Aasiya Noreen – auch bekannt als Asia Bibi – war im mehrheitlich muslimischen Pakistan vor 8 Jahren wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden. Heute wurde bekannt, dass das oberste Gericht in Pakistan das Urteil gegen Bibi aufgehoben hat. Doch nach ihrer Freilassung muss sie nun damit rechnen, einem Lynchmord zum Opfer zu fallen, denn islamistisches Denken ist in Pakistan weit verbreitet. Ein Politiker, der sich für Bibi eingesetzt hatte, wurde 2011 ermordet. Sein Mörder wird in Pakistan heute als Märtyrer verehrt.
Im Juni 2009 arbeitete die Christin Aasiya Noreen auf einem Feld in der pakistanischen Provinz Punjab. Als sie Wasser holen geschickt wurde (Christen werden in Pakistan eher für niedere Arbeiten eingestellt), nahm sie sich mit der vorhandenen Blechkelle einen Schluck aus der Quelle, bevor sie den Krug füllte. Ein Nachbar sah sie dabei und warf ihr vor, sie dürfe nicht dasselbe Trinkgefäß benutzen wie Muslime, da sie als Christin unrein sei. Als man ihre christliche Religion beleidigte, sagte sie: "Ich glaube an meine Religion und an Jesus Christus, der am Kreuz für die Sünden der Menschheit starb. Was hat Mohammed jemals für die Menschen getan?"
Die frommen Nachbarn schwärzten Aasiya daraufhin bei einem örtlichen Geistlichen an. Am selben Abend drang der unvermeidliche wütende Mob in ihr Haus ein und schlug sie und ihre Familie. Als die Polizei eintraf, wähnte sie sich in Sicherheit – die Polizei nahm sie jedoch wegen Blasphemie fest. (…)
Salman Taseer, der Gouverneur der Provinz Punjab, setzte sich für ihre Freilassung ein und wagte es auch, sich für die Anerkennung der Ahmadiyya-Gemeinde als Muslime stark zu machen. Als er in einem Fernsehinterview an der Richtigkeit des pakistanischen Blasphemiegesetzes zweifelte, war das Maß anscheinend voll. Mumtaz Qadri, sein eigener Leibwächter, entleerte am 4. Januar 2011 in der Nähe von Taseers Haus in Islamabad das komplette Magazin seiner Kalaschnikow in Taseers Rücken. Qadri, sich selbst keines Unrechts bewusst, ergab sich auf der Stelle und wurde verhaftet. Salman Taseer bekam ein schlichtes Grab in seiner Heimatstadt Lahore, und 6.000 Menschen nahmen an seiner Beisetzung teil.
Mehrere hundert Geistliche der einflussreichen islamischen Organisation Jamaat Ahle Sunnat begrüßten die Tat und feierten den Mörder als Helden. Qadri wurde im Oktober 2011 des Mordes und Terrors schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Sofort nach Bekanntwerden des Urteils brachen landesweite Proteste aus – der Richter, der das Urteil gefällt hatte, musste wegen Drohungen von Extremisten das Land verlassen.
Am 29. Februar 2016 wurde Mumtaz Qadri in einem Gefängnis in Rawalpindi gehängt. Schätzungsweise 100.000 Personen nahmen an seiner Beisetzung in Bhara Kahu teil – ein viereinhalbminütiges Video zeigt eine endlose Kolonne von Fahrzeugen mit grünen Fahnen und erhobenen Zeigefingern. Mumtaz Qadri hat heute einen eigenen Schrein, der stets mit frischen Blumen geschmückt ist, die die Besucher seines Grabes in einem kleinen Laden kaufen können, der auch Bilder von Qadri in voller Bewaffnung oder als friedliche Leiche zeigt.
Der Schrein wird immer noch ausgebaut. Bereits am ersten Tag nach seiner Beerdigung waren 80 Millionen Rupien an die Mumtaz Qadri Shaheed Foundation (Shaheed = Märtyrer) gespendet worden, was etwa 640.000 Euro sind. Und schon gehen die Gerüchte um, dass Gebete, die an seinem Schrein verrichtet werden, garantiert in Erfüllung gingen, denn als Märtyrer hat Qadri einen Platz im Paradies direkt neben dem Propheten, wo es mittlerweile ziemlich eng sein muss.
Pakistan, das sich anlässlich der Gründung Indiens als eigener Staat für die indischen Muslime abspaltete, ist ein Land der Zerwürfnisse. Es ist genau umgekehrt wie im Iran. Dort unterdrückt ein religiöses Regime das weitgehend säkulare Volk – in Pakistan muss der Staat, der offiziell Mörder vor Gericht stellen muss, jederzeit mit Aufständen durch die religiösen Massen rechnen, wenn der Religion nicht Vorrang gegeben wird. Immer muss abgewogen werden, was gesetzeskonform und was islamkonform ist. Wie sonst kann man sich erklären, dass einer der fähigsten Geheimdienste der Welt, der pakistanische ISI, über Jahre nicht bemerkt haben will, dass Osama bin Laden in Abottabad nur 20 Gehminuten von der größten Militärakademie des Landes entfernt wohnte?
4 Kommentare
Kommentare
Marcel d'Hondte am Permanenter Link
Wenn man sich die jüngste Rechtsprechung des EGMR bzgl.
Roland Fakler am Permanenter Link
Das intolerante Verhalten des pakistanischen Mobs sagt sehr viel aus, über die hirnvergiftenden Wirkungen des orthodoxen Islams.
Frank am Permanenter Link
Verglichen mit dem Rechtssystem in Pakistan wirkt die Spanische Inquisition wie eine rechtsstaatliche Organisation.
CnndrBrbr am Permanenter Link
Dagegen hatte sogar die Gestapo sich gegen zu viele Denunziationen wehren müssen. Die Leute sollten ihre Nachbarschaftsstreitigkeiten gefälligst unter sich ausmachen.