Darwin-Tag

Ein Mensch(enaffe) wie wir alle

Der Geburtstag von Charles Darwin am 12. Februar wird von naturwissenschaftlich orientierten Menschen und Atheisten weltweit als "Darwin-Tag" gefeiert. An ihm wird der Vater der Evolutionstheorie für seinen Beitrag zu einem neuen wissenschaftlichen Menschen- und Weltbild geehrt. 

Warum ist die Theorie der Evolution durch natürliche Selektion so bedeutend? Weil sie als Grundlage der Biologie und modernen Medizin das Verständnis der Welt erhellt. Weil Darwins Erklärung zutiefst humanistisch war, getrieben von der Suche nach Wahrheit und der Neugier auf das Fundament der Naturgesetze. Und weil die Faktenlage sich über die Jahrzehnte erhärtete durch Anatomie, weltweite Fossilienfunde, Biogeographie, Molekularforschung, Genetik, solide gelungene Experimente und ausnahmslos gescheiterte Falsifizierungsversuche.

Der Philosoph Daniel Dennett nennt "Darwin's Dangerous Idea" den "besten Geistesblitz, der jemals jemandem einfiel".

Der Geistesblitz setzte sich allerdings nur mühsam durch gegen die Donnerworte der Gottesadvokaten, die um ihr Weltbild bangten. Noch in den 50er Jahren geißelte Papst Pius XII. in seiner Enzyklika "Humani Generis" die "sogenannte Entwicklungslehre", rüffelte ihre Anhänger als "unklug und urteilslos" und nannte die Erkenntnis, der Kosmos sei steter Veränderung unterworfen, "vermessen" und kommunistisch. Erst 1996 knickte der Vatikan vor der überwältigenden Beweisfülle ein, als Johannes Paul II. die Evolutionstheorie für "mehr als eine bloße Hypothese" und mit dem Glauben für vereinbar erklärte – natürlich nur, solange sein Gott, der ewige Lückenfüller, weiterhin die Fäden ziehen durfte.

Bis heute schwelt in Teilen der Welt tumber Widerstand gegen Vernunft und niet- und nagelfeste Wissenschaft, vorwiegend in Ländern mit hoher religöser Verfilzung, wo ein Sammelsurium aus konservativen Gläubigen, Esoterikern und Nationalisten die Evolutionslehre entweder ignoriert oder mutwillig missversteht: etwa in den USA und Osteuropa sowie in der Türkei, in Ägypten und anderen Regionen unter moslemischem Diktat. Auch in unseren Breiten kriecht der Kreationismus noch durch manch frommen Kopf. Mein Bioprofessor zum Beispiel, an der Mittelschule in den 80er Jahren, war ein inbrünstiger Bibelklopfer und erwähnte in acht Jahren das Thema "Evolution" kein einziges Mal. So grottenschlecht war sein Unterricht, dass er später zum Schuldirektor avancierte. Seither schimpft das Gymnasium sich nicht mehr humanistisch, sondern akademisch.

Für einen Biologiekurs 101 fehlt hier indes der Platz – und schöne Aufsätze zu Charles Darwins bahnbrechendem Werk erscheinen am 12. Februar zuhauf. Aber gibt es nicht schon genug Eulen in Athen? Lieber erinnern wir heute an Darwins menschliche Seite, skurrile Details seines Lebens, Allzu-Humanes.

Vorhang auf für 15 Trivia-Krümel, die nicht jedem bekannt sind:

1. Darwins Großvater Erasmus zählte zu den führenden Intellektuellen des 18. Jahrhunderts und seine naturphilosophischen Schriften sollen Mary Shelley zu ihrem Roman Frankenstein inspiriert haben. Opa Erasmus war ungemein beleibt – aus seinem Esstisch ließ er einen Halbkreis heraussägen, damit der Bauch Platz hatte –, aber von kühnem Geist: Er plädierte gegen Sklaverei und für Frauenbildung und erörterte sogar einen Vorläufer der Evolutionstheorie. Das Leben, postulierte er, habe sich entwickelt aus einem einzigen gemeinsamen Vorfahren. Das essenzielle Prinzip der natürlichen Auslese entging Erasmus Darwin jedoch – erst seinem Enkel fielen 60 Jahre später die Schuppen von den Augen.

2. Der kleine Charlie wurde 1809 in eine wohlhabende Familie im ländlichen England geboren. Mit zwölf Jahren gestand der mittelprächtige Internatsschüler in einem Brief, dass er sich nur einmal im Monat die Füße wusch, weil es an Seife fehlte. Seine Socken rochen wie der viktorianische Lehrplan. Besonders das Lateinbüffeln langweilte ihn, denn, so Darwin, jeder Vers war nach 48 Stunden vergessen. Lieber beobachtete der Bub die Vögel im Wald und sammelte Eier, Muscheln, Käfer und Motten. Bei Schlechtwetter lümmelte er stundenlang unter dem Esstisch und verschlang die Bücher seiner Zeit.

3. In Edinburgh sollte der junge Darwin zum Chirurgen ausgebildet werden, aber er konnte kein Blut sehen. Die nächste Station war Cambridge, wo man ihn zum Theologen machen wollte. Stattdessen besuchte er dreimal hintereinander den einzigen Botanikkurs und verfasste unter der Bank erste wissenschaftliche Papiere. Sein Hobby blieb die Jagd nach seltenen Käfern, befeuert durch den Wettstreit mit dem Kommilitonen Charles "Beetles" Babington: Wer würde zuerst eine neue Art entdecken? "Unter einer Baumrinde", erzählt Darwin, "fand ich zwei neue Käfer und barg in jeder Faust einen; dann entdeckte ich eine dritte Art, die ich mir nicht entgehen lassen wollte, darum schob ich mir einen der Käfer in den Mund. Leider stieß er eine stark ätzende Flüssigkeit aus, die meine Zunge verbrannte".

4. Passend dazu gründete Darwin in seiner Cambridge-Zeit den "Glutton Club", dessen mutige Mitglieder Tiere verspeisten, die dem menschlichen Gaumen zuvor fremd waren. Habicht-Pastete und Rohrdommel-Ragout mundeten dem angehenden Wissenschaftler, nur beim Eulen-Steak verging selbst ihm der Appetit. Weitere kulinarische Exotika verzehrte Darwin auf seiner legendären Expedition mit der HMS Beagle, etwa Strauße und Pumas, die, wie er schrieb, bemerkenswert dem Geschmack von Kalbfleisch ähneln. Gürteltier-Braten schmeckt Darwin zufolge fast so gut wie Ente, und sein Favorit war ein nicht näher definiertes, zehn Kilo schweres Nagetier: "das beste Fleisch, das ich je gegessen habe".

5. In Charles' Studienjahren in den 1820ern wurde die Geologie zum Topthema im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs. Debatten zur Entstehung der Erde tobten, und abertausende Bibelgläubige und klammheimliche Atheisten kauften Bücher zur aufgeflammten Streitfrage. Die Geologen zeigten, dass die Erde weder statisch noch unbeweglich war, sondern sich im Laufe der Jahrmilliarden stark gewandelt hatte und es noch immer tat. Diese Einsichten beeinflussten Darwins Denken: Langsame, schleichende Umformungen in der Erdgeschichte? Hatten womöglich über die Äonen sich auch Pflanzen und Tiere verändert?

6. Mit 29 Jahren wog Darwin ab, ob sich das Heiraten lohne, und erstellte eine zweispaltige Liste zum Für und Wider der Ehe. Als Nachteile führte er auf: weniger Geld für Bücher, eingeschränkte Reisefreiheit, potenzielle Faulheit und Verfettung, seltenere Gelegenheiten für Gespräche mit klugen Männern in Clubs sowie – das schien ihn speziell zu wurmen – fürchterlicher Zeitverlust. Zu den Vorteilen zählte er die Hoffnung auf Nachwuchs und dass jemand sich um den Haushalt kümmern würde, die Reize der Musik und des weiblichen Geplauders und den Komfort einer treuen Gefährtin und Freundin im Alter ("allemal besser als ein Hund", schrieb er). Nach reiflichem Überlegen wollte er nicht als runzliger Einzelgänger enden und notierte: Heiraten! Q.E.D.

7. Mit der Liste in der Fracktasche ehelichte Charles im Folgejahr Emma, seine Cousine ersten Grades, die er seit der Sandkiste kannte. Wer dem Stammvater der modernen Biologie diesen "inzestuösen" Schritt ankreiden möchte, sei erinnert, dass der Begründer der Genetik, der Augustinermönch Gregor Mendel, erst 20 Jahre später im Brünner Klostergarten seine Erbsen zog. Mendel war vertraut mit Darwins Schriften, aber Darwin wusste nichts von Mendel und lernte ihn nie kennen.

8. Emma war bezaubernd und unordentlich, was ihr den Spitznamen "Little Miss Slip-Slop" eintrug. Sie spielte vortrefflich Klavier, trieb Sport im Freien, glänzte als Bogenschützin – und war tief religiös. "Mein lieber Charley", schrieb sie an Darwin zehn Tage nach dessen Heiratsantrag, "wirst du mir einen Gefallen tun […], nämlich die Abschiedsrede unseres Erlösers an seine Jünger lesen? […] Es ist eine Laune von mir, die mir große Freude machen würde, obwohl ich kaum sagen kann, warum ich nicht möchte, dass du mir deine Meinung dazu sagst". Zweifellos ahnte die damals 31-Jährige, worauf sie sich einließ.

9. Die Trauung des bereits eng verwandten Paares vollzog am 29. Jänner 1839 der Reverend John Allen Wedgwood – auch er ein Cousin der beiden! Die Ehe blieb glücklich bis zu Darwins Tod. Zwar sorgte Emma sich zeitlebens, dass die rapide schwindende Religiosität ihres Mannes ein "Wiedersehen im Jenseits" vereiteln würde. Andererseits las sie Charles' umfangreiche Briefwechsel und Manuskripte Korrektur und feilte fleißig mit an seinen wissenschaftlichen Argumenten.

10. Auch half Emma Darwin ihrem Mann jahrzehntelang durch seine mysteriösen  Beschwerden, die er sich auf seiner Weltumsegelung eingefangen hatte. Auf der Beagle war Darwin die meiste Zeit magenkrank gewesen – wohl der Grund, dass er so viel Zeit wie möglich nicht auf dem Schiff, sondern an Land verbrachte. Hätte ein topfitter und seefester Darwin so viele Daten gesammelt, wer weiß? Gegen seine chronischen Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit half ein strenges Tagesritual, das auch zwei allabendliche Backgammon-Partien mit Emma vorsah, über die Charles akribisch Buch führte. Einmal soll er damit geprahlt haben, dass er 2.795 Spiele gewonnen hatte, sie dagegen nur mickrige 2.490.

11. Im Lauf der Jahre bekamen Charles und Emma zehn Kinder und erzogen sie – gemessen an damaligen Verhältnissen – ausgesprochen antiautoritär. Drei starben, aber sieben erreichten das Erwachsenenalter und verfolgten formidable Karrieren. Einige der wenigen erhaltenen Seiten des handgeschriebenen Originalentwurfs zur Entstehung der Arten wurden nur aufgehoben und für die Nachwelt gerettet, weil die Kinder die Rückseiten der Blätter mit Zeichnungen verziert hatten. Danke fürs Kritzeln, kleine Darwins!

12. Den Begriff "Evolution" benutzte Darwin fast nie. Ab und an erscheint zwar in seinen Schriften das Zeitwort evolve, aber generell formulierte er: "Abstammung mit Veränderung". Auch die Phrase survival of the fittest prägte er nicht, vielmehr geht diese zurück auf den britischen Anthropologen Herbert Spencer, der Darwins Bücher las und eigene Schlüsse zog. Auch behauptete Darwin nie, dass der Mensch die "Krone der Schöpfung" sei. Für ihn war eine Amöbe in der Pfütze genauso erfolgreich an die Umgebung angepasst wie der Wurm im Dreck, der Schwan auf dem See und der Prediger auf der Kanzel.

13. Während Darwin sich im düsteren Flackerlicht seiner Ära vorsichtig als "agnostisch" einordnete, würde er sich heute sicherlich als Atheist outen. "Mir will nicht einleuchten", schrieb er, "wie irgendjemand wünschen kann, das Christentum sei wahr. Denn der [biblische] Text sagt unmissverständlich, dass Ungläubige bis in alle Ewigkeit bestraft werden, und dies schlösse meinen Vater ein, meinen Bruder und fast alle meine besten Freunde. Eine abscheuliche Lehre!"

14. Im Jahr 2000 erschien Darwins bärtiger Charakterkopf auf dem britischen Zehn-Pfund-Geldschein, bis die Bank of England ihn nach 18 Jahren durch ein Porträt der Romanschriftstellerin Jane Austen ersetzte, damit – abgesehen von der inzwischen verstorbenen Queen Elizabeth II. – wenigstens eine Frau die englische Währung ziert.

15. Am Ende eine Anekdote. Ob sie auf Tatsachen beruht? Lustig ist sie doch: Zwei Fratzen wollten Darwin einen Streich spielen und klebten den Körper eines Tausendfüßlers, die Flügel eines Schmetterlings, die Beine eines Grashüpfers und den Kopf einer Wanze sorgfältig zusammen. Dann klopften sie an Darwins Tür. "Wir haben diesen Käfer (engl.: bug) gefangen", sagten sie. "Können Sie uns sagen, Sir, was für ein Bug das ist?" Darwin fasste die Burschen scharf ins Auge und schmunzelte. "Hat er gesummt (was it humming), als ihr ihn gefangen habt?", fragte er. "Ja", antworteten die Flegel und stupsten einander an. "Then, clearly", sagte Darwin, "it's a Humbug".

Erstveröffentlichung des Textes auf der Webseite des Humanistischen Verbands Österreich (HVÖ). Übernahme mit freundlicher Genehmigung. 

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