Am Freitag hat der Bundestag das umstrittene Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Während Debatte und Abstimmung taten auf dem Rasen vor dem Reichstagsgebäude zwei Gruppen von Organisationen und Einzelpersonen ihre Meinung dazu kund. Dabei kam es auch zum direkten Austausch zwischen den Aktivist:innen.
Nach dem Cannabisgesetz passierte Ende vergangener Woche ein zweites umstrittenes Gesetz den Bundestag: Das "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften". Es löst das Transsexuellengesetz ab, das seit 1981 gegolten hatte und von Betroffenen als demütigend und diskriminierend empfunden wurde. Das Bundesverfassungsgericht gab dem teilweise recht. Über Vornamensänderungen und Geschlechtszugehörigkeiten entschieden bisher Gerichte aufgrund von Sachverständigengutachten. Beides ist nun wesentlich einfacher möglich: "Mit dem Gesetz sollen volljährige Menschen ihren Geschlechtseintrag (männlich, weiblich, divers oder keine Angabe) und ihre Vornamen künftig per Selbstauskunft beim Standesamt ändern können", heißt es in der offiziellen Mitteilung auf der Website des Bundestages. Genannt wird das auch "Self-ID". "Nach der Änderung soll für eine erneute Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr gelten. (…) Für Minderjährige bis 14 Jahre gilt: Nur die Sorgeberechtigten können die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt abgeben. Ab dem Alter von 14 Jahren können es die Minderjährigen selber tun, benötigen aber die Zustimmung der Sorgeberechtigten", so die Meldung weiter.
Während im Reichstagsgebäude die abschließende Debatte und die anschließende Abstimmung liefen, hatten sich draußen auf dem Platz der Republik zwei Lager versammelt: Auf der einen Seite Transaktivist:innen von Lesben- und Schwulenverband – LSVD, Bündnis Selbstbestimmung Selbst Gemacht und Bundesverband Trans* – BVT*, auf der anderen Feministinnen von Frauenheldinnen, Lasst Frauen sprechen, LSquadBerlin – Frauen sprechen und Lesbisches Aktionszentrum Berlin – LAZ reloaded. Während die Frauenrechtsaktivistinnen ihre Positionen unter dem Motto "Frauen sagen NEIN zum Selbstbestimmungsgesetz" mit Redebeiträgen zum Ausdruck brachten, verfolgte die zahlenmäßig etwas größere Transcommunity unter dem Slogan "Gemeinsam gegen Trans*feindlichkeit" die Vorgänge im Plenarsaal zusätzlich per Public Viewing.
Das Klima zwischen Feministinnen und Transaktivist:innen gilt insgesamt als angespannt bis vergiftet, das Thema Trans spaltet. Manche Transaktivist:innen bezeichnen Feministinnen, die trans Frauen nicht als Frauen anerkennen wollen, als "TERFs": Trans-Exclusionary Radical Feminists ("Trans-ausschließende Radikalfeminist(in)en"). Verkürzt dargestellt ist der Hauptstreitpunkt, dass für Transaktivist:innen die Selbstbestimmung im Vordergrund steht, während Feministinnen das Untergraben von Frauenrechten und das Eindringen von Männern in weibliche Schutzräume befürchten, indem sie sich zu Frauen erklären.
Unterschiedliche Haltungen
Die Befürworter:innen eines Selbstbestimmungsgesetzes begrüßten das Abstimmungsergebnis, auch wenn es für sie hinter den Erwartungen zurückbleibt. Auf hpd-Anfrage erklärte der LSVD: "Heute ist ein historischer Tag für die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen und damit auch für die gesamte Demokratie. Endlich dürfen sie ihren Namen und Geschlechtseintrag anpassen, ohne wie über 40 Jahre lang Fremdbegutachtungen über sich ergehen zu lassen. Es war schon lange überfällig, dass Deutschland seiner ethischen Verpflichtung nachkommt, auch die Persönlichkeitsrechte dieser Gruppe zu wahren." Der BVT* schrieb in einer Pressemitteilung: "Dass die Änderung des Geschlechtseintrags in Zukunft allein durch Selbstauskunft möglich sein soll, ist ein Meilenstein für die Anerkennung von geschlechtlicher Vielfalt als gleichwertig. (…) Zum ersten Mal wurde die Gesetzgebung für die Rechte von trans* und nicht-binären Personen aktiv, ohne dass das Bundesverfassungsgericht dies zuvor angemahnt hat. Das muss positiv anerkannt werden."
Die feministischen Organisationen kritisieren das Selbstbestimmungsgesetz scharf. In einer Presseerklärung von Frauenheldinnen e.V. hieß es im Vorfeld der Abstimmung: "Die beliebige Wahl des Geschlechtseintrags verletzt die Rechte und dringend nötigen Schutzräume von Frauen. (…) Sie verführt Kinder und Jugendliche dazu, sich mit vermeintlich geschlechtsändernden Pubertätsblockern, Hormonen und Operationen ihrer Gesundheit und Fruchtbarkeit zu berauben." Und: "Das Ganze ist totalitär, weil die Genderideologen jede Kritik als 'Hass' bezeichnen und weil das Gesetz Nichtzustimmung bestraft. Ein Bußgeld bis 10.000 Euro droht jedem, der einen Menschen nicht in seinem selbstdefinierten Geschlecht anspricht (…)." Die Initiative Lasst Frauen sprechen schreibt in einer Broschüre, die auf der Kundgebung verteilt wurde: "Mit einem selbstbestimmten Geschlechtseintrag wird eine Fiktion Gesetz. Das Gesetz beruht auf einer rein subjektiven Behauptung, die nicht objektiv überprüfbar ist. (…) Von Feministinnen jahrzehntelang erkämpfte Rechte werden in Frage gestellt, wenn 'Frau' nur noch eine selbstbestimmte 'Geschlechtsidentität' ist. Wenn die Fiktion einer selbstbestimmten 'Geschlechtsidentität' juristisch geschützt wird, gefährdet das die Glaubens- und Meinungsfreiheit."
Vor dem Bundestag waren die Gruppen durch viel Abstand getrennt. Vereinzelt fanden Aktivist:innen ihren Weg zur anderen Seite. In einer Gesprächsrunde aus mehreren Personen wurden engagiert, aber friedlich Positionen ausgetauscht: "Wir wollen, dass die Diskriminierung des Patriarchats aufhört", konstatierte ein Transaktivist, es gebe viele Parallelen zur Frauenbewegung. "Aber Frauen haben eine Geschichte", hielt eine Feministin dem entgegen und spielte damit auf Gewalt und Missbrauch durch Männer an. "Du bist keine Frau", so eine andere feministische Aktivistin zu dem Transaktivisten. Niemand habe etwas dagegen, wenn Männer wie Frauen aufträten oder umgekehrt. Der Transaktivist konterte, dass man auch heute noch angespuckt oder verprügelt werde, wenn man aus den Geschlechterrollen herausfalle. "Ich weiß nicht, ob wir dem Patriarchat ein Schnippchen schlagen, wenn wir die Self-ID verhindern." – "Warum arbeiten wir nicht darauf hin, dass jeder sein kann wie er ist, ohne den Körper zu verändern?", fragte die erste Frauenaktivistin daraufhin. Die zweite fügte hinzu, es gebe biologisch nur Frau und Mann, "was wir daraus machen, ist unsere Identität".
Lesen Sie dazu auch: "Kontroverse Haltungen zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz"
16 Kommentare
Kommentare
Detlev F. Neufert am Permanenter Link
Wir drehen gerade einen Flm - Dokumentation&Fiktion' - über einen Transgender in Thailand: 'Die Kinder der Himmelswiese.' Alle Ladyboys oder 'kathoeys' wie sie hier heissen, wussten ab ihr
malte am Permanenter Link
Sie suggerieren hier, Transpersonen hätten bisher keine Rechte gehabt. Wie absurd ist das denn?
Detlev F. Neufert am Permanenter Link
Was suggeriere ich? Ich halte nur dagegen, dass Feministinnen anscheinend Problem mit Transgender haben.
malte am Permanenter Link
Sie schreiben: "Ich denke, kein Kathoeuy würde einer Frau ihre Rechte wegnehmen. Gut, dass sie jetzt auch welche haben." Das impliziert, Transfrauen hätten bislang keine Rechte gehabt.
Und ja, viele Feministinnen haben ein Problem mit dem Konzept "Transgender", weil es ein reaktionäres Geschlechterbild transportiert. Das bedeutet aber nicht, dass sie ein Problem mit transgeschlechtlichen Menschen haben.
David Z am Permanenter Link
Welche Belege haben Sie für die aussergewöhnliche Behauptung, ein 3- oder 4-jähriges Kind könne wissen, was "Geschlecht" ist bzw sich als das andere "Geschlecht" fühlen?
Mir wird zunehmend unwohl dabei, wenn ich sehe, wie die Diskussion in immer jünger werdende Altersklassen getragen wird.
Tini Tortellini am Permanenter Link
Richtig! Als 3 bis 12-jährige habe ich mich wahlweise als Indianer, Radrennfahrer oder Pirat gefühlt und nie mit Puppen gespielt. Gut, dass ich damals spielen konnte was ich will.
Detlev F. Neufert am Permanenter Link
Sorry, aber das ist Quatsch. Wenn sich ein Mädchen in einem Mädchenkörper zuhause fühlt und ein Junge in einem Jungenkörper, wird er nicht auf die Idee kommen, sich ins andere Geschlecht gesetzt zu fühlen.
David Z am Permanenter Link
Das ist leider überhaupt nicht Quatsch sondern grausame Realität. Wir wissen von Kindern, die durch Eltern oder Schule beeinflusst werden, Entscheidungen zu treffen, die irreversibel sind.
Und wir wissen auch, dass sich sehr viele derjenigen Jugendlichen, die sich "unwohl" fühlen, später als völlig zufriedene und gesunde Menschen entwickeln, entweder weil es nur eine entwicklungsbedingte Phase in der Pupertät war oder weil sich eine individuelle Persönlichkeit unabhängig vom biologischen Geschlecht formt oder weil sich eine völlig normale Homosexualität ausgebildet hat.
Ich gebe ihnen den Ihren moralisierenden Rat umgehend zurück: einfach mal nachdenken, was ist, wenn sich jemand in jungen Jahren seinen gesunden Körper mit Operationen und Hormonblockern im medizinischen und biologischen Sinne unwiederbringlich zerstört und 10 Jahre später feststellt, die Entscheidung war falsch, nicht nur wegen der lebenslangen medizinischen Nebenwirkungen sondern auch, weil sich die Person mental stabilisert hat.
Sie äussern hier aussergewöhnliche Behauptungen. Aussergewöhnliche Behauptungen erfordern aussergewöhnlich überzeugende Erkenntnisse. Diese liegen liegen nicht vor.
Detlev F. Neufert am Permanenter Link
Lesen Sie bitte das Buch 'The third Sex' von Richard Totman, erschienen bei Silkworm Books Thailand, 2003. Während der Recherche zu unseren Dreharbeiten hat mir u.a.
David Z am Permanenter Link
Das Buch von Herrn Totman erscheint mir doch etwas voreingenommen, wenn es schon im Titel ein drittes Geschlecht impliziert.
Die Naturwissenschaften sind sich hier so einig wie sich Wissenschaftler nur einige seien können: Die Spezies Mensch besteht aus genau zwei Geschlechtern, Mann und Frau, weiblich und männlich. Seltene Anomalien bei der Entwicklung eines Menschen stellen kein drittes Geschlecht dar. Und auch subjektive Wahrnehmungen ändern an den biologischen Tatsachen nichts.
Dass ein 3-jähriges Kind weiss, was ein Geschlecht ist, wage ich doch sehr zu bezweifeln.
Tini Tortellini am Permanenter Link
Erklären Sie mir bitte, was das sein soll, sich "als Mädchen" oder "als Frau" zu fühlen. Ich bin eine Frau und ich habe keine Ahnung, wie sich andere Frauen fühlen.
Es ist gefährlich, Gesetze nach Gefühlen und nicht nach der Realität zu machen. Denken Sie bitte diesen letzten Satz mal weiter in andere Kategorien weiter.
Detlev F. Neufert am Permanenter Link
Auch das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Wie wäre es, wenn Sie sich einmal mit einem Transgender unterhalten? Ja, klar, es ist gefährlich Gesetze nach Gefühlen zu machen.
David Z am Permanenter Link
Was ist wissenschaftlich nicht haltbar? Ja, die extrem wenigen Personen, die an einer tatsächlichen Geschlechtsdysphorie leiden, haben das Gefühl, sich ihrem Körper fremd zu fühlen.
David Z am Permanenter Link
Sehe ich ähnlich wie die feministischen Kritiker. Ich halte das neue Gesetz für in weiten Teilen misslungen: unlogisch, widersprüchlich und gefährlich.
Selbstverständlich soll in einer freien Gesellschaft jeder leben können, wie er es für richtig hält, ohne angefeindet zu werden. Aber niemand sollte ein Recht haben, anderen seine subjektive Selbstwahrnehmung aufzuzwingen. Wenn ein Staat das Aussprechen von bestimmten Dingen verbietet, ist das aus freiheitlicher Sicht schon kritisch zu bewerten. Noch kritischer ist es allerdings, wenn eine Staat sich anmaßt, das Aussprechen von bestimmten Dingen explizit vorzuschreiben, insbesondere dann wenn sie auch noch mit der biologisch eindeutigen Realität kollidieren. Das hat schon orwellsche Züge und erinnert an die groteske Situation mit der Bill C-16 und der "pronounce" Debatte in Kanada, Fall Jordan Peterson.
Weitere Kritikpunkte aus meiner Sicht:
- Trivialisierung der psychologischen Probleme
- undifferenzierte Vermengung von verschiedenen Phänomenen: Geschlechtsdysphorie, sexualisierter Fetischismus, (pubertätsbedingte) Probleme mit der körperlichen Wahrnehmung
- Reduzierung von notwendigen Beratungen
- Umdeutung der biologischen Kategorie "Geschlecht" in ein subjektives Gefühl
- Strafrechtlicher Schutz von Gefühlen
- völliges Außerachtlassen der zahlreichen negativen Erfahrungswerte anderer Staaten
- Widersprüchlichkeit: Im Kriegsfall wird die Transfrau plötzlich doch wieder zum Mann
- Gesellschaftsprobleme im Kontext von Frauen: Gefährdung von direkten oder indirekten Frauenschutzbereichen wie Sport, Gefängnis, Umkleide, Sauna, Quoten
- Gesellschaftsprobleme im Kontext von Kindern: Verwirrung und als Konsequenz die Möglichkeit zu irreversiblen medizinischen Fehlentscheidungen, staatliche Einmischung in die Familie
Detlev F. Neufert am Permanenter Link
Oh mei.Und all diese Argumentationsversuche, um Menschen, die mit einem variierten Gen, das sich übrigens auch neurologisch im Gehirn nachweisen läßt, weiterhin zu diskriminieren und stigmatisieren.
David Z am Permanenter Link
Nein. Die Benennen von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen stellt weder Diskriminierung noch Stigmatisierung dar. Ich habe drei Transpersonen in meinem Bekanntenkreis. Damit dürfte ich über dem Durchschnitt liegen.