Länder versetzt haben, wo sie vor den deutschen Ermittlungsbehörden sicher waren. Darauf weisen Recherchen des ARD-Magazins "report München" und der spanischen Tageszeitung El País hin.

Eine zentrale Rolle spielte dabei der prominente Theologe Emil Stehle (1926 – 2017), der in den 1960ern als Leiter der Fidei Donum-Koordinationsstelle für die Missionierung in Lateinamerika zuständig war. Darüber hinaus war er Berater des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat und wurde später erster Bischof von Santo Domingo de los Colorados in Ecuador. Adveniat schmückt sich gern mit den Leitbildern Menschenrechte und Nächstenliebe. Doch Gelder des Hilfswerks ermöglichten es ausgerechnet einem per Haftbefehl gesuchten Priester aus Deutschland, in Paraguay unterzutauchen. Dem Mann aus dem niedersächsischen Süpplingen warfen die deutschen Ermittlungsbehörden wiederholte sexuelle Übergriffe auf Jungen aus seiner Jugendgruppe vor.

Die Unterlagen sind erst jetzt ans Tageslicht gelangt, nachdem sie jahrelang in einem alten, noch verschlossenen Umzugskarton im Archiv des Bistums Hildesheim ruhten. Ihre Entdeckung ist der Juristin Antje Niewisch-Lennartz zu verdanken, die als Leiterin einer externen Untersuchungskommission den Missbrauchsvorwürfen gegen den früheren Hildesheimer Bischof Heinrich Janssen nachgeht. Der 1988 verstorbene Janssen war Adressat eines brisanten Briefes von Stehle, den Niewisch-Lennartz unter all den Dokumenten fand. Das Papier gehörte zur Akte eines laut Medienberichten "straffälligen" Priesters, dessen Klarname den Akten zufolge aus allen kirchlichen Unterlagen entfernt wurde.

In dem Schreiben empfiehlt Stehle, "den hier nicht genannten Herrn anderenorts, und zwar nicht nur in einer anderen Diözese, sondern auch in einem Land einzusetzen." Weiter heißt es: "Ich darf im Sinn Ihres Briefes annehmen, dass Sie einverstanden sind, wenn ich Ihnen diesen neuen Einsatzort nicht bekannt mache und Sie Dritten gegenüber folglich auch keine Auskunft geben können."

Dies sei wahrscheinlich kein Einzelfall gewesen, vermutet Niewisch-Lennartz gegenüber "report München". In Anbetracht der Formulierungen im Brief nimmt sie an, "dass da ein Verfahren beschrieben wird, wie man das eben macht, wenn man jemanden verschwinden lassen möchte".

Hat die katholische Kirche also im großen Stil Tatverdächtigen beim Untertauchen geholfen? Weitere Fälle sind inzwischen bekannt geworden. So teilte das Bistum Cali (Kolumbien) mit, dass von dort ein Priester in Stehles damalige Diözese Santo Domingo de los Colorados gesandt worden sei. Gegen den Mann hätten Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen vorgelegen. Zehn weitere Fälle aus der Ära Stehle und seines Nachfolgers arbeitet das Bistum seit 2016 auf.

Zudem gibt es Missbrauchsvorwürfe gegen Emil Stehle selbst. Mehr als zehn Frauen hätten sich laut "report München" als frühere Opfer bei der Kirche gemeldet, die jüngste Betroffene soll zum Zeitpunkt der Tat erst elf Jahre alt gewesen sein. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) teilte zu den Vorfällen mit: "Das von Emil Stehle gezeigte Verhalten ist in jeder Hinsicht verwerflich." Wie sie weiter mitteilte, würden die Fälle derzeit untersucht. Ob die Ergebnisse, wie von der DBK in Aussicht gestellt, tatsächlich noch in diesem Monat bekannt werden, bleibt abzuwarten.

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