GRAZ. (hpd) Welche großen Ideologien bildeten den geistigen Hintergrund für diese politischen und religiösen Kriegslehren? Die geistige Aufrüstung für die großen Kriege begann im 19. Jahrhundert. Es waren Philosophen, Theologen und andere Vertreter der geistigen Eliten, welche diese politischen Ideologien aufgebaut hatten.
Einige dieser monopolhaften Glaubenssysteme sollen hier kurz skizziert werden. [1]
Der Traditionalismus wandte sich gegen die Zielwerte der rationalen Aufklärung und der Französischen Revolution. Seine Vertreter waren vor allem Adelige und Kleriker, sie sahen in der alten hierarchischen Ordnung der Gesellschaft einen göttlichen Auftrag. Die Egalität der Menschen, der sozialen Schichten und der Geschlechter durfte es nicht geben, das widersprach dem göttlichen Willen. Bereits die aristokratischen Philosophen Plato und Aristoteles hatten gelehrt, die Götter hätten den Adeligen Gold in das Blut gegeben, den freien Mittelschichten nur mehr Silber, und den Unfreien und Sklaven hätten sie Eisenerz ins Blut gemischt. Diese göttliche Ordnung dürfe von den Menschen nicht verändert werden. Diese aristokratische Lehre verteidigten auch die Theologen mit großer Mehrheit; für sie durfte es daher keine Republik, keine Demokratie, keine allgemeinen Menschenrechte und kein gleiches Recht für alle geben. Diese politische Ideologie war im Deutschen Kaiserreich und in Österreich-Ungarn besonders stark, aber auch im Zarenreich, kaum jedoch in England und Frankreich. [2]
Eine andere Großideologie war der Nationalismus der Sprache, der durch den lutherischen Theologen Gottfried Herder angestoßen wurde. Denn dieser hatte gelehrt, dass in jeder Sprache des Volkes eine göttliche "Offenbarung" gegeben sei. Mit diesem Denkhintergrund bildeten sich im 19. Jahrhundert viele große Sprachnationen, aber auch viele kleine Sprachgemeinschaften (Slowenisch, Slowakisch). Bald lehrten die Philosophen und Theologen, dass die großen Sprachnationen in Europa einen besonderen politischen und kulturellen Auftrag für die kleinen Nationen hätten. Dadurch entstand bei den Eliten ein aggressiver Kulturnationalismus. Viele Politiker sprachen fortan von Herrschervölkern und von Untertanenvölkern. Der Nationalismus wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts von den geistigen Eliten immer mehr politisch und religiös aufgeladen; er führte direkt in die großen Kriege des 20. Jahrhunderts. [3]
Eng mit dem Nationalismus verflochten war der politische Imperialismus, der ebenfalls von den geistigen Eliten getragen wurde. Philosophen und Theologen lehrten unisono, dass die großen Länder Europas imperiale Aufgaben in der ganzen Welt zu erfüllen hätten. Dabei blickten sie auf die großen Imperien der Antike (Römisches Reich) und des Mittelalters (Heiliges Römisches Reich), die als Vorbilder dienen sollten. Frankreich und England sahen ihre imperialen Aufgaben vor allem in den Kolonien in Afrika, in Indien und in Ostasien. Die Politiker des Deutschen Reiches und von Österreich-Ungarn sahen ihre Herrschaftsaufgaben vor allem in Mittel- und Osteuropa, und das Zarenreich sah seinen Herrschaftsbereich in Nord- und Zentralasien, aber auch in Osteuropa. Damit war ein großer Krieg für Europa vorprogrammiert. [4]
Schon im frühen 19. Jahrhundert entstand unter den Eliten die Großideologie der Rassenlehre. Bereits 1839 schrieb der französische Adelige Arthur de Gobineau ein Buch über die "Ungleichheit der Menschenrassen". Er kämpfte damit gegen die Lehren von der Egalität der Menschen, wie sie in der Französischen Revolution vertreten wurden. Dieser und viele andere Adelige fürchteten den sozialen Abstieg und den Aufstieg des Bürgertums. Er glaubte, dass die französischen Adeligen die Nachfahren der Franken und damit der Germanen seien, während die meisten Franzosen Romanen seien. Wie die Adeligen sich nicht mit den Bürgerlichen verheiraten durften, so sollten sich fortan die unterschiedlichen Menschenrassen nicht mit einander vermischen. Denn das führe zur "Entartung" der Völker – für A. Hitler zur "Vermantschung" der Völker. Für A. Gobineau war die "arische Rasse" die höchste aller Menschenrassen, sie sei zur Weltherrschaft bestimmt. Der deutsche Orientalist Paul de Lagarde nannte die Juden eine fremde Rasse in Europa, sie sollten von dort entfernt werden. Die Soziologen L. Gumplowicz und G. Ratzenhofer sahen in den "Menschenrassen" einfach Naturtatsachen. Der Engländer Houston Stewart Chamberlaine bekämpfte eine "Vermischung der Rassen" und entwarf Konzepte zur "Züchtung edler Menschenrassen". – Diese Großideologie wurde durch die umgedeuteten Lehren Darwins (Neodarwinismus) noch deutlich verstärkt; sie führte schließlich in den großen Rassenkrieg von 1939 bis 1945. [5]
Mit dem Imperialismus verband sich bei den politischen und militärischen Eliten der kämpferische Militarismus. Denn ohne große militärische Siege waren die nationalen und imperialen Aufgaben nicht zu erfüllen. Das Militär hatte in den Monarchien ein hohes Ansehen, es bildete zusammen mit den Kirchenleitungen die Stütze der Könige, Kaiser und Zaren. Zu dieser Zeit schritten die Forschungen der Naturwissenschaften schnell fort (Physik, Chemie, Biologie), die Waffentechnik wurde ständig verbessert. Auf dieser Grundlage wurden die Heere vergrößert, starke Kriegsschiffe mit immer größeren Kanonen gebaut und die Eisenbahnen gemäß strategischer Zielvorgaben angelegt. Zu dieser Zeit gab es schon Lastwagen mit Benzinmotoren und erste Flugzeuge. Das einfache Volk wurde ideell in die Aufrüstung der Heere und der Flotten (Flottenvereine) einbezogen. Die meisten Politiker konnten die Zerstörungskraft der neuen Waffen gar nicht mehr realistisch einschätzen. Sie glaubten, dass sie unbesiegbar seien. [6]