Kriminalisierung von außerehelichem Sex, Kritik am Präsidenten und Apostasie

Indonesien beschließt kontroverse Ausweitung des Strafgesetzes

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Demonstration gegen die geplante Strafrechtsreform 2019, Jakarta, Indonesien
Demonstration in Jakarta, Indonesien (2019)

Das indonesische Parlament hat den Weg freigemacht für die erste grundlegende Strafrechtsreform seit 1918, als der Inselstaat noch unter niederländischer Kolonialherrschaft stand. Das neue Strafgesetz, das unter anderem außerehelichen Sex und Kritik am Präsidenten kriminalisiert und den Straftatbestand der "Apostasie" einführt, ist ein massiver Eingriff in Privatsphäre und Freiheitsrechte aller Indonesier*innen.

"Indonesiens neues Strafgesetz enthält repressive und vage Vorschriften, die Eingriffen in die Privatsphäre und einer selektiven Durchsetzung Tür und Tor öffnen, die es der Polizei ermöglichen, Bestechungsgelder zu erpressen, den Gesetzgeber*innen, politische Gegner zu schikanieren und den Amtsträger*innen, ganz normale Blogger*innen wegzusperren", schreibt Andreas Harsono von Human Rights Watch. Die Auswirkungen seien kaum abzuschätzen, so Harsono, es könnten "Millionen von Menschen durch dieses schwer defizitäre Gesetz strafrechtlich verfolgt werden".

Sex und Zusammenleben außerhalb der Ehe nun strafbewehrt

Bereits das zuvor gültige Strafgesetz enthielt einen Paragraphen, der außerehelichen Sex kriminalisierte – zumindest theoretisch. Praktisch wurde die Vorschrift selten durchgesetzt und richtete sich nur gegen bereits Verheiratete. Nun steht für jede*n darauf bis zu ein Jahr Gefängnis, auf außereheliches Zusammenleben bis zu sechs Monate. Da die Anzeige nur von Familienmitgliedern erstattet werden darf, ist eine Strafverfolgung von Tourist*innen unwahrscheinlich, Indonesier*innen allerdings genießen keinen solchen Schutz.

Weil Homosexuelle weder heiraten dürfen noch ihre im Ausland geschlossene Ehe anerkennen lassen können, ist homosexuell zu sein in Indonesien nun rechtlich schwierig: "Der Paragraph, der konsensuellen Sex zwischen Erwachsenen außerhalb der Ehe zu einer Straftat macht, ist ein massiver Angriff auf das Recht auf Privatsphäre und erlaubt das gewaltsame Eindringen in intimste Angelegenheiten von Familien und Individuen", so Human Rights Watch weiter.

Auch religiöse Minderheiten könnten mithilfe dieser Paragraphen verfolgt werden. Auf manchen der Hunderten von Inseln, aus denen der Pazifikstaat besteht, ist der Erwerb einer offiziellen Heiratsurkunde mitunter eine Sisyphosaufgabe. Eine Schätzung von 2013 geht davon aus, dass bis zu 50 Prozent aller indonesischen Paare keine offizielle Urkunde besitzen und sich mittels traditioneller oder religiöser Zeremonien getraut haben.

Drastische Verschärfung der Blasphemieparagraphen

Statt einem kennt das indonesische Strafrecht nun ganze sechs Blasphemieparagraphen. Weiterhin ist nun nicht nur das Diffamieren der sechs organisierten Religionen, die bereits zuvor geschützt waren, verboten, sondern das Diffamieren aller "Glaubenssysteme" ("kepercayaan", englisch: "belief"). Bereits der Versuch, einen Menschen von seinem Glauben – woran auch immer, die Terminologie ist ambivalent – abzubringen, stellt eine Straftat dar, die im Gefängnis enden kann.

Neben dieser empfindlichen Einschränkung der Religions- und Redefreiheit sieht sich auch die indonesische Presse bedroht. Der Presserat äußerte seine Bedenken in einem Brief an den Präsidenten: "Das neue Strafgesetz behindert noch immer die Pressefreiheit und hat das Potential, journalistische Arbeit zu kriminalisieren", so der Vorsitzende Muhamad Agung Dharmajaya.

Eine Aufgabe für das Verfassungsgericht

Es ist zu erwarten, dass das neue Strafgesetz auf vielerlei Ebenen vor dem Verfassungsgericht herausgefordert wird. Dieses hatte im Jahr 2016 schon einmal geurteilt, dass eine Kriminalisierung von als "Perversionen" bezeichneten Handlungen wie vorehelichem und gleichgeschlechtlichem Sex nicht ins Aufgabengebiet des Strafrechts falle.

Bereits 2019 versuchte sich Indonesien an einer umfassenden Strafrechtsverschärfung, die Präsident Joko Widodo nach massiven Protesten allerdings wieder in der Schublade verschwinden ließ. Die Protestierenden bezichtigten die indonesische Regierung, die Uhr der sozialen Progression auf die Zeit des brutalen Militärdiktators Suharto zurückdrehen zu wollen, der das Land von 1967 bis 1998 regierte. Die nun verabschiedete Version der Stafrechtsreform, die sich nicht substantiell von der vor drei Jahren unterscheidet, muss noch von Präsident Widodo unterzeichnet werden – was, realistisch betrachtet, nicht ohne erneuten Protest der Bevölkerung passieren wird.

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