Fragliches Urteil für Nazi-Gegner in Dresden

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Fotos: sr / ngn, nw / mgrg, hh/cl /AAS ("Netz gegen Nazis")

DRESDEN. (hpd) Es wirft ein zweifelhaftes Licht auf Sachsens Justiz, wenn, wie in der vergangenen Woche, in Dresden an zwei verschiedenen Gerichten Urteile gefällt wurden, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ein Nazi-Gegner wird zu einer längeren Haftstraße verurteilt, während Neo-Nazis Bewährungsstrafen erhalten.

Während am Amtsgericht Dresden ein 36-jähriger Angestellter einer Geschäftsstelle der LINKEN wegen seiner Proteste gegen den Neonazi-Aufmarsch 2011 in Dresden zu einem Jahr und zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde, bestätigte das Landgericht Dresden eine Verurteilung von fünf Rädels­führern der verbotenen Neonazi-Gruppierung „Sturm 34” wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungs- und Geldstrafen.

Das rigorose Vorgehen gegen Nazi-Gegner, besonders wenn sie aus dem linken Spektrum kommen, scheint in Dresden bereits Methode zu haben. Dies bekamen 2010 sogar die Landtags­abgeordneten der Linken zu spüren, die sich den Protesten der Bevölkerung angeschlossen hatten. Gegen führende Abgeordnete wurden Prozesse angestrengt, die sogar zur Aufhebung der Immunität führten, wie beim sächsischen Abgeordneten André Hahn.

Kurioserweise wurde ebenfalls am 16.1.2013 genau dieses Verfahren gegen André Hahn ohne Auflagen eingestellt. Hierzu sagte er: „Natürlich bin ich froh und erleichtert darüber, dass nunmehr wohl auch klar ist, dass für den friedlichen Widerstand und die erfolgreiche Blockade gegen den Nazi-Aufmarsch im Jahr 2010 niemand mehr strafrechtlich verfolgt werden kann. Es war ja ohnehin schon eine abenteuerliche Konstruktion und zugleich ein Politikum, dass von den mehr als 12.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Protestaktionen ganze vier angeklagt wurden und vor Gericht gestellt werden sollten, und das waren ganz zufällig jeweils die Fraktionsvorsitzenden der LINKEN aus den Landtagen in Thüringen, Hessen und hier in Sachsen.”

Während aber 2010 alles relativ friedlich verlief, gab es 2011 an einigen Stellen Aus­einander­setzungen mit der Polizei. Dieser 19. Februar 2011 war dennoch größtenteils von friedlichen Protesten geprägt. Über 20.000 Gegen­demonstranten hatten sich in Dresden an verschiedenen Stellen versammelt, hielten Mahnwachen und bildeten in der Innenstadt Blockaden. Es war dennoch anders, als das Jahr zuvor, als sich die Neonazis von der Polizei nicht genügend „beschützt” sahen. Dies schien die Polizei 2011 mit aller Konsequenz und Härte nachholen zu wollen – Wasserwerfer-Einsatz und Pfeffersprays gegen friedliche Demonstrierer und definitives Wegsehen und Nicht­eingreifen bei einem Angriff der Neonazis auf ein alternatives Wohnprojekt.

Als die Demonstranten glaubten, die Nazis vertrieben zu haben, wurden rund 300 Demonstranten von der Polizei eingekesselt. Ihre Personalien wurden aufgenommen, weil sie eine Straftat begangen hätten. Dabei ging es offensichtlich um Repression und das Festhalten der Menschen in der Kälte. Rund 200 der Eingekesselten gelang irgendwie der Ausbruch und sie wurden gnadenlos von den Polizisten verfolgt und wieder eingefangen. Das Büro Dresden Nazifrei wurde ebenfalls erst nach der Nazidemonstration und ohne Durch­suchungs­befehl durch die Polizei gestürmt.

Auf einem an diesem Tag von Bundestags­vizepräsident Wolfgang Thierse absolvierten Rundgang zu den kirchlichen Mahnwachen hatte dieser gesagt: „Ich habe das ungute Gefühl, dass hier in Dresden die Leute behindert werden, die sich gegen Nazis aussprechen. Dabei ist es so wichtig, heute auf der Straße zu sein!"

Tim H. (Angestellter der Bundes­geschäftsstelle der LINKEN in Berlin) hatte sich an dem erfolgreichen Protest gegen den Neonazi-Aufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden beteiligt. Es wurde ihm vorgeworfen, ein Megafon zur breiten Beeinflussung der Protestierenden getragen und zum Durchbrechen der Polizeilinie aufgefordert zu haben, wobei dann mehrere Polizisten „verletzt” wurden. Für den Richter Hans-Joachim Hlavka war eine unmittelbare Tatbeteiligung des Angeklagten überhaupt nicht relevant. Er lud ihm gleich mal noch alle anderen in diesem Zusammenhang geschehenen „Straftaten” mit auf – Sippenhaft? Gleichzeitig spielte er sich als Verfechter der Meinung der Dresdner Bevölkerung auf, wenn er zur Begründung anführte: „Irgendwann hat die Bevölkerung in Dresden es mal satt."

In einem hat er recht – die Dresdner haben es satt, jährlich wieder von Neonazi-Aufmärschen heimgesucht zu werden. 2010 gelang es, nach vielen Jahren der Unentschlossenheit und des Streites über die möglichen Formen des Protestes, den Aufmarsch zu blockieren. Daran waren viele tausend Menschen nicht nur aus Dresden, sondern auch viele aus anderen Städten, die bis dahin nicht so erfolgreich gegen Rechts gekämpft hatten, beteiligt.

In den vergangenen Jahren hat die Sächsische Regierung die Nazi-Aufmärsche immer wieder ignoriert und damit ermöglicht. Im Gegensatz dazu setzte sie alle Hebel in Bewegung, diejenigen zu kriminalisieren, die sich aktiv gegen Rechts zur Wehr setzten. Dieses Verhalten musste Nazis ermutigen, hier ein Feld für ihre Betätigung zu finden und wohlgesonnene Behörden, die dieses Treiben unterstützen bzw. lieber die Augen zumachen.

Wieso hatte die Landesregierung und Stadtverwaltung dazu keine klare Position bezogen? Die sich seit mehreren Jahren gebildete Widerstandsbewegung aus Gewerkschaften, Oppositionsparteien, kirchlichen Gruppen und vielen Dresdner Bürgern hatten bei den Regierenden kein Gehör gefunden. Jeder, der sich gegen die Neonazi-Aufmärsche stellte, wurde kriminalisiert bzw. gleich als „Links” abgestempelt. Dabei sollte es doch unser Demokratieverständnis erlauben, dass sich Menschen aktiv gegen Bedrohungen besonders von Rechts mit geeigneten Mitteln zu Wehr setzen können.