Eine Auseinandersetzung im Lichte der Terrorismusforschung

Der Anschlag auf Henriette Reker

BONN. (hpd) Beim Pegida-Aufmarsch wurden Galgen für Politiker aufgestellt; bei einer Großdemonstration in Berlin eine Guillotine mitgeführt. Am vergangenen Wochenende nun attackierte ein Mann in Köln eine Politikerin. Über die Gefährlichkeit von Rechtsterrorismus in Deutschland schreibt der hpd-Autor Armin Pfahl-Traughber.

Am Samstag, dem 17. Oktober 2015 nährte sich ein 44-jähriger Mann namens Frank S. in Köln-Braunsfeld einem Infostand der parteilosen Kandidatin für die Bürgermeister-Wahlen Henriette Reker. Nachdem Frank S. um eine Rose gebeten hatte, zückte er ein Messer und stach auf die Politikerin ein. Im anschließenden Handgemenge verletzte Frank S. noch zwei weitere Lokalpolitikerinnen sowie zwei Bürger. Erst durch das Einschreiten eines zufällig privat anwesenden Bundespolizisten konnte der Täter überwältigt werden.

Die schwer verletzte Politikerin kam in ein Krankenhaus und überlebte den Anschlag. Es handelte sich dabei um eine rechtsterroristische Tat. Diese Einschätzung wird nicht allein aus Empörung über das Verbrechen, sondern im Lichte der Terrorismusforschung formuliert. Dagegen lassen sich möglicherweise unterschiedliche Argumente anführen: Frank S. behauptete, den "Messias" retten zu wollen. Er ist ein Langzeitarbeitsloser und lebt in prekären Verhältnissen. Und Frank S. handelte allein ohne den Auftrag einer Gruppe.

Guillotine bei einer Großdemonstration, Foto: © F. Nicolai
Guillotine bei einer Großdemonstration, Foto: © F. Nicolai

Alle drei Einwände können aber allenfalls als Besonderheiten gelten, nicht aber gegen die Einschätzung als rechtsterroristische Tat sprechen. Damit ist zunächst eine politisch motivierte Gewalthandlung im Sinne einer rechten Ideologie gemeint. Zwar deutet die Berufung auf einen "Messias" psychische Besonderheiten an. Bereits nach der Festnahme stellte indessen ein psychiatrischer Gutachter keine Anhaltspunkte für psychische Störungen fest und erklärte Frank S. für voll schuldfähig. Die Rekonstruktion der Ereignisse macht auch deutlich, dass der Täter durchaus kalkuliert und nicht unbeherrscht vorging. Er bat zunächst sein Opfer um eine Rose, das heißt eben auch, dass er sich nicht sofort um eines Messerstichs willen auf sie stürzte. Offenkundig wollte Frank S. die Bürgermeisterkandidatin Reker in Sicherheit wiegen. Er wartete demnach auf den günstigen Moment für seine Tat und stieß erst dann mit einem mitgebrachten Bowie-Jagdmesser zu. Dabei handelt es sich nun nicht um einen Gegenstand, der in allen Haushalten normalerweise vorhanden ist.

Für einen politischen Hintergrund der Tat sprechen sowohl die Bekundungen nach der Festnahme wie frühere politische Aktivitäten: Frank S. rief, die Gesellschaft solle von Leuten wie Reker beschützt werden. Wörtlich sagte er: "Ich musste es tun. Ich schütze euch alle." Denn, so ein weiterer Augen- und Ohrenzeuge, Merkel und Reker fluteten Deutschland mit Flüchtlingen. Berücksichtigt man noch, dass Henriette Reker als Sozialdezernentin in Köln für Flüchtlinge zuständig ist und engagiert für deren Unterbringung eintrat, wird auch von daher die politisch motivierte Auswahl des Opfers deutlich. Hinzu kommt, dass Frank S. auch über eine politische Vergangenheit verfügt: Anfang der 1990er Jahre betätigte er sich im Umfeld der neonazistischen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) und nahm an rechtsextremistischen Demonstrationen zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess teil. Zwar scheint er danach nach bisherigem Kenntnisstand nicht mehr in diesem Sinne aktiv geworden zu sein. Die ideologischen Prägungen behielt Frank S. aber erkennbar bei.

Indessen dürfte er allein und ohne Auftrag einer Gruppe gehandelt haben. Dies spricht nicht gegen die Einschätzung einer solchen Tat als terroristisch. In den letzten Jahrzehnten konnte man in vielen Ländern das "Lone Wolf"-Phänomen konstatieren. Gemeint ist damit eine Form von politisch motivierter Gewalthandlung, wobei eine Einzelperson ohne Anbindung an eine Organisation eine Tat begeht. Als bekannteste rechtsterroristische Fälle gelten der "Lasermann" in Schweden 1990, der "Nagelbomber" von London 1999 und der Massenmörder Breivik in Norwegen 2011.

Auch in Deutschland gab es ähnliche Fälle, wobei der bekannteste der von Kay Diesner, der 1997 einen Polizisten tötete, sein dürfte. Die Bezeichnung "Einzeltäter" steht in diesen Fällen lediglich für die konkrete Tatplanung. Sie bestreitet weder, dass die Akteure sich angesichts von Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft motiviert fühlen, noch, dass ihre einschlägige Gewalt- und Ideologiefixierung eine Folge der Sozialisation in der rechtsextremistischen Szene ist.