Quo vadis, Homöopathie?

Am Samstag hat die Vertreterversammlung der Landesärztekammer (LÄK) Baden-Württemberg beschlossen, dass die Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung der LÄK gestrichen werden soll. Für das Inkrafttreten bedarf es aber noch einiger Verfahrensschritte wie der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf mögliche Einschränkungen der Berufsausübung und letztendlich der Genehmigung der Aufsichtsbehörde.

Baden-Württemberg ist die dreizehnte von insgesamt 17 Landesärztekammern, die einen solchen Beschluss seit 2019 gefasst haben. Na und?, mag sich mancher fragen. Ist das nicht inzwischen Business as usual? Nachdem sogar Bayern im Oktober 2021 mit großer Mehrheit entsprechend beschlossen hatte …

Keineswegs!

Die Entscheidung in "The Länd" war kaum bis nicht zu prognostizieren. Baden-Württemberg gilt als eine Hochburg der fälschlich so genannten "Alternativmedizin", viele Hersteller dieses Sektors sind hier ansässig, die regionale Lobby dürfte die stärkste aller Bundesländer sein. 2018 beschloss die schwarz-grüne Landesregierung die Einrichtung eines Lehrstuhls für Komplementärmedizin an der Uni Tübingen, was auf eine Absichtserklärung im Koalitionsvertrag zurückging: "Ziel ist es, dass alternative Heilmethoden langfristig in die Normalversorgung integriert und in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden", hieß es dort, einigermaßen zum Schrecken der Anwälte der evidenzbasierten Medizin. Nach dem Kabinettsbeschluss zeigte sich sehr schnell, was die einschlägigen Interessenten sich davon versprachen. Der Dekan der medizinischen Fakultät in Tübingen trat dem dankenswerterweise schnell entgegen und reduzierte die Erwartungen, der Lehrstuhl werde Legitimationen für dubiose Mittel und Methoden liefern, schnell auf Null. Aber der Druck war da – und wird weiter da sein, von mancher Seite. Und es bleibt weiter offen, welcher Gegenstandsbereich denn nun sinnvoll wissenschaftlich zu fassen ist – der Homöopathie hat der Dekan immerhin eine Absage erteilt.

Bemerkenswertes

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Ärzteschaft im "Ländle" durchaus bemerkenswert – und ein Meilenstein für die weitere Entwicklung. Es kam – wenig überraschend – auch nicht zu einer überwältigen Mehrheit bei der Abstimmung wie zuletzt in Bayern, aber doch zu einer soliden Mehrheit von 41 Stimmen pro Streichung, 33 dagegen und drei Enthaltungen. Nicht vergessen darf man auch, dass die letzte Abstimmung über die Homöopathie in der Weiterbildungsordnung BW noch gar nicht allzu lange her ist – die damals noch klar zugunsten der Homöopathie ausfiel und Baden-Württemberg den Homöopathen weiterhin als "sichere Bank" galt.

Sieht man es – wie der Autor, zugegeben – durch die homöopathiekritische Brille, so mag man sich durchaus fragen, wie es überhaupt noch zu so vielen Gegenstimmen kommen konnte. Die bisherigen Mehrheiten in den Landesärztekammern – wie auch im Mai 2022 in der Bundesärztekammer – waren durchweg eindeutiger. Liegt die Schlussfolgerung, dass die Homöopathie als Methode ohne belastbaren Nachweis (Evidenz) einer arzneilichen Wirksamkeit in einem der Evidenz verpflichteten Medizinsystem keinen Platz haben kann, immer noch so fern? Zumal die evidenzbasierte Medizin explizit die "ständige Neubewertung bisher akzeptierter medizinischer Verfahren" fordert, um die Lücke zwischen wissenschaftlicher Erkenntnislage und medizinischer Praxis so klein wie möglich zu halten. Für ein Festhalten an liebgewonnenen "Traditionen" ist hier ersichtlich kein Raum.

Dass die evidenzbasierte Medizin, die sich unideologisch am klinisch belegbaren Patientennutzen einer Intervention und nicht an "individueller Erfahrungsmedizin" ausrichtet, noch nicht in allen Köpfen und Herzen angekommen ist, wird man kaum bestreiten können. Die gut 25 Jahre, seit denen sie als zentrales Paradigma der modernen Medizin gilt, sind an sich noch keine lange Zeit. Insofern wäre das Vertreten einer "individuellen Erfahrungsmedizin" innerhalb der Ärzteschaft hier und da noch verständlich. Eine andere Sache ist aber ein grundsätzliches Festhalten daran zur Rechtfertigung einer ganzen Therapierichtung – hier der Homöopathie.

Reaktionen

Auf ihre Weise bemerkenswert sind auch die Reaktionen der homöopathischen InteressenvertreterInnen sowohl auf die Entscheidung des Bundesärztetages vom Mai als auch auf die der Landesärztekammer Baden-Württemberg.

So gab es im Mai eine Presseerklärung des Zentralvereins homöopathischer Ärzte, die die Delegierten des Bundesärztetages damit konfrontierte, sie seien "einer großen Zahl ihrer eigenen Kolleg:innen in den Rücken gefallen" und "machten sich ohne inhaltliche Auseinandersetzung die Agenda der sogenannten 'Skeptiker' zu eigen, die sich damit brüsten, die Meinungshoheit in Deutschland zum Thema Homöopathie errungen zu haben". (Wieder die Strohmannargumentation mit "den Skeptikern", die ja nichts anderes tun, als den konsensualen Stand der Wissenschaft zu kommunizieren – was mit "Meinung" nichts zu tun hat.) Es habe sich um eine "Hauruck-Aktion" gehandelt, die das Gebot des demokratischen Minderheitenschutzes missachtet habe. Unnötig zu erwähnen, dass der Vorhalt der fehlenden wissenschaftlichen Nachweise massiv bestritten wird.

Letzteres wird auch im Statement des Zentralvereins zum Beschluss in Baden-Württemberg wieder aufgegriffen. Es tut beinahe weh, die Dissonanz zwischen dem eigenen Anspruch der Homöopathie auf Wissenschaftlichkeit und der konsequenten Verweigerung, den wirklichen konsensualen Stand der Wissenschaft auch nur zur Kenntnis zu nehmen, zu sehen.

Nun, es ist ganz sicher nicht leicht zu akzeptieren, wenn man sein Berufsleben auf die Homöopathie (mit)fixiert und eine positive Einstellung zu ihr womöglich internalisiert hat. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sich nach über 200 Jahren endlich die Erkenntnis Bahn bricht, dass sich die Homöopathie nicht als Medizin rechtfertigen kann. Nicht mit ihren unplausiblen Grundannahmen, nicht mit den – nicht anders zu erwartenden – negativen Ergebnissen der klinischen Prüfungen, wie sie die großen zusammenfassenden Arbeiten einheitlich demonstrieren. Nur darf bei allem Verständnis für das Verlorengehen liebgewonnener und verfestigter Vorstellungen eines nicht geschehen: dass man die Grenze zur Wissenschaftsleugnung, einem Denialismus, überschreitet.

Umso weniger, als dass die Therapiefreiheit jedes Arztes, Homöopathie einzusetzen, durch die Ärztekammer-Beschlüsse unberührt bleibt. Ihre Grenzen findet Therapiefreiheit allerdings unter Umständen in medizinethischen Erwägungen: zu Selbst- und/oder Fremdtäuschungen darf es bei einer Therapie-Entscheidung nicht kommen.

Es sei betont: Schadenfreude ist des humanistischen Kritikers Sache nicht. Seriöse Kritik verkennt die Interessenlage der homöopathischen Szene keineswegs. Aber weder ein Verbot noch sonst ein "Ende" der Homöopathie ist das Ziel. Ziel ist ein realistischer Umgang mit der Homöopathie im Wissen um ihre medizinische Irrelevanz und außerhalb des Solidarsystems der gesetzlichen Krankenversicherung. Das setzt weiter Aufklärung der Allgemeinheit über die Fakten voraus, aber auch Kritik an den Hemmnissen, die einem solchen Ziel entgegenstehen. Noch ist die Ärzteschaft nicht in ihrer Gesamtheit gewonnen, noch beharrt die Apothekerschaft mit ihren Verbänden und Kammern hartnäckig auf einer Rolle der Homöopathie in der Medizin, noch geben die meisten gesetzlichen Krankenkassen Homöopathie einen unverdienten Glaubwürdigkeitsbonus – und noch hat der Gesetzgeber nicht erkennen lassen, dass er das Kernproblem, die gesetzliche Privilegierung der Homöopathie in Arzneimittel- und Sozialrecht, bald zu lösen beabsichtigt. Es liegt an der homöopathischen Szene selbst, die kommende Entwicklung zu antizipieren und über ein sinnvolles Arrangement mit dieser ernsthaft nachzudenken, statt sich in Denialismus zu ergehen.

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