BERLIN. (hpd) Ich habe mich mit Urlaubslektüre eingedeckt. Und was liegt näher, als im Urlaub ein Buch des “bekanntesten deutschen Reiseschriftstellers” (Zitat im Klappentext) zu lesen? Allerdings ist mir Altmann weniger wegen seiner Reiseberichte bekannt geworden, sondern vielmehr wegen seines umwerfenden Buches “Das Scheißleben meines Vaters, …“ sowie aktuell “Dies beschissen schöne Leben“.
Beide Bücher sind eigentlich auch als “Reiseberichte” zu verstehen; allerdings weniger als Berichte über Erlebnisse von örtlichen Veränderungen, sondern die von zeitlichen. Und insofern ist das jetzt gelesene Buch auch nur auf den ersten Blick ein Bericht über Altmanns Indienreise. Sondern vor allem eines über eine Reise zu sich selbst.
Gnadenlos ehrlich
Ich mutiere langsam zu einem Altmann-Fan. Denn ich kenne wenige Menschen – und noch viel weniger Autoren – der derart gnadenlos ehrlich sind. Die in der Lage sind, auch ohne Selbstmitleid über ihre Ängste, Zweifel, Schmerzen zu schreiben.
Altmann ist so einer. Einer von den ganz Seltenen, die selbst beim Beschreiben eher für den Autoren peinlicher Szenen nicht in Seichtigkeiten abgleiten (wie es dem von Altmann viel gescholtenen Paulo Coelho meisterhaft in seinen Büchern gelingt). Wenn Altmann über “Kopfkino-Sex” schreibt, dann weiß (zumindest der männliche) Leser sehr genau, was er meint: jeder von uns – auch wenn wir nur äußerst selten davon reden – kennt diese Filme, die ohne unser Zutun abzulaufen beginnen, wenn wir unsere Gedanken nicht unter Kontrolle und im Zaume halten. Doch wo andere nur über “unzüchtige Gedanken im Kopf” schreiben, schreibt Altmann über Sex.
Nun soll das aber nicht heißen, dass es im Buddha-Buch darum geht. Mitnichten! Der genaue Beobachter reist nach Indien, beschreibt seinen Besuch an Stätten, an denen Siddhartha Gautama gelebt, gewirkt, gestorben sein soll. Und – natürlich – über den kommerziellen Rummel, der um solcherlei Stätten gemacht wird.
“Indien” schreibt Altmann, “ist ein gigantischer Spiegel. Jeder darf hineinblicken und sich anschauen. Wer das Land im selben Zustand verlässt, wie er es betreten hat, kam schon als Leiche.” Und mit allen Sinnen, mit allen Poren nimmt der Reisende dieses Land auf und schreibt darüber. – Ich wünschte, ich hätte einen Hauch der Altmann’schen Fähigkeit, die Dinge zu beobachten und niederzuschreiben… Er sieht das Kleine, er beschreibt das Kleine. Und dabei ist genau das das Leben. Das unüberschaubare, pralle, volle, schreiende, weinende, jauchzende Leben.
„Weil ich darauf bestehe, dass das Leben ein Geschenk ist, das man ausbeuten muss, ausleben und randvoll mache. Gerade weil ich streng ungläubig bin, mich nie mit der Aussicht auf Paradiese und jenseitige Schlaraffenländer tröste, gerade deshalb bleibt Leuten wie mir nichts anderes als der Planet Erde und die paar Jahre, die uns vergönnt sind. Deshalb die Hetze, die Suche, das neurotische Drängen.”
Religionskritisch trotz Buddhismus
Der Titel des Buches läßt bereits daran denken, dass Altmann Religionskritiker ist. (Und wer seine autobiografischen Bücher kennt, weiß, weshalb das so ist.) Er zeigt, dass man auch ganz unreligiös sein kann, um mit Meditation zu sich selbst zu finden. Denn Religion ist für Altmann vor allem Denkfaulheit: „Glauben ist tatsächlich wie Opium, er bewahrt vor jeder Kopfarbeit, macht dösig und trüb. ‘Selig die Einfältigen, denn ihrer ist das Himmelreich.’ Verlockender kann man zur geistigen Trägheit nicht einladen.”
Anders die Meditation; Vipassana in diesem Falle, die – so Altmann – hilft, sich selbst zu entdecken und zu lernen, zu sich selbst zu stehen. Nicht: abzugleiten in irgendein verschwobenes Jenseits, Nirwana oder was sonst noch an Absurditäten sich Menschen ausdachten, um der Verantwortung für ihr (diesseitiges) Leben zu entfliehen. Das, was landauf und landab als „spirituell” verkauft wird, „ist ein heftig geschurigelter Begriff, arg verhurt. Ich will mich anstrengen, um als Schreiber nicht selbst in die Untiefen esoterisch verblasenen Schunds abzustürzen.” Was ihm erstaunlich gut gelingt.
Denn – wie auch Schmidt-Salomons entsprechender Artikel und Aussagen zeigten – es ist ein schwieriger Drahtseilakt, sich dazu zu bekennen, den Anspruch, ein wissenschaftliches Weltbild zu vertreten mit den (uralten Lebens-)Weisheiten des Ostens in Verbindung zu bringen - ohne sich dem Vorwurf aussetzen lassen zu müssen, in die Eso-Ecke abzudriften.
Dass Altmann dieser Gefahr nicht unterliegt, soll dieses Zitat belegen: „Immer werden wir aufgefordert, ‚großen Respekt vor den Religionen’ zu zeigen. Ergriffenes Schaudern soll über uns kommen, wenn von den ‘göttlichen Weissagungen’ die Rede ist. Welch Mumpitz! Respekt vor was? Vor dem klerikalen Lichtertalg, dem prophetischen Geraune, dem inbrünstigen Glaubensschmalz? Alles fabriziert, um uns Angst und Schrecken einzujagen. Davor Respekt? Vor der Intoleranz, zu der sie uns aufwiegeln? Vor der Denkfaulheit, in der wir uns üben sollen? Vor dem schafsfrommen, schafsblöden Geleier, das uns andere Schafe seit ein paar Tausend Jahren vorleiern.”
In seinem Buch ist Altmann nur ein Fehler unterlaufen: er schreibt positiv über Mutter Teresa, der er unterstellt, dass deren Leben – obwohl sie an keinen persönlichen Gott mehr glaubte – ein “fulminanter Beweis dafür” sei, “dass Menschenliebe vollkommen reicht, um sich vom Leid anderer aufwühlen zu lassen.” Meiner (und nicht nur meiner) Meinung nach war diese Frau alles Mögliche; aber sicherlich nicht menschenlieb. Es sei denn, man nennt das Verweigern von Medikamentengaben, das mehrfache Benutzen von (dazwischen nicht desinfizierten) Spritzen und das Verreckenlassen Armer und Kranker Menschenliebe.
Sprachliche Meisterleistung
Was aber – neben Altmanns Ehrlichkeit, Religionskritik und, und, und… mich zu seinem Bewunderer werden läßt, ist sein Umgang mit der Sprache.
Im “Beschissen schönen Leben” schreibt Altmann über seine Liebe zur Sprache. über das Glückgefühl, das präzises Formulieren auslösen kann. Auch hier wieder solche Zeilen: “Plötzlich fällt mir noch ein Grund ein, warum Sprache notieren das schiere Glück auslöst. Nicht bei jedem Satz, aber oft: Schreiben macht bedürfnislos. 26 lautlose Buchstaben reichen. Mehr hat man nicht, mehr braucht man nicht.” Dazu passend: “Kein Beruf ist so geräuschlos, so unkriegerisch und so gefährlich. Schon Mohammed wütete: ‚Unter allen Sterblichen hat der Schriftsteller die größte Chance, in die Hölle zu kommen.’ Eine solche Makulatur kann nur ein Analphabet verbreiten.”
Andreas Altmann bindet sich an nichts – das weiß ich. Aber ohne Notizbuch und ohne Bücher oder Zeitungen würde der Mann verkümmern wie eine Seerose in der Sahara. Wenn er schreibt, dass er ohne Sprache nicht leben könnte – ich glaube ihm das. Denn ich glaube ihm, weil er auch in anderen Dingen ehrlich ist. Und vor allem, weil ich es in seinen Worten spüre.
Und die Meditation?
Altmann schreibt über zehn Tage Meditation. Und darüber, wie er sich im Schweigen dieser Tage selbst wieder begegnet – und genau diese Begegnung auch sucht. Sich eben nicht verstecken will; nicht fortlaufen vor den Erinnerungen, die ihn peinigen. Aber auch glücklich machen. „Ist ein Leben ohne Herausforderungen nicht eine furchtbare Veranstaltung? Ist es so miserabel, unser Dasein, dass alles erstrebenswerter scheint, als auf der Welt zu sein?” Er sucht nicht nach einem Guru, der ihm die Verantwortung für das eigene Leben abnimmt. Er sucht nach der uns alle innenwohnenden Kraft, die es zu entdecken gibt. Und dessen oft auch zerstörerischen Wut man sich stellen muss.
Dass das ziemlich schwer sein kann, verschweigt Altmann nicht: „Vipassana ist nicht zimperlich, es ist ein Kampfsport für Erwachsene.” Wer es schafft, in seine eigenen Abgründe zu schauen, schafft es (möglicherweise) auch, die der Anderen mit mehr Verständnis zu begegnen.
Dieses Credo sollte klar stellen, weshalb ich Andreas Altmanns Bücher mag.
Credo
Einfach nur das Leben leben. Mit allen Konsequenzen: „Ich fühle Schmerz, also bin ich. Ich verliere, also bin ich, ich platze vor Freude, also bin ich, ich empfinde Todesangst, also bin ich.”
Oder dieser grandios arrogant klingende Satz: „Alles, was ich will, ist alles. So einfach ist das”, der, wenn man darüber nachdenkt, auch das Eingeständnis der Schwäche, des Versagens und der Ängste davor ist.
“Alles, was ich will, ist alles.” Einfach ist das nicht.
Frank Nicolai
PS: Ach so: Altmann versprach ja, Buddha zu töten. Drum ist noch nachzutragen: „Jetzt hatte ich dank Buddha genug vom Buddhismus. Buddhist sein klingt in meinen Ohren heute so absurd wie Moslem sein oder Christ. Als ob eine, nur eine Lehre ausreichen würde, um mit der aberwitzigen Vielfalt des Lebens, der Welt, der Weltgeheimnisse fertig zu werden. Ich will wieder zu jenen zurückkehren, die ich schon immer für ausgesprochen attraktiv hielt: zu den Fassungslosen, den haltlos Überwältigten.“
Denn „Buddha soll dir Hebamme sein, Guru und Mentor. Um das in dir schlummernde Potential zu wecken, es zur Welt zu bringen. Aber wenn es geweckt ist, dann musst du dich verabschieden, ihn von dir weisen, ihn ‘töten’.”
Oder, wie es ein Zen-Mönch ausdrückte: „Schau, da drüben steht das Scheißhaus. Ich kann dir nur die Richtung zeigen, doch scheißen musst du selbst.”
Andreas Altmann, Triffst du Buddha, töte ihn! – DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG 2010, ISBN 978-3832195014, 18,95 Euro (eBook: 7,99 Euro).
Zuerst veröffentlicht auf Nicsbloghaus.