Innermuslimische Missionierung und Diskriminierung
Weiterhin hat das OVG bereits seinerzeit auf einen wesentlichen Gesichtspunkt hingewiesen, der bislang in der öffentlichen Debatte kaum beachtet worden ist, andererseits aber angesichts des Vormarsches einen orthodoxen Islam im Schulwesen große Bedeutung gewinnen wird.
Nochmals das OVG 2002: "Die Tatsache, dass in einigen Städten viele muslimische Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Leben zu sehen sind, gibt für die Lösung der grundrechtlichen Kollisionslage in der Schule nichts her. Wenn Kinder den Anblick des Kopftuches gewöhnt sind, wissen sie umso eher um dessen religiöse Bedeutung. Anders als im privaten Bereich, sind sie in der Schule überdies mit dem Lehrer als Vorbild einer ganz anderen Situation ausgesetzt. Es führt auch nicht weiter, wenn behauptet wird, die Klägerin könne in bestimmten Situationen muslimischen Mädchen helfen. Das mag so sein. Umgekehrt besteht aber ... auch die Gefahr, dass Kinder aus einem muslimischen Elternhaus mit einem anderen Verständnis von religiösen Gewohnheiten in der Schule in eine Konfliktsituation geraten..."
Denn mit dem permanenten Tragen eines Kopftuches – zumal von einer Religionslehrerin - wird muslimischen Kindern suggeriert, dass eine solche Handhabung den "wahren" Islam verkörpere, und damit wird das elterliche Verständnis von einem Islam, der das Kopftuchtragen für unbeachtlich oder veraltet hält, tendenziell als "unislamisch" diffamiert. Kinder und Eltern haben aber aufgrund des Neutralitätsgebots Anspruch darauf, mit derartigem in der Schule nicht konfrontiert zu werden. Auch muslimische Kinder haben ein Anrecht, von den Anhängern eines orthodoxen Islams in der Schule nicht missioniert zu werden.
Und zum Neutralitätsgebot hat das OVG Ausführungen gemacht, die dem Verständnis der Frau Annett Abdelrahman vom Schura-Verband völlig entgegengesetzt sind: "Das Neutralitätsgebot bezweckt in der Schule auch, den Eindruck zu vermeiden, eine Religion sei präsenter als andere und werde womöglich 'offiziell' bevorzugt. Auf die 'Gesamtpersönlichkeit' der Lehrerin ist zur Bestimmung der Wirkung ihrer Bekleidung nicht abzustellen. Denn einen das Neutralitätsgebot missachtenden Einfluss erzielt das Kopftuch auch, wenn dessen Trägerin versucht, die religiöse Wirkung abzuschwächen, und durch ihr Verhalten die Gewähr dafür bietet, nicht zu missionieren und zu indoktrinieren. Eine Lehrerin kann durch ihre Persönlichkeit nicht verhindern, dass in den Augen der Kinder dauerhaft und unausweichlich ein religiöses Zeichen in die Schule getragen wird..."
Religiöse Neutralität in der Schule – Keine Betonung des Anderseins und der Ausgrenzung
Dass es übrigens nicht um "Islamfeindliches" bei Ablehnung des Kopftuchs von Lehrerinnen geht, wie die Verbandsseite behaupten wird, zeigt sich schon daran, dass die Thematik religiöser Bekleidung von Lehrern - schon vor der Kopftuchdebatte – von Bedeutung gewesen ist. Seinerzeit ging es um das uniformierte Auftreten von Lehrern und Lehrerinnen, die sich zur Bhagwan-Ideologie bekannten. Damals wies beispielsweise das Hanseatische Oberlandesgericht (Hamburg) darauf hin, dass durch das Tragen der auffälligen Kleidung die (minderjährigen) Schüler veranlasst würden, sich näher mit diesem Lehrer zu befassen. Dadurch werde zum einen der Schulfriede gestört zum anderen bestehe die Gefahr der werbenden Information über diese Sekte.
Aber dies wird die orthodoxen Verbände kaum beeinflussen, bleibt also nur der Weg, ihnen keine Zugeständnisse zu machen.
Die Gespräche in Niedersachsen über einen Staatsvertrag mit muslimischen Verbänden sollten genau beobachtet werden; hier wird sich zeigen, was als wesentlich bewertet wird: ob (noch) das Wohl der Kinder in einer religiös und weltanschaulich neutralen Schule an erster Stelle steht oder die Begehrlichkeiten eines orthodoxen Islam vorrangig sind.
Es gibt eine Verpflichtung des Staates zur religiösen Neutralität in der Schule, eine Verpflichtung dazu, orthodoxen Islam zu fördern, gibt es jedoch nicht. Eine solche Förderung widerspräche dem Neutralitätsgebot in jeder Hinsicht. Die verantwortlichen politischen Kräfte in Niedersachsen tun gut daran, dies bei den Verhandlungen über den Staatsvertrag mit Muslimen zu beachten.
Walter Otte
Siehe zum Thema Kopftuch auch diesen hpd-Artikel. Der Autor, Prof. Etienne Vermeersch, Belgien, legt detailliert dar, dass das Kopftuch-tragen von Frauen im Islam keine religiöse Pflicht ist, sondern Ausdruck einer Gesinnung, die er als fundamentalistisch bezeichnet. Außerdem siehe hierzu auch die Rezension: "Erwachsen wird man nur im Dieseits."