Bullshit Coaching

Wie die Pilze sind sie im letzten Jahr aus dem Boden geschossen: sogenannte "Coaches", genauer gesagt: "Happy Coaches", "Soul Coaches" oder auch "Spiritual Life Coaches", die in Online-Angeboten sonder Zahl ihre zweifelhaften Dienste andienen.

Was man sich wohl unter einem "Happy Coach" vorzustellen hat? Bislang kennt man den Begriff "Coach" ja allenfalls aus der Fußballersprache, in der der jeweilige Trainer so heißt. Vielleicht auch aus der Sprache DAX-notierter Großunternehmen, die gerne auf BWL-Coaches als externe Berater zurückgreifen, um vorgegebene Ziele in der Organisations- und Personalentwicklung zu erreichen.

Was genau sind "Happy Coaches"?

Eine als "Happy Coach" firmierende Endzwanzigerin namens Natascha beispielweise bietet – online und in Großbuchstaben – PERSÖNLICHE BERATUNG & BEGLEITUNG AUF DEM WEG ZU DIR & DEINEM GLÜCK an. O-Ton: "Es ist mir ein Anliegen, dich jeden Tag und jede Woche, wo du ein Thema in dein Bewusstsein lässt, dich ein bisschen glücklicher zu machen. Ich möchte dich inspirieren noch mehr Happiness in deinen Alltag zu integrieren." Per Telefon, Mail, WhatsApp oder Skype. Ab 60 Euro die Stunde. Teurer wird's, wenn man eines von Nataschas "Seminaren" bucht, bei denen wahlweise "alle Auraschichten gereinigt" oder "alle 7 Hauptchakren von Blockaden befreit" werden. Kosten pro "Seminar": 1.375 Euro.

Ein anderes "Happy Coaching"-Angebot findet sich bei Lara, auch sie um die Ende zwanzig, die, eigener Aussage zufolge, Menschen dabei begleitet, "glücklicher und zufriedener zu sein und ihr wahrhaftiges Ich zu erkennen. Das Positive im Leben zu betrachten und sich den eigenen Stärken bewusst zu sein. Mit Herausforderungen, Rückschlägen und Unsicherheiten besser umgehen zu können. Sich selbst zu kennen und spüren zu lernen. Das eigene Verhalten und sich selbst besser verstehen zu können. Zu lernen, damit umzugehen. Vertrauen in sich und das Universum aufzubauen." Was das "1:1-Coaching" bei Lara kostet, steht nicht dabei.

Und wieder eine andere, ihr Name ist Larissa (28), fragt, groß und gesperrt gesetzt: B I S T  D U  H A P P Y ? und bietet, weil die Antwort nur N E I N ! lauten kann, eine "ganzheitliche Betrachtung deiner aktuellen Situation. Körper, Geist und Seele werden mit mentalem Training, Energiearbeit und Meditation angesprochen. Ich zeige Dir Wege, um deine Gedankenspirale verlassen zu können. Somit kannst du Klarheit schaffen und Lösungsstrategien entwickeln. Bist du bereit dafür? Ich zeige Dir wie! Mit mir als ganzheitlicher Coach an deiner Seite wirst du ideal begleitet, in deiner jetzigen Situation. Du bekommst alle Tools an die Hand, die Dich jetzt weiterbringen." Auch hier erfährt man nicht, was das "Coaching" kostet.

Hunderte, ach was: tausende solcher Angebote finden sich im Netz, allesamt im nervtötenden Duktus endlosschleifigen Be-happy-Geschwafels, verbunden mit der dringlichen Aufforderung, umgehend ein kostenpflichtiges Be-happy-Coaching bei einer dieser Großleuchten immerwährender Happiness zu buchen. O-Ton "Happy Coach" Helen: "Durch die gezielten mental Techniken werden auch alle anderen essentiellen Bereiche des Lebens positiv in Einklang gebracht. Ganz individuell auf deine Bedürfnisse abgestimmt, verhelfe ich dir einen gesunden, widerstandsfähigen Geist und einen ebenso belastbaren Körper zu erlangen, einen positiven Lebensstil und Wandel zu erreichen sowie inspiriert und sensibilisiert für einen achtsamen und verbesserten Umgang mit sich selbst und Anderen zu erreichen."

Ganz offenbar schreiben all die "Happy Coaches", die da seit gut eineinhalb Jahren auf Kundenakquise unterwegs sind, ihre Werbeblöcke gnadenlos voneinander ab; einschließlich der miserablen Grammatik. Grundlage all des "Be-happy"-Gesülzes scheint ein 2015 erstmals erschienenes 56-Seiten-Büchlein "Climbing the Happy Hill" zu sein, in dem ein gewisser Stephen Hill, seines Zeichens "Happy Coach der ersten Generation" eine Mixtur selbsterfundener "tools, tips and insightful resources" vorstellt für all jene, die "entdecken wollen, wo ihr wahres Glück liegt". 2020 legte er das Büchlein, erweitert auf immerhin 160 Seiten und ergänzt um einen "ultimativen 10-Tage-Plan für ein besseres Leben", erneut auf.

Wo kommen all die "Happy Coaches" plötzlich her?

All die Happy-, Soul- oder Spiritual-Life-Coaches, die da seit Anfang 2020 das Netz überfluten, machen sich den Umstand zunutze, dass im Zuge von Corona-Krise und monatelangen Lockdowns viele Menschen an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit gestoßen sind und dringend professioneller Hilfe bedürfen. Die Suche nach einem passenden Therapeuten gestaltet sich indes schwierig: Wartezeiten von einem Vierteljahr und mehr allein für ein Vorgespräch sind nicht selten, und ein Therapieplatz ist damit noch längst nicht ergattert. In ebendiese Bedarfslücke stößt besagte Heerschar selbsternannter "Coaches", die als einzige Qualifikation die Überzeugung mitbringen, dass sie das können; oder die Chuzpe, es zu tun, obgleich sie nicht die geringste Ahnung haben von seriöser Beratungs- und/oder Therapiearbeit.

Ob die einzelnen Happy-, Soul- oder sonstigen Coaches sich nun tatsächlich für befähigt halten, anderen hilfreich zur Seite zu stehen, oder ob sie genau wissen, dass sie mit ihrem notorischen Be-happy-Geschmarre nichts von all dem bewirken, was sie ihrer zahlenden Kundschaft vorgaukeln, kann dahinstehen. Jedenfalls haben sie schnell begriffen, dass sich in Krisenzeiten wie der rund um Corona mit dem Herumpfriemeln im Seelenleben anderer gut Geld machen lässt.

Rechtlich sind sie auf der sicheren Seite: sie benötigen keinerlei Ausbildung, unterliegen keinerlei Überprüfung ihrer Fähigkeiten und sind prinzipiell für nichts haftbar zu machen: ähnlich wie Astrologen, Jenseitsmedien oder Tarotkartenleger können sie als "Happy Coaches" den hanebüchensten Quatsch verzapfen, und sich auch noch dafür bezahlen lassen.

Vielfach gibt es da auch erhebliche Schnittmengen: gänzlich ungeniert warten sie mit jeder nur denkbaren Variante esoterischen Sondermülls auf, die sie ihrer Kundschaft als "spirituelle Reise zum innersten Ich" andrehen, wahlweise auch zur "tiefsten Wahrheit" oder zu "wahrster Potentialentfaltung": von Aurareading, Biorhythmenanalyse und Past-Life-Channeling hin zu Rebirthing, Reiki und Familienstellen nach Bert Hellinger. Gerne bedient man sich auch bei "schamanistischen Traditionen", beziehungsweise dem, was man dafür hält, bei tibetischem Buddhismus oder dem Vermächtnis irgendwelcher Nachthemdgurus der 1980er; gelegentlich auch bei Rudolf Steiner. Kein noch so abgründiger Schwachsinn wird ausgelassen, wenn er nur irgendwie "spirituell" daherkommt.

"Happy Coach" Natascha etwa, die, wie eingangs erwähnt, "dich inspirieren möchte noch mehr Happiness in deinen Alltag zu integrieren", tut dies bevorzugt mithilfe sogenannter Orakelkarten, wie sie zum Standardsortiment von Wahrsagerinnen und sonstigen Geschäftemachern mit der Leichtgläubigkeit anderer zählen und in jedem Esoterikramschladen erhältlich sind.

Selber schuld?

Nun ist es jedermann und -frau natürlich unbenommen, sich von irgendwelchen "Happy Coaches" mit Ratschlägen und Lebensweisheiten zuschwallen zu lassen. Das Absondern selbst der blödesten Kalendersprüche und Banalplattitüden ist schließlich nicht verboten, ebensowenig, Geld dafür zu verlangen. Selber schuld, denken vermutlich viele und nicht zu Unrecht, wer dafür auch nur einen müden Cent abzudrücken bereit ist. Und in der Regel richten die positivdenkerischen Hohlphrasen ja auch keinen größeren Schaden an: sie sind, ähnlich wie höherpotenzierte homöopathische Zuckerkügelchen, schlichtweg wirkungslos. Bedenklich wird es erst dann, wenn das erteilte "Coaching" der rat- und hilfesuchenden Person bei der Bewältigung ihrer anstehenden Fragen oder Probleme nicht nur nicht weiterhilft, sondern selbst zum Problem wird. Stichwort: Toxic Positivity.

GOOD VIBES ONLY?

Wenn einem von Happy-, Soul- oder sonstigen Coaches pausenlos eingeredet wird, man müsse nur positiv denken, ein Dankbarkeitstagebuch führen und/oder an seinem Mindset arbeiten, um ausgeglichen, zufrieden und glücklich zu sein, bedeutet dies im Umkehrschlusss eben auch: Man ist selber schuld, wenn man schlecht drauf ist, selber schuld, wenn es einem gerade nicht gut geht, selber schuld, wenn einem alles über den Kopf wächst. Und: man ist alleine dafür verantwortlich. Es kann dies der Beginn eines Teufelskreises sein, oder eher: einer Teufelsspirale nach unten: Nicht nur, dass es einem schlecht geht, vielmehr hat man nun auch noch ein schlechtes Gewissen, weil man ja selbst daran schuld ist. Schnell den "Happy Coach" angerufen …

Tatsächlich bewirkt der Zwang zum Positivdenken oftmals genau das Gegenteil dessen, was er verspricht. Bei einer Vielzahl psychischer Probleme – vorneweg bei akuten wie chronischen Belastungsstörungen, deretwegen die meisten Ratsuchenden sich an einen "Coach" wenden, aber auch bei Ängsten, Kontrollzwängen und Depressionen – ist positivdenkerisches "Happy Coaching" der beste Weg in eine Verschlimmerung. Im schlimmsten Fall macht es zusätzlich krank.

"Zur Wahrheit guiden …"

Eine der vernehmentlich größeren Nummern im Happy-Coaching-Geschäft ist eine gewisse Loa, geschätzt Anfang dreißig, die sich allen Ernstes als "Spiritual Entrepreneur, Energy Healer und TRUE POWER Coach" vorstellt. Das von ihr höchstpersönlich entwickelte und online angediente "Soul Coaching" (444 Euro) biete "pure Authentizität, Spirituellen Tiefgang und Potentialentfaltung next level". O-Ton Loa: "Auf meiner Reise als Soul Coach durfte ich mittlerweile über 1000 Menschen zu ihrer Wahrheit guiden." Macht gut eine halbe Million Umsatz, wenn's denn wahr sein sollte. Ihre Qualifikation? Nun ja, immerhin habe sie eine "New Spirit Ausbildung zum Energy Consultant" absolviert – was immer das sein soll – und zudem vor zwei Jahren am "Bali Spirit Festival" teilgenommen, einer "global celebration of yoga, dance & music", bei der sie jede Menge spiritueller Meditationsmeister getroffen habe.

Um es noch einmal und in aller Deutlichkeit zu sagen: all die Happy-, Soul- oder Spiritual-Life-Coaches, die da im Netz ihre ebenso dubiosen wie kostspieligen Dienste anbieten, sind in der Regel durch nichts und nochmal nichts qualifiziert zu seriöser Beratungs- oder Therapiearbeit. Wer ihnen trotzdem Geld in den Rachen werfen will, kann das natürlich tun. Es ist wie gesagt nicht verboten, sich von irgendwelchen Energy Consultants oder sonstigen Bullshit-Coaches zuquatschen und dabei gnadenlos verblöden und ebenso gnadenlos ausnehmen zu lassen.

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