HAMBURG. (hpd) Am dritten Tag ging es gleich am Anfang um das Erfolgsmodell Lebenskunde, um Beistand in Existenzfragen, Spiritualität, Jugendweihe, Kindeswohl, Heimat Mensch, weltlichen Humanismus und zwei Diskutanten auf der Suche nach dem Dissenz.
Angelika Kallwass übernahm die Moderation der beiden kommenden Tage und strukturierte gleich, indem es etwas mehr Pausen geben sollte.
Sie ist gelernte Psychotherapeutin und hat sich dann die Moderation (bei SAT.1) erarbeitet. Jetzt direkt für Stunden auf der Bühne zu moderieren, ist für sie eine Herausforderung.
Der Tag begann mit drei konkreten Arbeitsgebieten des Humanistischen Verbandes, Landesverband Berlin-Brandenburg.
Lebenskunde in Berlin - ein Erfolgsmodell
Ja, der Titel stimmt, meinte Dr. Konstanze Billeb, die selber in Berlin Lebenskunde an Grundschulen unterrichtet. Die Kinder kommen freiwillig und gerne. Manches Mal, wenn sie den Schulhof betritt, ruft ein Kind ihr fröhlich zu: „Hallo Frau Billeb! Nachher Lebenskunde!“ Welcher Mathematiklehrer kann das schon sagen.
Da es in Hamburg eine Initiative gibt, Lebenskunde an die Schulen zu bringen, erläuterte sie etwas zur Geschichte der Lebenskunde. Begonnen hat alles um 1905 in Berlin mit Sonntagsvorlesungen und Bildungsveranstaltungen der Freidenker. Damals entstand auch der Begriff „Lebenskunde“. Bis 1933, als sie durch die Nationalsozialisten verboten wurden, gab es weltliche Schulen, die diesen Unterricht erfolgreich angeboten haben. Er folgte dem Prinzip der Lebenskunde, die sich als Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehungsarbeit versteht.
Nach 1945 fanden sich dann wieder in Berlin Gleichgesinnte zusammen, es galt diverse Hürden zu überwinden, bis dann der Freidenkerverband in Berlin 1984 den Lebenskundeunterricht als Wahlfach startete. Heute sind es mehr 50.000 Schüler, die den Unterricht freiwillig besuchen.
Mit dem Auspacken einer ‚Pyramide’ aus roten Kartons, und ihren Inhalten, entwickelte Konstanze Billeb dann Prinzipien des Lebenskundeunterrichts, wie Individualität, Verbundenheit und Solidarität.
Suizidhilfe als Herausforderung
Gitta Neumann vom Berliner HVD sprach über die Suizidhilfe als Herausforderung. Ende des letzten Jahres wurde durch das Justizministerium ein Gesetz im Bundestag zum Thema eingebracht. Ursprünglich wollte man damit die gewerbliche aktive Sterbehilfe verhindern. Der Gesetzentwurf scheiterte jedoch – auch aufgrund des Einspruchs der Kirchen. Vor allem gab es Ängste vor einer offen geführten Debatte darüber. Denn Beihilfe zum Suizid ist nach bisher gültigem Recht nicht strafbar.
Die Diskussion entzündete sich vor bereits fast 20 Jahren an den Hospizen. Wir sind derzeit in einer Entwicklung, bei der möglicherweise auch die evangelische Kirche von ihrer Ablehnung der passiven Sterbehilfe Abstand nehmen könnte.
In der Gesellschaft ist Suizidhilfe als Dienstleistung bereits längst akzeptiert. Hier hinken Politik und Gesetzgebung den neuen Realitäten hinterher. Der Suizid ist an sich straffrei – es wird deshalb derzeit diskutiert, ob eine Hilfe, für die gezahlt werden muss, auch straffrei bleiben darf oder gar soll. Sogar der Ratsvorsitzender der EKD - Nikolaus Schneider spricht sich vorsichtig für ein selbstbestimmtes Lebensende aus. Gitta Neumann zitierte ihn aus einem Chrismon-Interview.
In der Diskussion ging es um die Möglichkeiten der Sterbehilfe auch im Ausland und um die ethische Bewertung der gewerblichen Sterbehilfe. (Mythos des „Hippokratischen Eides“…)
Religionsfreie Spiritualität
Um Fragen des Lebensendes, des Sterbens, ging es auch im folgenden Vortrag. Dr. Dr. Joachim Kahl, Philosoph aus Marburg, meinte gleich anfangs, Spiritualität ohne Lyrik, das gehe nicht. Konsequent trug er zu Beginn das Gedicht „Kein Gott“ von Heinz Kahlau vor, einem Brecht-Schüler. Das Gedicht erschien 1973, und seit 1983 brütet Joachim Kahl über den Text.
Das Gedicht ist die authentische Selbstdarstellung eines humanistischen Atheismus, eine ‚Innenansicht’. Ein Beispiel eines undogmatischen Atheismus, der sich nicht zu einer Anti-Haltung übersteigert. Eine weltliche Sichtweise die zur Eigenverantwortlichkeit und Selbstbehauptung auffordert, alleine und dennoch geborgen. (Hier der komplette Text des Vortrags.)
Jugendweihe oder Konfirmation?
Die Pastorin Hilke Osterwald (Evangelischen Stiftung Alsterdorf) und Ronny Winkler, (Vizepräsident Jugendweihe Deutschland e. V.) versuchten sich ins Benehmen zu setzen, ob Jugendweihe oder Konfirmation?
Angelika Kalwass versuchte, das Gespräch in Gang zu bringen und fragte nach dem Ost-West-Unterschied. Frau Osterwald wies darauf hin, dass Menschen offensichtlich Feste bräuchten, egal ob mit Sinnstiftung oder nicht. Osterwald und Winkler bestätigten beide, dass Jugendliche sich durchaus auch anders als ihre Eltern entscheiden.
Was passiert bei diesen Jugendlichen?
Winkler: Anzeichen, dass sie eine Gemeinschaft gefunden haben, in der sie sich wohl fühlen. Beide Riten würden aber nur weniger als fünf Prozent machen.
Osterwald: Es ist in den Städten schon die Entscheidung, wer geht da mit und wer nicht.
Wie werben sie um junge Menschen und was müssen die tun?
Winkler: In Hamburg müssen die Jugendlichen zehnmal an einer Vorbereitungsgruppe teilnehmen. Das wäre in Sachsen gar nicht möglich, da ich zusammen mit nur 50 Ehrenamtlichen 1.200 Jugendliche betreue. Wir gehen eineinhalb Jahre vorher in die Schulen und stellen uns vor. Dann bieten wir Kurse an und schließlich die große Jugendweihefeier.
Osterwald: Für Protestanten ist der Konfirmandenunterricht Pflicht.
Woher kommt das „Wir-Gefühl“? / Publikumsbefragung: Wer hat Jugendweihe gemacht, wer ist konfirmiert? Halbe, halbe. / Macht der Protestantismus den Weg zur Jugendweihe leichter? / Manches scheint durchaus ähnlich zu sein? / Sind die Feiern Gruppenzwang? / Wie wichtig sind die Geschenke? So ging es mit dem Publikum durch die eigenen Lebenserfahrungen und Bekenntnisse.
Pädagogik des Kindeswohls
Was hat die Beschreibung einer Bildungskatastrophe mit dem evolutionären Humanismus zu tun? Darüber sprach Philipp Möller in einem stark biografisch geprägten Vortrag, den er mit Ausschnitten aus seinem Buch „Isch geh Schuhlhof“ garnierte. Wer ihn bei einer seinen Lesungen aus dem Buch bereits erlebt hat, kennt, was er auf der Bühne wie ein Schauspieler vortrug.
Doch trotz der Lacher aus dem Publikum gab es immer wieder auch ernsthafte Momente: Philipp Möller stellte die Frage, weshalb man zum Beispiel Kinder separiert, indem man zum Beispiel Religionsunterricht in den Schulen zulässt. Sind es doch genau die Religionen, die die Mittel geben, um andere Gruppen auszugrenzen. Auch hält er die Bildung der Kinder für keine nationale, sondern für eine soziale Frage.
Am Ende seines Vortrages wurde er dann ernster und endet mit dem Satz: „Wir müssen den Kindern beibringen, selbst zu denken.“
In der anschließenden Diskussion stellte die Moderatorin Angelika Kallwass etliche sehr kritische Fragen und auch aus dem Publikum kamen einige zur Rolle der Eltern in der Erziehung. Einigkeit konnte nur darüber erreicht werden, dass die Bildung ein gesamtgesellschaftliche Problem ist – und nicht eines von nur Schulen oder nur Eltern.
Heimat Mensch – Was uns alle verbindet
Der Ethnologe Prof. Dr. Christoph Antweiler las aus kurzen Berichten aus Indonesien, dem größten islamischen Land der Erde. Dabei erzählte er Geschichten über die Unterschiede in den verschiedenen Kulturen. Zum Beispiel ist die Sexualität in allen Kulturen geregelt – zwar immer verschieden und oft auch sehr unterschiedlich; aber es gibt in allen Kulturen Regeln für die Sexualität. Über diese Beobachtungen in Indonesien berichtete er.
Interessantes berichtete er auch von Überschneidungen, die sich durch das Begegnen und Ineinandergreifen von Kulturen ergeben. Menschen werden ihrer Individualität beraubt und (nur) als Angehörige einer Kultur wahrgenommen; auch, wenn sie sich selbst dieser nicht einmal zugehörig fühlen.
„Es gibt nicht nur sieben, sondern siebentausend Kulturen. Und sie leben in einer Welt.“ Das bedeutet, dass wir lernen müssen, Konflikte auszuhalten und damit umzugehen. Das funktioniert nach Antweilers Meinung nur dadurch, dass die Gruppen gleichberechtigt und gewaltfrei miteinander kommunizieren. Denn wir Menschen haben eines gemeinsam: Wir sind Menschen! Wir sollten gemeinsame Regelungen finden – selbst mit verschiedenen Gründen in verschiedenen Kulturen.
Auf eine Nachfrage antwortete der Ethnologe, dass es Religionen nicht in allen Kulturen gibt; aber es gibt eine Art Religiosität in jeder Kultur. Dabei ist festzuhalten, dass Religionen als institutionalisierter Glaube Kulturen wegen ihrer Abgrenzungstendenzen eher auseinandertreiben. Nach seiner Auffassung hat Religiosität dieses Bedürfnis nicht.
Weltlicher Humanismus
Hennig Voscherau, ehemaliger Erster Bürgermeister (= Ministerpräsident) der Freien und Hansestadt Hamburg, hat selber als Jugendlicher an der Jugendweihe teilgenommen.
Hamburg als Doppelgastgeberin für evangelische Christen und Humanisten: Humanistentag als Gegenveranstaltung? Das würde er ablehnen.
Wie Gandhi würde er sagen können: „Würde ich nur die Bergpredigt kennen, könnte ich Christ sein.“ In allem Sein und Geschen erkennen wir ein allmächtiges Prinzip. Ob das nun Religion ist – wer weiß es. Aber dann die biblischen Geschichten – Kann man dann noch Christ sein?
Voscheraus Eltern sind aus der Kirche ausgetreten und sein Humanismus gilt dem diesseits. Mahnung, Bindung, Halt durch Weltanschauung? Ja, solange sie durch Respekt gegenüber den anderen getragen wird.
Henning Voscherau appelliert an mehr Selbstbewusstsein. Das Motto des Humanistentages „Gut ohne Gott …“ wäre seines Erachtens besser formuliert gewesen: „Sei gut, handle gut, ob mit oder ohne Gott, auf den Menschen kommt es an.“
Die Glaubensfreiheit ist ein Verfassungsgut, wir leben sozusagen in dieser Hinsicht in einem glücklichen Zeitalter. Von einer Gleichbehandlung von Christen und Humanisten kann allerdings nicht die Rede sein. Schon für das Grundgesetz konnte man sich nicht auf Prinzipien eines Religionsverfassungsrecht einigen.
Im Festsaal des Hamburger Rathauses gibt es große Fresken. Im Zentrum dieser Fresken ist das Bild der Zwangstaufe eines fränkischen Kindes, eine Traumatisierung: Taufe oder Tod. Deshalb sind wohl so viele Menschen in Hamburg, die Mehrheit, nicht christlich.
Für das Zusammenleben ist es nicht wichtig, was der Mensch glaubt, sondern, wie er sich verhält. Respekt, Gewaltfreiheit und Toleranz sind Grundlage eines gemeinsamen Lebens – Rationalität und Aufklärung. Der religiöse Fundamentalismus ist jedoch weltweit Realität. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass dieser Fundamentalismus sich nicht von langen blutrünstigen Phasen christlich dominierter europäischer Geschichte unterscheidet.
Dieses Wissen um unsere Geschichte muss uns eine Verpflichtung sein, dass sie sich nicht wiederholt. Insofern haben Christen und Humanisten die gleichen Aufgaben für ein friedliches Miteinander mit Haltung und Standpunkt.
Ist Religion in der Gesellschaft wichtig?
Auf dem Podium der Landesbischof Ralf Meister (Hannover) und Dr. Michael Schmidt-Salomon.
Frage: Ist Humanismus eine Religion?
Schmidt-Salomon: Nur in dem Sinne, dass auch eine Glatze eine Frisur ist.
Zum Thema der Diskussion: Ist Religion wichtig?
Meister: Das ist eine Frage der Definition. Aber allgemein: Es gibt keine Gesellschaft ohne Religion und Weltanschauungen. In Deutschland hat die christliche Religion eine wesentliche Rolle gespielt und ist auch gegenwärtig für viele ein Halt.
Schmidt-Salomon: Unterschied zwischen einer beschreibenden Ebene und einer wertenden Ebene. Es ist unstrittig, dass die beiden christliche Großkirchen dominant sind, aber es ist die Frage, ob das so gut ist. Am Beispiel der Sterbehilfe gehen die Meinungen der Kirchen und der Bevölkerung weit auseinander.
Meister relativiert, dass es verschiedenste Positionen gibt und es ist nicht hilfreich sei, zu pauschalisieren. Schmidt-Salomon bittet um Beifall für den Landesbischof, für dessen Dialogbereitschaft. (Beifall) Wenn allerdings alle Religionsvertreter so wie er wären, wäre Religionskritik nicht mehr notwendig.
Meister wiegelt ab und verweist darauf, dass es an den Personen hängt, wie Religion in die Gesellschaft und die Medien wirkt.
Applaus dafür, dass ein Landesbischof auf dem Humanistentag gekommen ist – ein Zeichen dafür, dass Meister eine andere Position als andere vertrete. Es gab Fälle, da Schmidt-Salomon ausgeladen wurde, weil ein Bischof das wollte. Das ist ein deutlicher Unterschied zu den evangelikalen Positionen, die auch in der evangelischen Kirche von Bischöfen vertreten wird.
Meister führt jetzt das Interview. Er fragt, ob denn wirklich nicht Menschen in der Kirche „Gutes tun“.
Schmidt-Salomon: Ja, aber das würden sie aber auch tun, wenn sie nicht in der Kirche wären. Religionsfreiheit ist nicht gegeben für Menschen, die sich bei Caritas und Diakonie bewerben, das ist Diskriminierung.
Meister reagiert als Antwort auf die Frage nach einer Gesellschaft ohne Religion mit den üblichen Argumenten von den bösen Staaten, die atheistisch waren.
Frage von Meister: Gibt es denn Mystik für Atheisten? (Schleiermacher: „Sinn und Geschmack des Unendlichen“.) Schmidt-Salomon über Mystik/Spiritualität und das Wissen um die Endlichkeit ist das, was Menschen mystisch fühlen lässt: „Der Stein der Weisen ist der Grabstein.“
Meister positioniert sich positiv zur Sterbehilfe, indem er auf seine persönliche Erfahrungen mit seiner Mutter verweist, die ihm sagte, als er sich auf ein 'Wort zum Sonntag' zum Thema Sterbehilfe vorbereitete: „Junge, das geht Dich nichts an.“
Christen glauben an viel, an das andere nicht mehr glauben. Das klang eher nach einer Art Zwangsoptimismus. Das Potential „Hoffnung“ …
Zwei Diskutanten auf der Suche nach dem Dissenz … Aber auch darüber können wir nicht streiten …
F.N. / C.F.