BERLIN. (hu/hpd) Mitglieder der Kampagne “Verfassungsschutz abschaffen!” forderten am Donnerstag vor dem Bundestag weiter reichende politische Konsequenzen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss ein, als sie im Plenum des Bundestages kurz darauf verhandelt wurden: Bekämpfung des Rassismus auch in der Mitte der Gesellschaft, Kontrolle der Polizei und Auflösung der Verfassungsschutzämter. Das Plenum debattierte über einen interfraktionellen Antrag zu den Schlussfolgerungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss und stimmte über diesen ab.
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Früher Morgen vor dem Bundestag: ein geschäftiges Grüppchen von Aktivisten hat sich vor der Reichstagskuppel zusammengefunden, stellt Plakate auf, rückt die Politikermasken zurecht und macht den Mikrotest mit ein paar Slogans. Da kommt auch schon das Filmteam des ARD-Hauptstadtstudios über den Platz, mit ein paar weiteren Journalisten im Schlepptau. Es kann losgehen.
Sie stehen hier am frühen Morgen, weil als erster, großer Punkt auf der Tagesordnung des Parlaments heute die Schlussfolgerungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss stehen. Die NSU-Morde haben die Bundesrepublik erschüttert. Jetzt ist alles so weit aufgearbeitet, dass politische Konsequenzen aus dem jahrzehntelang unentdeckten Morden des rechtsradikalen Trios und ihrer UnterstützerInnen gezogen werden könnten. Aber nichts dergleichen!
Die schwarz-rote Regierung will die Kompetenzen des Verfassungsschutzes trotz seines eklatanten Versagens ausweiten. Dabei müsste der Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen endlich abgeschafft werden. In der Polizei soll mehr “Vielfalt” und eine “Fehlerkultur” gefördert werden. Das ist zu wenig. Der institutionelle Rassismus muss unter die Lupe genommen werden, den sogar der UN-Menschenrechtsrat an Deutschland bemängelt. Es soll etwas mehr Bundesmittel für mobile Beratungsteams für Opfer rechter Gewalt geben. Mehr Geld ist gut. Aber viel mehr als das ist nötig: Die Diskriminierung z. B. durch Verfassungsschutzbehörden von antirassistischen Initiativen muss ein Ende haben. Und wenn rund die Hälfte aller Deutschen bei Umfragen zustimmt, dass es “in Deutschland zu viele Ausländer gebe”, dann muss auch der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft in den Fokus genommen werden.
Der Vorsitzende der Humanistischen Union, Werner Koep-Kerstin, bekräftigt dies in seiner Rede: “Die heute verabschiedeten Empfehlungen enthalten keinerlei Vorschlag dafür, wie das Problem der strukturellen Blindheit gegenüber rassistischen Taten und Motiven gelöst werden soll. Das Opfer zu Tätern gemacht wurden, hat gerade viele ausländische Beobachter verunsichert, wie die Anhörung zu Deutschland im UN-Menschenrechtsrat gezeigt hat.”
Und es gibt weitere Lücken: Inzwischen ist bekannt, wie viele V-Leute des Verfassungsschutzes und der Polizei sich im Umfeld des NSU-Trios tummelten. Dennoch soll weiterhin am V-Mann-Unwesen festgehalten werden. Solche V-Leute im Neonazi-Milieu sind “staatlich alimentierte Nazi-Aktivisten” (Rolf Goessner), die bestehende Neonazi-Strukturen finanzieren und stützen oder gar neue Neonazi-Gruppierungen gründen, wie es der Verfassungsschutz in Thüringen mit dem “Thüringer Heimatschutz” betrieben hat. Wenn der Verfassungsschutz von den Neonazi-Morden wirklich nichts gehört und gesehen hat, dann ist er überflüssig. Und wenn er nichts hören und sehen wollte, dann ist er eine Gefahr für die Verfassung. Und wenn er gefährlich ist, wie seine lange Skandalgeschichte zeigt, dann muss man nicht nur seine V-Leute abschalten, sondern den ganzen Verfassungsschutz.
Koep-Kerstin las aus dem Antrag zu den Schlussfolgerungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss vor. Dort heißt es, dass “die Gefahr des Rechtsterrorismus völlig falsch eingeschätzt” wurde. Der Antrag stellt dem Verfassungsschutz ein Armutszeugnis aus: schwere Defizite bei der Informationsübermittlung, völlig unzureichende Informationsgewinnung und -bewertung. Deshalb skandierten die Kampagnenmitglieder: “Verfassungsschutz, weiß jedes Kind, ist auf dem rechten Auge blind!”
Zum Abschluss berichtet ein Aktivist von der Initiative vsgeschichten. Die Mitglieder mussten überrascht feststellen, dass einige von ihnen selbst ins Visier des Verfassungsschutz geraten waren, obwohl sie noch nie darüber nachgedacht hatten, politische Gewalttaten zu begehen oder die Demokratie anzugreifen. Warum Menschen in den Akten des Verfassungsschutzes landen, weil sie ihr Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit nutzen und damit unsere Demokratie stärken, wohingegen tatsächlich gefährliche AttentäterInnen über zehn Jahre lang im Untergrund morden konnten, ohne vom Verfassungsschutz enttarnt zu werden, bleibt ein Rätsel und ein Grund, die Kampagne “Verfassungsschutz abschaffen!” weiter zu führen.