Kommentar

Reformations-Feiertag: Muss das wirklich sein?

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Anti-Luther-Protest vor der Marktkirche in Hannover vergangene Woche
Nackter Luther Hannover

Der Gesetzesentwurf, der den Reformationstag zum neuen Feiertag in Niedersachsen machen soll, liegt auf dem Tisch. Die Begründung wirft Fragen auf, genau wie die Eignung des 31. Oktobers an sich. Er soll ein Tag der interreligiösen Verständigung werden. Aber schon jetzt zeichnet sich das genaue Gegenteil ab.

Seit sich der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Wahlkampf auf den Reformationstag als neuen Feiertag festgelegt hat, wird darüber diskutiert. Die einen beklagten die Hinterzimmerpolitik und die nicht vorhandene offene Diskussion, die anderen meinten, eine solche sei erst möglich, wenn der Gesetzesentwurf auf dem Tisch liege. Vor drei Tagen hat die niedersächsische Landesregierung nun einen Entwurf zur Änderung des Feiertagsgesetzes vorgelegt. Und welcher Tag ist darin als neuer Feiertag auserkoren worden? Natürlich der Reformationstag. Und mit diesen quasi-vollendeten Tatsachen soll jetzt die eigentliche Debatte geführt werden, inklusive Anhörung der Verbände. Aber wie ernsthaft können diese Gespräche noch sein, wenn der 31. Oktober schon auf dem Papier steht? Nach mehr als einer Beschwichtigungstaktik klingt das nicht.

In der Begründung, warum man sich für den Reformationstag entschieden habe, macht es sich die Landesregierung besonders einfach: Sie schiebt Hamburg und Schleswig-Holstein vor, die sich in den vergangenen Wochen bereits für den Reformationstag als neuen Feiertag entschieden haben: "Um bei der Wahl eines Feiertages Probleme im Arbeitsablauf der Wirtschaft und der Verwaltung sowie im Güterverkehr zu vermeiden, sollte eine 'Insellösung' vermieden werden", kann man im zwölfseitigen Gesetzesentwurf lesen. Wie praktisch! So stiehlt sich die GroKo des Nordens geschickt aus der inhaltlichen Verantwortung.

Denn die Begründung, warum man sich nicht für einen weltlichen Feiertag mit bundesweiter Bedeutung entschieden habe, ist lächerlich: Die Beschränkung auf Niedersachsen oder die norddeutschen Bundesländer sei nicht überzeugend, heißt es da. Ernsthaft? Das ist die Begründung, sich gegen einen Tag wie den 8. Mai (Ende des Zweiten Weltkrieges), den Internationalen Frauentag (8. März), den Tag des Grundgesetzes am 23. Mai oder den Tag der Menschenrechte (10. Dezember) zu entscheiden und für einen protestantischen Tag, während dieser Kirche in Niedersachsen nur noch knapp die Hälfte der Bevölkerung angehört (im Gesetzesentwurf nennt man das "protestantische Prägung")? Es wäre also nicht möglich gewesen, sich auf der Sonderbesprechung der Regierungschefs der norddeutschen Länder am 1. Februar auf einen Feiertag zu einigen, der besondere Meilensteine unserer heutigen Zivilisation würdigt? Das ist nur schwer vorstellbar.

In der Gesetzesvorlage ist explizit von einem Feiertag für evangelische Christen die Rede. Nun wird also doch eingeräumt, dass sich nur ein (schrumpfender) Teil der Bevölkerung mit dem neuen Feiertag identifizieren können wird. Noch letzte Woche hatte Jens Nacke (CDU) die Frage gestellt, ob es sich beim Reformationstag wirklich um einen religiösen Feiertag handele oder ob er nicht auch als weltlicher Feiertag betrachtet werden könne, denn ein weltlicher Einfluss der Reformation sei ohne Zweifel gegeben. Diese Argumentation setzt sich im Gesetzesentwurf fort: Das bekannte Friede-Freude-Eierkuchen-Geschwurbel, dass es nicht um Luther und seine "teilweise höchst angreifbaren Äußerungen" gehe (wie niedlich!), sondern um die Reformation, deren Prägung man einer größeren Öffentlichkeit bewusst machen müsse und deren Reichweite in den schillerndsten Farben ausgemalt wird. Ein Reformationstag ohne Luther? In der Praxis schwer vorstellbar. Gerade wenn man an die "guten Erfahrungen mit der tatsächlichen Gestaltung der Feierlichkeiten rund um den Jubiläumsreformationstag 2017" zurückdenkt, an den Rekordabsatz des Luther-Playmobilmännchens oder das Luther-Pop-Oratorium. Warum sollten künftige Reformationstage auf einmal auf den gut vermarktbaren Personenkult verzichten?

Nein, es gehe um einen geschaffenen gesamtgesellschaftlichen Diskurs, den es fortzusetzen gelte. Und was in der Kirchenrepublik Deutschland auf keinen Fall fehlen darf: Kenntnis und Vertrautheit mit der biblischen Überlieferung und der Geschichte des Christentums seien notwendig zum Verständnis unserer Gesellschaft. Man bekommt das Gefühl, die Reformation sei das einzige bedeutende Ereignis der Frühen Neuzeit gewesen. Kein Wort über echte Aufklärer oder darüber, dass vieles eben gegen dieses Christentum erstritten werden musste!

"Der Reformationstag, der die religiöse Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt stellt, eignet sich als Tag der christlichen Ökumene und der interreligiösen Verständigung", wird als weiteres Argument im Gesetzentwurf aufgeführt. Wie gut das funktioniert, kann man jetzt schon beobachten: Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen meldete sich unter anderem in einem Offenen Brief, der dem hpd vorliegt, an die Landtagsabgeordneten zu Wort. Den Reformationstag als neuen gesetzlichen Feiertag festzulegen, finden die Juden "untragbar". Sie sprechen von einer "nicht hinnehmbaren Desavouierung der jüdischen Glaubensgemeinschaft" angesichts von Luthers Antisemitismus. Sie betonen: "Luther ist die Reformation und der Reformationstag ist ein Luther-Tag". Nach der Bedeutung der Feiertagsfestlegung für das christlich-jüdische Verhältnis gefragt, spricht Michael Fürst, Präsident des jüdischen Landesverbands, in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) von einer "Belastung" und einem "Affront". Er kündigte Proteste an, damit "dieser Tag nicht so ein schöner Tag wird, wie sich die Regierung das vorstellt". Er nahm auch Bezug auf Widerstand von humanistischer Seite. Vergangene Woche hatten beispielsweise Aktivisten der Giordano-Bruno-Stiftung mit ihrem "Nackten Luther" auf die Ausfälle des Reformators nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen Frauen, Behinderte und Bauern hingewiesen. Konfrontation statt Dialog – inter- geschweige denn extrareligiöse Verständigung sieht anders aus. Im Gegenteil: alte Gräben brechen wieder auf. Damals wie heute scheint die Reformation eher spaltenden denn einenden Charakter zu haben. Das kann nicht im Sinne der Landesregierung sein.

Alternativ könnte sie den Spieß ja auch umdrehen: Niedersachsen könnte mit gutem Beispiel für den Rest der Republik vorangehen und einen (weiteren) längst überfälligen, modernen, überkonfessionellen Feiertag einführen. Vielleicht würden ja sogar umgekehrt andere Bundesländer folgen.