BERLIN. (hpd) Ein Spielfilm sagen die einen, andere Drama oder Melodrama. Der Film führt in die 60er Jahre, beginnt 1968 in einer Provinzstadt im Irgendwo der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Dieser Bericht bezieht sich auf die Premiere in Berlin und den Film an sich.
Die Voranmeldungen zur Premiere überstiegen die Erwartungen der Produzenten und des Verleihs. Ein größerer Saal musste angemietet werden. Auch da reichten die Plätze reichten nicht aus, so wurden aus dem Foyer weitere bequeme Sitzmöbel in den Saal gezogen und standen für spät kommende Gäste bereit. Zu ihnen gehörte Ben Becker, er blieb zurückhaltend und erst pragmatisch auf der Treppe sitzen. An Reaktionen von 20- bis 30-jährigen Gästen wurde gleich zu Beginn der Vorführung deutlich, wie fremd ihnen die Lebenswirklichkeit ihrer Eltern- und Großeltern-Generation geworden ist.
Vorangestellt ein Satz aus der Bibel, die Sprüche Salomons, 13.24: "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten." Im Volksmund: "Wer sein Kind liebt, der züchtigt es." Und einen Satz aus dem Munde der "Omi": "Die sind alle bekloppt."
Die Handlung
Teil 1: Der Film zeigt zwei Familien, sie leben in sauber aufgereihten Siedlungshäusern, sozusagen nur einen Häuserblock von einander entfernt.
Da gibt es Martin. Er lebt mit seinem Vater, 1922 geboren, und dessen Mutter, also Martins "Omi" in einem Haushalt. Der Vater ist alleinerziehend, kriegstraumatisiert und bekommt eine Invalidenrente. Er ist evangelisch. Die drei Generationen leben in einer Art kumpelhaften Verhältnis und tolerieren einander. Der begabte Martin rebelliert im Klassenzimmer gegen Biederkeit und die sogenannte Anständigkeit. Die Schulleitung ermahnt, dennoch wird er von der Schule verwiesen und über das Amtshilfeverfahren des Jugendamtes gegen den Willen des Vaters in das Erziehungsheim der Diakonie in Freistatt eingeliefert. Dafür fährt ein Polizeiwagen vor und übernimmt diesen Akt.
Die katholische Familie, Vater, Mutter und zwei Töchter funktioniert nach traditionellen Regeln. Der Vater arbeitet, die Mutter hat zu Hause zu bleiben.
Ruby, die älteste Tochter, als Rosemarie getauft und so gerufen, spielt neben Martin die zweite Hauptrolle. Rubys Vater liebt seine Tochter, ihre Stimme im Kirchenchor zu hören macht ihn stolz. Er befindet sich in einer Doppelrolle. Er spricht sich die Verantwortung zu, auf Rosemarie aufzupassen, damit sie “anständig” bleibt. Ruby setzt sich mit kurzen Rock dagegen zur Wehr, hört Beat-Musik, arbeitet heimlich, nachdem der Vater sie gegen ihren Willen vom Gymnasium abgemeldet hat, in einem Plattenladen. Ruby voll der Musik, der Rebellion gegen Macht und Rechte der Eltern.
Ruby und Martin, Nachbarskinder, treffen sich im Aufbruch gegen den Anspruch der Institutionen, gegen Unterdrückung. Neben der Zuneigung zueinander ist das die Verbindung der beiden. Liebe kann ein Wort dafür sein. Der Film zeigt gemeinsam erlebte Freude und vorsichtige Annäherung.
"Bist Du Jungfrau, ich will es wissen, bist Du Jungfrau….?" ein Schrei des Vaters an Ruby, versteckt die Frage: "bringst Du Schande über die Familie?" Ebenso drückt sich seine Gewalttätigkeit aus, seine Doppelrolle, Ruby zurückzubringen, "anständig", "jungfräulich" und mit dieser Ehre, Ehefrau zu werden.
Die Eltern "überstellen" durch das Jugendamt ihre Tochter der geschlossenen Erziehungseinrichtung, dem katholischen Heim "Bei den Barmherzigen Schwestern". Der Grund: Verwahrlosigkeit.
Ruby wird ebenso wie Martin über den Polizei-Apparat in das Heim transportiert. Der Vater weint, die Mutter von Ruby ist am Fenster des elterlichen Schlafzimmers zu sehen, sie öffnet den Knoten ihrer bisher gezähmten Haarpracht. Das Leben nimmt seinen Lauf. Es ist ein Film, der kein Beichtgeheimnis bewahrt, er offenbart dieses.
Teil 2: In dem katholischen Erziehungsheim für Mädchen herrscht Mutter Benedikta und ihre "Schwestern". In "Freistatt", dem evangelischen Heim der Diakonie, spricht die Führung sich mit "Bruder" und "Vater" an. Gezeigt werden Facetten im Mädchen-Heim, weibliche Freundschaften. Im Gegensatz dazu spezifisch männliche "Jungs"-Rituale.
Die zur Besserung in die Heime weg gesperrten Jugendlichen, hören nicht auf, sich gegen den Machtapparat zur Wehr zu setzen. Die Unbarmherzigkeit von Menschen, die selber meinen, dass sie religiös einem Gott zu dienen haben und in seinem Sinne handeln, setzen sich selbst den Jugendlichen gegenüber an die Stelle ihres vermeintlichen Gottes. Verachtend, perfide und gewalttätig setzen sie ihre Macht um zu quälen, zu drangsalieren.
Teil 3: Deutschland 1977 - Ruby und Martin, aufgrund ihrer Volljährigkeit sind sie aus der Heimerziehung entlassen, aber nicht befreit davon.
1 Kommentar
Kommentare
Martin MITCHELL am Permanenter Link
Ich selbst schrieb als Feed-back zu der Film-Kritik zum Film "VON JETZT AN KEIN ZURÜCK" von TAGESSPIEGEL-Redakteurin, Christiane Peitz (Jg.
„Gut, dass der Film erneut das Schweigen über die Heimkinder bricht. Nicht gut, dass er seine Helden auf den Opferstatus reduziert. Ruby, die alkoholsüchtige Schlagersängerin in den Siebzigern, Martin, der bei der RAF und im Knast landet – sie sind verloren. Ist der Mensch nicht mehr als das Ergebnis seiner Erziehung?“
(@ http://www.tagesspiegel.de/kultur/schwarz-weiss-film-von-jetzt-an-kein-zurueck-wer-ins-heim-kommt-ist-ein-nichts/11490796.html (bitte dort ganz weit nach unten scrollen))
» Wer ins Heim kommt, ist ein Nichts
Ich als ex-FREISTÄTTER der frühen 1960er Jahre bin folgender Meinnung: Dieser Kinospielfilm "VON JETZT AN KEIN ZURÜCK" ist mit ziemlich kleinem Budget gedreht und hat auch nicht unbedingt den Zuspruch der Kirchen. Zumindest ist dieser Kinospielfilm aber realitätsnah und nicht an der Wahrheit vorbei. Diese verbrecherische Art von Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung in den Nachkriegsjahrzehnten in Westdeutschland – sowohl wie auch in der DDR – hat tatsächlich vielfach ihr weiteres Leben zerstört; und nur dadurch sind sie zu Opfern geworden; und auch viele leben daher schon lange nicht mehr; und wieder andere von ihnen fristen daher heute nur noch ihr Dasein (auch weil Kirche und Staat, und die an ihrer Zwangsarbeit beteiligten Firmen, Landwirte und Großgrundbesitzer, sie einfach nicht „angemessen entschädigen“ wollen). Es ist also nicht, dass die Opfer ihren „Opferstatus“ feiern. Es kann einfach nicht unter diesen hunderttausendfachen gleichlautenden Umständen und Biographien ein »Happy End« geben. Der Film ist »exactly on the mark«.
Dieser Beitrag wurde verfasst und getätigt von Martin MITCHELL in Australien, der im Alter von 17½ Jahren, unmittelbar aus FREISTATT kommend, im März 1964 nach Australien entfliehen konnte.