Nach den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober und den Massakern an der israelischen Bevölkerung wird um das Thema Religion in vielen Medien (soziale mitgemeint) ungelenk herumgestakst oder gleich ein großer Bogen gemacht. Dabei ist es tatsächlich nicht schwierig, die Dinge beim Namen zu nennen: Die Hamas ist eine islamische Terrororganisation, mit dem satzungsgemäßen religiös-motivierten Anspruch, Israel als jüdischen Staat auszulöschen.
Die Inkompatibilität der Übernatürlichkeiten in dieser Region ist seit langer Zeit tief verwurzelte Ursache des Konflikts. Religion (im konkreten Fall: der Islam) ist in diesem Sinn kein vernachlässigbares Merkmal, das als an sich harmloses spirituelles Beiwerk mitgeführt wird und ausschließlich in einer missbräuchlichen Anwendung zu Gewalt führt – auch wenn sorgsam islamisch zu islamistisch verlängert wird, um eine Differenzierung zwischen einer politischen und einer nicht-politischen Spielart herbeizureden. Religion diene nur als Camouflage, um machtpolitische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, meinen manche, als ob es diese motivationale Trennung tatsächlich gäbe.
Natürlich ist Machtpolitik der wesentliche Treiber. Was denn sonst? Sie ist aber integraler Bestandteil der organisierten Religion, die kein Deckmantel oder Tarnanzug ist, sondern deren ideologischer Kern und Wesen.
Als menschengemachte, erfundene Glaubenssysteme aus Geboten und Verboten, die das Zusammenleben regeln wollen, ist der vermeintlich nicht-politische Teil einer Religion immer nur reines Werkzeug zur Machtdurchsetzung. Undemokratisch legitimiert durch übernatürliche Geschichten, die sich jeglicher Beweisbarkeit per definitionem völlig unwissenschaftlich entziehen. Die Glaubenssätze sind absolut, ihre Interpretation liegt in der Hand autoritärer Religionsführer. Religion und eine fundamentalistische Sicht auf die Welt sind untrennbar verbunden.
Normalisierung
Die wohlwollende Erzählung impliziert gerne das Gegenteil, dass es eine im 21. Jahrhundert ethisch akzeptable Religion gibt, die von Fundamentalisten für unlautere Zwecke nutzbar gemacht und damit missbraucht wird. Manchmal auch einhergehend mit der naiven Vorstellung, dass Terroristen sich hinter einer abartigen Religiosität verbergen. Aber wozu sollten sie diesen Aufwand treiben? Vor allem, wenn sie davon ausgehen müssen, dass sie dann von religiösen Autoritäten dahin gemaßregelt werden? Aber das werden sie ja nicht.
Wir holen Occam's Razor aus unserem gedanklichen Necessaire und wenden uns der naheliegenden Erklärung zu:
Es gibt keine unpolitische Religion. Der Islam ist an sich politisch, genauso wie der Katholizismus an sich politisch ist. Zwischen Islam und Islamismus, zwischen Katholizismus und Katholismus passen keine zwei Löschblätter. Und beim Judentum ist es freilich nicht anders. Das ist grundsätzlich noch nicht verwerflich. Aber Religion ist eben kein x-beliebiger Kulturverein, der seine Statuten dem gesellschaftlichen Mainstream ethisch anpassen will oder kann.
Der sogenannte Fundamentalismus entspricht dem Wesenskern der (drei großen abrahamitischen) Religionen; die Normalisierung dieser illiberalen Ideologien findet an den Rändern statt, dort wo Religion staatlich kontrolliert, gezähmt aber auch privilegiert wird: in der laizistischen Türkei (übrigens eine Pervertierung des Begriffs Laizismus), in Israel, in den Konkordaten mit dem Heiligen Stuhl, in den kooperativen Modellen aus Republik und Religion in sonst weitgehend säkularen, freiheitlichen Demokratien. Das sind die eigentlichen extremen, also außen liegenden Ränder der Religion, die sich vom fundamentalen Kern entfernt haben.
Die Verpartnerungen von Republiken und Religionen sind es, die unwissenschaftliche Theorien über die Welt, anachronistische gesellschaftliche Vorstellungen und vieles schädliche mehr über das Schulwesen, gesetzliche Bestimmungen und Deutungshoheiten in der Gesellschaft normalisieren.
Religiöser Fundamentalismus ist ein Pleonasmus. Es ist der sprachliche und leider gelungene Versuch, Religion zu verharmlosen und ihr Wesen durch einen Perspektivenwechsel zu verschleiern. Es gibt keine nicht-fundamentalistische Religion. Was hierzulande so bezeichnet wird, ist bestenfalls spiritueller Agnostizismus und alimentierte Traditionspflege.
Was tun?
Der Schaden, den Religion in der Welt anrichtet, ist enorm. Terrorismus, Krieg, gesellschaftliche Spaltung, Unterdrückung von Frauen, Homosexuellen, Atheisten und Apostaten und vieles andere mehr sind oft religiös motiviert. Es ist notwendig, die Ursache des Übels beim Namen zu nennen und die Verharmlosung religiösen Gedankenguts zu beenden, in dem der Staat die Kooperation mit organisierter Religion beendet.
Solange die politischen Ansprüche von Religionsgesellschaften honoriert werden, wird die Abtrennung ihrer gewaltbereiten Wurzeln nicht gelingen.
Gemeinsam mit Helmut Ortner hat der Autor einen Text geschrieben, der erstens zum Thema passt, der zweitens in seinem Buch "Das klerikale Kartell" im Frühjahr 2024 erscheinen wird und drittens vorab auch beim hpd veröffentlicht wurde: Ethik statt Religionsunterricht – ohne Kruzifix und Kopftuch.
18 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Religion wird von der Politik gebraucht, um den eigenen Verbrechen eine Rechtfertigung zu geben. Darum wird Religion von der Politik auch unterstützt.
Beispiel: Die spätmittelalterliche Leibeigenschaft war ein religiös legitimiertes Verbrechen der Herrschenden an ihren Untertanen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wie wahr wie wahr, anders kann man Religionen nicht beschreiben, es gibt keine Religion
die dem Frieden und den Zusammenhalt der Menschen weltweit fördert.
So wird es Nie eine friedliche Welt geben und Hunger und Not wird der ständige Begleiter
der Menschheit bleiben.
Eigentlich wären genug Ressourcen vorhanden um allen Menschen ein erträgliches Leben
zu ermöglichen, leider werden große Mengen davon für Waffen und Militär verschwendet.
Von Natur aus hätte die Menschheit keinen Feinde, diese sind selbstgemacht aus verschiedenen Interessen und Uneinsichtigkeit in die Einzigartigkeit des Lebens auf diesen
einzigartigen Planeten.
Roland Fakler am Permanenter Link
Im Grunde streben alle drei abrahamitischen Religionen, auch Hinduismus und Scientology..., nach absoluter Herrschaft.
Gerfried Pongratz am Permanenter Link
Hervorragend, die Überschrift kann allerdings missverständlich interpretiert werden (und ev. vom Lesen abhalten). ""Religiöser Fundamentalismus" ist ein Pleonasmus.
Heinrich Osterwald am Permanenter Link
Richtig. Die Überschrift des Artikels ist sehr missverständlich und könnte vom Lesen des Artikels abhalten. Leider.
Helmut Lambert am Permanenter Link
Einerseits sehr klar. Andererseits zu undifferenziert: Es gibt in der Realität der Religionen einen großen Unterschied z.B. zwischen Katholiken und Protestanten bei uns und Muslimen im Iran, Irak, Marrokko...
Fällt der Anpassungsdruck fort, wird der virulent weiterbestehende Herrschaftsanspruch auch bei den westl. christl. Religionen wieder zu Extremismus führen. Man sieht den Schulterschluss mit den extremistischen Muslimen, gegen die Aufklärung, in der Forderung nach Beibehaltung des Gotteslästerungsverbots und den Reaktionen auf muslimische Gewalt bei Provokationen - Mohamedkarrikaturen, Koranverbrennung.
A.S. am Permanenter Link
Die Unterschiede sind m.E. kleiner als Sie denken, Herr Lambert.
Das Problem liegt meiner Meinung nach woanders, nämlich in der menschlichen Psyche. Es mag vielen peinlich sein, aber so besonders helle ist die Spezies Mensch nicht.
Menschen halten jeden Scheiß (Verzeihung) für wahr, wenn er ihnen nur intensiv genug eingeredet wird und anderslautende Aussagen unterdrückt werden.
Das gilt für den Gottesohn im Stall von Bethlehem, das gilt für das auserwählte Volk, das gilt für die Wiederauferstehung und die Jungfrauen des Paradieses. Das gilt für den geklauten Wahlsieg Donald Trumps.
Religiöse Erziehung und die religiösen Praktiken sind vollgestopft mit bestimmen Aussagen, die angeblich wahr wären. Das alles ist pure und übelste Indoktrination.
Egal, ob nach gesellschaftlicher Zähmung eine Religion friedlicher daherkommt als andere: Religiöse Erziehung und religiöse Praktiken waren schon immer und bleiben übelste Indoktrination von Hirngespinsten (Götter, ewiges Leben, Paradies und Hölle). Erst wenn die Menschen Religion als indoktrinierten Schwindel begreifen, werden wir diese Gedankenpest los.
Helmut Lambert am Permanenter Link
Was Sie sagen, ist doch alles bekannt! Dass Sie aber den Unterschied zwischen der EKD und dem Islam für klein halten, lässt mich an der ersteebenswerten Objektivität Ihrer Wahrnehmung zweifeln.
Zum besseren Erkennen der Unterschiede zwischen aufgeklärten und religiös geprägten Gesellschaften kann ich empfehlen: Hanno Sauer, "Moral".
Esiberto am Permanenter Link
Sehe ich genauso. Die Gleichstellung von Islam und Christentum der Gegenwart in Bezug auf ihre Gewalttätigkeit, kann ich nicht nachvollziehen.
A.S. am Permanenter Link
Die Götter sind doch alle erfunden! Warum an erfundenen Göttern und den zugehörigen Lehren festhalten? Das sind doch nur geld- und machtgierige Institutionen, die nicht sterben wollen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dann lesen Sie doch mal die Bibel, Jesus sagt ich bin nicht gekommen um Frieden zu bringen, sondern das Schwert!
Helmut Lambert am Permanenter Link
Herr Baierlein, Herr Baierlein, von einem Zitat har die Realität bewerten zu wollen, finden Sie selbst doch arg unterkomplex.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
@H.Lambert: Damit habe ich nur ein Zitat von dem ach so heiligen und verehrten "Jesus" genannt, welches die Zwiespältigkeit des angeblichen Sohn "Gottes" darlegt, der ja sonst immer von der Liebe z
Paul München am Permanenter Link
Stichwort "Liebe zu den Menschen": als Sohn Gottes hätte er seinen Mitmenschen das Wissen um die Ursachen von Krankheiten vermitteln können, hat er aber nicht, entweder wollte er nicht, dann hält sich die Me
Helmut Lambert am Permanenter Link
Mein Ausgangspunkt war die Differenz zwischen den Religionen in der gesellschaftlichen Realität und Sie kommen mit einem Beispiel ganz anderer Kategorie.
Ich glaube, ich bin im falschen Film.
Paul München am Permanenter Link
Bitte um Entschuldigung für mein abschweifen, es ging mir um die Widerlegung der Behauptung der Gotteseigenschaft von Jesus, denn dann hätte man von ihm logischerweise erwartet, dass er über Kenntnisse - nicht nur in
- Wenn das andere für unausgereift halten, dann ist es eben so. Ich habe mehr als 10 Jahre mit mir selbst gerungen, als es noch kein Internet gab und religionskritische Literatur mir damals leider unbekannt war, um auf mich alleingestellt Argumente zu erkennen, dass Religion nicht nur Humbug, sondern der größte (!) Betrug der gesamten Menschheitsgeschichte ist.
Helmut Lambert am Permanenter Link
An Paul München: Ringen Sie weiter! Nicht stehen bleiben! Es gibt noch viel zu entdecken.
SG aus E am Permanenter Link
Am Rande sei erwähnt: Der Nahostkonflikt ist ein nationaler Konflikt zweier Völker, die beide das gleiche Stück Land für sich beanspruchen, und hat mehr mit einem Ideal der Aufklärung, nämlich dem Nationalstaat als St
Die Araber erhoben sich während des ersten Weltkriegs gegen die Fremdherrschaft der Osmanen und Jungtürken aus nationalen, nicht aus religiösen Gründen. Hauptforderung des Nationalkongresses in Damaskus 1919 war ein vereinigtes arabisches und unabhängiges Syrien, das konfessionelle Autonomie einschließen sollte.
Und so weiter. Ich kann hier nicht die Geschichte der arabischen Nationalbewegung darlegen. Nur noch soviel: Es gibt einige Wissenschaftler, die den Aufstieg des arabischen Islamismus mit dem wiederholten Scheitern des arabischen Nationalismus zu erklären versuchen.