Rüdiger Nehberg – pragmatischer Visionär

hpd: Sie sind weltbekannt. Wie wichtig ist denn Ihr Name, dass Sie sagen, ich bin der Rüdiger Nehberg? Und was kann so ein Niemand wie ich denn machen?

Nehberg: Für Dr. Elyas war ich auch ein Nobody. Keine Homepage, nichts. Gerade mal einen Personalausweis. Aber ich kam als Freund zum Freund, als Beduine zu Beduinen, auf Augenhöhe, ohne westliche Überheblichkeit.

hpd: Man muss nur clever sein, muss eine Idee haben?

Nehberg: Clever hört sich so an, als wolle man den anderen austricksen. Das war nie mein Anliegen. Ich appellierte an seine Hilfsbereitschaft und die Kraft seines Amtes, mit der er Wunder bewirken könnte.

hpd: Sie haben vorher von einem ersten Test gesprochen, als ich nach Trainingsprogramm gefragt hatte, wie man üben kann, seine Ideen zu verwirklichen. Also mit was Kleinem anfangen?

Nehberg:  Ja. Ein Nichtschwimmer sollte nicht gleich ins Tiefe springen. Vor jedem Vorhaben gilt es, die Gefahren und Schwierigkeiten zu analysieren, die sich ergeben könnten. Dann überlegt man, wie man sie bestmöglich minimiert. Um sich nicht von dem einen oder anderen Misserfolg deprimieren zu lassen, empfehlen sich Reservepläne, Optimismus und Durchhaltevermögen. Und Glück.

hpd: Eine gute Strategie, sagen Sie, ist das Allerwichtigste. Sind Sie ein Naturtalent oder wie kriegen Sie die Strategie?

Nehberg: Ich bin kein Naturtalent, eher Pragmatiker. Nehmen wir den Einsatz gegen die Weibliche Genitalverstümmelung. Da wusste ich, dass es nicht im Koran steht und verboten ist, jemandem ohne Grund Schaden zuzufügen. Ein wirklich Gläubiger kann seinen Töchtern das dann nicht mehr antun. Er muss es nur von den Geistlichen erfahren, dass es Sünde ist.

hpd: Sie haben unglaublich viel Durchhaltevermögen. Ist es wichtig, sich nicht deprimieren zu lassen, sondern immer weiterzumachen?

Nehberg: Ja, ich mache ja auch schon seit elf Jahren weiter. Ich wollte längst am Ende sein. Da haben wir diese „Goldene Botschaft“ der höchsten Geistlichen, aber sie verbreitete sich nicht. Die Scham, über den Unterleib der Frau zu sprechen, ist größer geblieben als die Vernunft. Deshalb versuche ich seit Jahren, auch den König von Saudi-Arabien als Mitstreiter zu gewinnen. Aber noch ist mir kein Gespräch gewährt worden. Trotz bester Empfehlungen. Dabei bin ich davon überzeugt, dass er mitmachen würde. Mit Mekka hat er ein Machtpotential und eine Chance, die nicht mehr zu überbieten sind. Kraft seiner Autorität und als Herr über Mekka könnte er nicht nur den Frauen helfen, das unsägliche Leid zu beenden. Er könnte der Welt zeigen, wozu die Ethik und Kraft des Islam imstande sind. Es wäre gleichzeitig eine historische Demonstration gegen die Terroristen, die den Islam für ihre Verbrechen missbrauchen. Ich habe aber noch weitere Ideen, das Anliegen weltweit und letztlich erfolgreich publik zu machen. Bis hinter die letzte Düne in der Sahara.

 

hpd: Und wenn das nicht klappt?

Nehberg: Dann spornt das meine Fantasie an. Es muss klappen. Eine weitere Möglichkeit wäre beispielsweise eine illustrierte Rede vor der Organisation of Islamic Cooperation (OIC) in Djidda. Ihr gehören die 57 islamisch regierten Staaten an. Oder vor der Afrikanischen Union.

Ich arbeite schon deshalb immer an mehreren Projekten parallel, weil ich enorm unter Zeitdruck stehe. Ich merke deutlich, wie mich die Natur recycelt. Ich bin 77. mein Ende ist absehbar.

hpd: Beziehen Sie auch die schlummernden Kräfte der Frauen ein, der Opfer?

Nehberg: Auf jeden Fall. Sie stellen ein gewaltiges ungenutztes Potential dar. In Djibuti haben wir eine Konferenz nur für Frauen veranstaltet. Wir geben ihnen, ihren Organisationen, Universitäten, Schulen die Goldenen Bücher, machen ihnen Hoffnung. Wir zeigen ehemaligen Verstümmlerinnen Alternativen auf. Zum Beispiel, als Hebammen zu arbeiten.

hpd: Wie können wir Menschen in Deutschland Sie am besten unterstützen, damit Ihr Traum in Mekka wahr wird?

Nehberg: Mit wirksamen Kontakten nach Saudi-Arabien.

hpd: Wie kann man Sie denn noch unterstützen?

Nehberg: Mit Spenden oder Fachwissen. Man muss nur auf unsere Homepage schauen. Da sind viele Beispiele angegeben.

hpd: Zum Geld nochmal. Wie schafft man es, Ideen zu realisieren? Es gibt ja auch viele, die sagen: Ja, das würden Sie gerne machen oder dies ist eine tolle Idee, aber sie haben kein Geld dafür. Was würden Sie denen sagen?

Nehberg: Dann ist die Idee nicht gut, oder sie haben bisher die falschen Partner angesprochen. Braucht man dafür wirklich Geld? Manchmal braucht man ja nur die Öffentlichkeit. Etwas Geistreiches, Spektakuläres, vor allem Neues, das man nicht schon hundertmal gesehen hat – anders als die obligatorischen Unterschriftenlisten.

hpd: Es gibt ja den Begriff ‚direkte Aktion‘ oder auf englisch ‚direct action‘ – kann man das unter diesem Begriff zusammenfassen?

Nehberg: Ja. Ich nenne mich auch Aktivist für Menschenrechte. Aktionen, gepaart mit Diplomatie. Sie sind oft wirksamer als lange Briefe und Wehleidigkeit. Wenn ich wegen der Indianer mit aberwitzigen Fahrzeugen (Tretboot, Bambusfloß, massiver Baumstamm) über den Atlantik gefahren bin, dann war das ein Medienthema. Beim aktuellen Engagement gegen FGM sind die Aktionen ganz anderer Art. Da sind Sensibilität und Respekt gefragt. Aber alle bedeuten für mich Spannung. Ich hatte immer schon mehr Ideen als Restlebenszeit. Ich sollte mit Ideen handeln.

hpd: Also Respekt und Menschlichkeit?

Nehberg: Ja. Trotz des heiklen Themas haben wir in den elf Jahren unserer Tätigkeit noch keinen Gegner getroffen. Wir kommen zu Brüdern, Menschen, Beduinen, Freunden und Partnern. Wir trinken gemeinsam Tee und bitten sie um ihre Hilfe. Bei der Konferenz in der Azhar zu Kairo saß ich am Vorstandstisch mit den höchsten Geistlichen. Oft betagte Männer, die den Mut aufgebracht haben, ihre lebenslang vertretene Meinung zu ändern und sich öffentlich dazu zu bekennen. Da hätten jene Bedenkenträger gestaunt, die da meinten „Der Islam ist nicht dialogfähig.“ Das können nur Verblendete behaupteten, die vergessen, was das Christentum an Verbrechen angehäuft hat: Kreuzzüge, Indianerausrottung, Inquisition, Sklavenhandel... Und so wie die Christen lieber an ihrem positiven Potential gemessen werden möchten wie soziale Verantwortung, Nächstenliebe, Diakonie..., so habe ich es im Islam erfahren, wo Gastfreundschaft geradezu heilige Dimensionen erreicht.