Sterbehilfeprozess Berlin: Dr. Turowski im Gespräch

"Weil ich dem erklärten Patientenwillen gemäß gehandelt habe"

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Gita Neumann und Dr. Christoph Turowski im Gespräch
Gita Neumann und Dr. Christoph Turowski im Gespräch

Der spektakuläre Suizidhilfeprozess gegen den Berliner Hausarzt Dr. Turowski (68) endete mit einem Freispruch. Bisher eher öffentlichkeitsscheu, erläutert der Arzt im sehr persönlichen Gespräch gegenüber dem hpd, warum er seinen Fall jetzt als Kampfansage gegen § 217 StGB versteht und wie leicht jeder human gesinnte Arzt völlig unschuldig in die Falle hoher Prozesskosten geraten kann.

Gita Neumann/hpd: Das bundesweite Medienecho in Presse und Fernsehen war enorm. Wie wir es gemeinsam erhofft und erwartet hatten, endete Ihr Suizidhilfe-Prozess am 8. März im Kriminalgericht Moabit mit einem Freispruch. Möchten Sie bitte kurz zusammenfassen, worum es eigentlich ging und was Sie an Strafe befürchten mussten.

Dr. Christoph Turowski: Im Februar 2013 hatte ich einer langjährigen, völlig verzweifelten Patientin von mir, Frau D., mit der Verschreibung von entsprechenden Tabletten geholfen, selbstverantwortlich aus dem Leben zu scheiden. Sie hatte seit ihrer frühen Jugend insgesamt über 28 Jahre erfolglos alles versucht, ihr Leiden zu lindern. Sie zeigte sich nach bereits mehreren Suizidversuchen mir gegenüber nunmehr auch entschlossen, einen Gewaltsuizid zu begehen.

Da diese Suizidhilfe zumindest nach damaliger Rechtslage – d.h. vor Inkrafttreten des § 217 StGB – eindeutig straflos war, nahm ich mit Gelassenheit zunächst die Durchsuchung meiner Praxis und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit fast dreistündigem Verhör hin. Als ich dann am 1. Oktober 2015 – über zweieinhalb Jahre nach dem Suizid meiner Patientin – die Anklage erhielt, war ich schockiert. Seit dem 11. Januar dieses Jahres stand ich nunmehr als Angeklagter vor dem Landgericht Berlin wegen "Tötung auf Verlangen" zunächst durch Unterlassen von Rettungsmaßnahmen und dann sogar durch "positives Tun".

In einem ähnlichen Fall hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den ärztlichen Kollegen Dr. Spittler, der glücklicherweise auch freigesprochen wurde, Ende vorigen Jahres sogar sieben Jahre Haft gefordert. Es war klar, dass auch ich exzellenten Rechtsbeistand benötigte, um einer eventuellen Gefängnisstrafe von mehreren Jahren zu entgehen.

Näheres zu der Fallgeschichte kann nachgelesen oder nachgesehen werden bei rbb24.de/panorama, RTL, ARD Brisant und dann in fast allen größeren Tagesszeitungen von Tagesspiegel über Bild bis zur Süddeutschen sowie in Focus und der Zeit.

Lesenswert sind dort auch die Menge der Kommentare, die eine Riesenwelle der Zustimmung für Sie und Empörung gegen die Anklage zum Ausdruck bringen. Auch im Gerichtssaal war ja der Jubel nach Verkündung Ihres Freispruchs groß. Wie geht es Ihnen mit diesem Rummel um Ihre Person, Sie wirken ja als ein sehr bescheidener und zurückhaltender Mensch, der nicht so gern im Mittelpunkt steht. Zudem sind Sie bisher weder im Zusammenhang mit einer Sterbehilfeorganisation noch mit der Unterschrift zu einem Appell pro Suizidhilfe irgendwo in Erscheinung getreten.

Ja, ich würde mich durchaus als öffentlichkeits- und vor allem medienscheu bezeichnen. Plötzlich war ich eine stadtbekannte Person, stand in allen Zeitungen und habe auch Fernsehaufnahmen über mich ergehen lassen müssen, was mir nicht leicht fiel. Aber für die Sache habe ich mich dem Medienecho gestellt. Die moralische Unterstützung und der solidarische Zuspruch, auch von vielen ehemaligen Patienten – ich bin ja inzwischen berentet – waren und sind für mich eine große Hilfe und Stärkung.

Ich wurde wider Willen in die Öffentlichkeit gezerrt und kämpfe jetzt aufgrund meiner Erfahrung mit dem Rechtssystem – auch für die Gesamtärzteschaft – für eine Liberalisierung der Suizidhilfe in solchen, zum Glück sehr seltenen, verzweifelten Fällen. Das Sterbehilfeverbotsgesetz § 217 StGB von 2015 muss ersatzlos gestrichen werden, dieser Forderung schließe ich mich jetzt öffentlich an.

Ich möchte den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen aufgrund der für mich sehr tragischen Erfahrung klar machen, wie schnell wir – vor allem durch die seitdem ja verschärfte Rechtslage durch § 217 StGB – völlig unschuldig in eine solche Situation geraten können. Dies reicht von den ersten Ermittlungen über die Praxisdurchsuchung bis hin zur Anklage als Krimineller mit enormen Kosten. Und das nur, weil wir unserer Ethik, der Humanität und dem erklärten Patientenwillen gemäß gehandelt haben und dazu auch stehen.

Ihnen selbst wurde ja wohl Ihre – wenn man so will naive – Ehrlichkeit zum Verhängnis, in dem Sie auf dem Totenschein neben dem Organversagen auch Tablettenintoxikation angaben und noch dazu mit der für die Obduktion zuständigen Person gesprochen haben, die sich dann falsch daran erinnerte. Wenn dieser Bereich nicht in der Grauzone bleiben soll, muss Ihr Fall ja auch in der Ärzteschaft und Medizinethik ein großes Echo auslösen.

Dieses positive Echo zeigt sich nur bei der allgemeinen Presse und in persönlichen Glückwünschen – darunter auch von prominenten Palliativmedizinern und einzelnen ärztlichen Kollegen in Kolleginnen. Leider hörte und las ich bisher nichts von offizieller Seite, von medizinischen Zeitschriften, Verbänden, Berufsgruppen, Ärztekammer usw. Dabei handelt es sich um ein brennendes Problem, das die gesamte Ärzteschaft angeht und etlichen auch auf den Fingern brennt. Der neue Paragraph 217 StGB, das Sterbehilfeverbotsgesetz von November 2015, bedeutet einen gewaltigen Rückschritt in der Gesetzgebung und bedroht potentiell jeden einfühlsamen Arzt. Es treibt die verzweifelten Menschen in einen unwürdigen, einsamen Gewaltsuizid, weil ihnen Hilfe, ja schon ein vertrauliches Gespräch von ärztlicher Seite, verwehrt werden muss.

Sie wurden ja noch nach der vorher bestehenden Rechtslage angeklagt, welche die aktive Suizidhilfe selbst, also die sogenannte Förderung durch Beratung und Beschaffung von suizidtauglichen Medikamenten, noch gar nicht unter Strafe stellte. Bemerkenswert ist, dass der ursprüngliche Vorwurf des Tötens durch Unterlassen von Rettungsmaßnahmen von der Staatsanwaltschaft im Laufe des Verfahrens hinten runterfiel. Ihnen wurde dann aktives Tun vorgeworfen, indem Sie der bereits tiefkomatösen Patientin, die ja leider 58 Stunden in diesem Zustand verblieb, noch das Antibrechmittel MCP gespritzt haben sollen. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer dann aber keine Gefängnisstrafe mehr, sondern als Strafmaß "nur noch" 18.000 Euro Strafe.

Diese MCP-Injektion hat sich die Suizidentin sinnvollerweise vor der Tabletteneinnahme selbst gegeben. Durch eine fehlerhafte Aussage in Folge falscher Erinnerung der Obduzentin, ich hätte ihr im Gespräch damals etwas anderes vermittelt, wurde mir dieses Tun unterstellt. Kurioserweise hat jedoch das Gericht diese Injektion als palliative Maßnahme umgedeutet, um einen Erstickungstod zu verhindern. In der Urteilsbegründung war dann sogar angeführt, eine solche Injektion, auch wenn ich sie gesetzt hätte, wäre eine das Sterben lindernde und keinesfalls verkürzende Maßnahme gewesen – zu meinen Gunsten.

Die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe von 18.000 Euro wurde durch den Freispruch ja abgewendet, trotzdem bleiben Sie – man mag es kaum glauben – ja noch auf einer viel höheren Geldsumme sitzen. Sie sprechen von einer Kostenfalle, in die Sie zusammen mit Ihrer Frau geraten sind. Ich darf dazu erwähnen, dass Sie unvermögend und beide berentet sind.

Ja, der Prozess bis hierher hat mich (und damit meine am Verfahren unbeteiligte Frau) in eine Kostenfalle gerissen. Wir haben Anwaltskosten bezahlt, von denen ich bei Freispruch nach Aussage meiner Anwälte nur ca. 10 % aus der Justizkasse zurückbekomme.

Gegen eine erste fundierte Stellungnahme meines Rechtsanwaltes an das Landgericht hatte die Anklagebehörde widersprochen. Daher musste er noch eine zweite, ausführlichere Stellungnahme an das Landgericht verfassen. Es war zudem die Hinzuziehung eines zweiten Anwalts nötig. Ursprünglich waren nur vier Verhandlungen geplant, dann wurden daraus wegen Zeugen- und Gutachterbefragungen neun Termine.

Ich möchte betonen, dass ich meinen beiden Rechtsanwälten sehr herzlich danke für ihre sehr gute fachliche und menschliche Begleitung, die alles Geld der Welt wert war. Das ändert nichts daran, dass bisher fast 30.000 Euro zu bezahlen waren. Meine beiden Rechtsschutzversicherungen (eine persönliche und eine berufliche), in die ich Jahrzehnte eingezahlt habe, haben eine Kostenbeteiligung abgelehnt. Ich bleibe also kostenmäßig weit höher bestraft als es die Geldstrafe der Staatsanwaltschaft vorsah.

Spendenkonto:

Dr. Christoph Turowski, Spendenkonto Postbank Berlin
IBAN DE67 1001 0010 0643 2911 24,
Zweck: Prozesskosten Suizidhilfe

Kontaktanfrage unter: gita.neumann@humanismus.de

Das muss sicher sehr bitter sein.

Ich bin vor den Kadi gezerrt worden bei juristisch klarer Unschuld: Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid war zur Tatzeit straflos und Rettungsmaßnahmen gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten wären umgekehrt sogar strafbare Körperverletzung gewesen. Die Patientin hatte jederzeit die Tatherrschaft. Ich habe lediglich Beihilfe geleistet. Heute haben wir es hingegen mit einem neuen Straftatbestand bei der Suizidhilfe zu tun. Jeder unschuldige Mensch kann jetzt noch eher in eine solche Situation geraten wie ich.

Wenn die Staatsanwaltschaft Revision gegen meinen Freispruch einlegt, um eine höchstrichterliche Klärung beim Bundesgerichtshof zu erzwingen, könnten nochmals 40.000 Euro folgen. Das heißt, ich habe schon eine horrende Geldstrafe erlitten, ohne je verurteilt zu sein. Daher habe ich mich – auch auf Ihr Anraten – schweren Herzens entschlossen, ein Spendenkonto zu eröffnen. Ich bitte also diejenigen, denen dieses Problem der strafbedrohten Suizidhilfe ein Anliegen ist, um eine Spende zur Linderung meiner Unkosten.

Ja, erst dachten wir an Crowdfunding, was aber kompliziert ist. Es werden sich hoffentlich auch noch weitere Organisationen beteiligen. Das Konto für Ihren Fall soll ja jetzt der Einfachheit halber der Anfang sein. Aber Sie haben zu Finanzfragen noch einen anderen wichtigen Aspekt angeführt: Die erheblichen Kosten für einen unsinnigen Prozess zulasten der Steuerzahler.

Ja, das liegt mir auch am Herzen: Zwischen dem Tod von Frau D. und dem heutigen Tag liegen fünf Jahre. Mit dem Fall waren bis jetzt sehr viele Menschen beruflich beschäftigt: Die Kripo am Todestag und in meiner Praxis, die Ermittlungsbehörden mit diversen langwierigen Vernehmungen, zwei Kammern dieses Gerichtes, die Staatsanwaltschaft, das Aufgebot von zehn Zeugen, drei gerichtsmedizinische Gutachten. Dadurch sind dem Staat enorme Kosten aufgebürdet worden für einen juristisch klaren Tatbestand, der nicht strafbar war. Daher empfinde ich diesen Prozess als skandalöse Geldverschwendung unserer Steuergelder!

Und so denken sicherlich die meisten Bürger. Natürlich wird dafür auch niemand verantwortlich gemacht und zur Rechenschaft gezogen.

Sie beklagen also etwas Grundsätzliches an der Prioritätensetzung unseres Justizsystems?

So ist es. Der im Vergleich zur Tat große Aufwand für die Justiz ist umso unverständlicher, da bekanntermaßen die Gerichte völlig überlastet sind. Im Berliner Tagesspiegel vom 2.1.18 wird die Situation in diesem Gericht, vor dem ich angeklagt war, so beschrieben: "Laut dem aktuellen statistischen Jahrbuch erheben die deutschen Staatsanwälte nur noch in 22 % aller Verfahren Anklage …". Oberstaatsanwalt von Hagen, der die Anklageschrift gegen mich verfasst hat, wird in diesem lesenswerten Artikel auch erwähnt.

Abschließend noch einmal zur Spendenaktion. Wenn sich dort tatsächlich sogar Überschüsse ansammeln sollten, die Sie selbst nicht für Ihre Unkosten benötigen, sollen diese ja für andere, ähnliche Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Wir dürfen die Kontoverbindung hier auch benennen. Auch wenn steuerabzugsfähige Spendenquittungen dafür natürlich nicht erhältlich sind.

Vorgesehen ist ja zum Schutz der Spender eine Kontenüberprüfung durch einen unabhängigen Rechtsanwalt. Eventuelle Überschüsse sollen der humanen Sterbebegleitung zugutekommen, und zwar in diesem Fall denjenigen, die Opfer des § 217 StGB werden oder geworden sind.

Ich sage es hier nochmals in aller Deutlichkeit: Ich werde in Zukunft weiterkämpfen für eine Liberalisierung der Rechtslage für die Ärzte und Patienten, die sich in solchen Situationen befinden. Es ist unerträglich, dass ärztliches Tun kriminalisiert und unter Strafe gestellt wird bei Menschen, die ernsthaft einen selbstbestimmten Tod in Würde für sich wünschen. Der § 217 StGB muss ersatzlos gestrichen werden!