Die Nachricht des Todesurteils gegen den Chevalier de la Barre wegen Blasphemie verbreitete sich 1766 in ganz Europa. Voltaire setzte sich vehement für seine Freilassung ein, doch auch er konnte die Hinrichtung nicht verhindern. Immerhin sollte de la Barre der letzte Mensch in Frankreich bleiben, der aufgrund einer Blasphemie-Anklage hingerichtet wurde. Die französische Freidenker-Vereinigung ehrt ihn mit einer Statue vor der Basilika Sacré-Cœur in Paris.
Bis heute sind Todesurteile wegen Missachtung der Religion in streng islamischen Ländern keine Seltenheit. Doch auch im christlichen Europa konnte Blasphemie noch vor wenigen Jahrhunderten tödliche Folgen haben. Der letzte Mensch, der in Frankreich aufgrund einer Verurteilung wegen Blasphemie hingerichtet wurde, war der französische Adelige Jean-François Lefèbvre, Chevalier de la Barre. Grade mal 20 Jahre alt war er, als er 1766 in der nordfranzösischen Stadt Abbeville öffentlich verbrannt wurde.
Mit 16, nach dem Ruin und dem Tod des Vaters, war de la Barre in die Obhut einer älteren Cousine gekommen, die Äbtissin eines Zisterzienserinnen-Klosters in der Nähe von Abbeville war. Wie sich herausstellte, konnte de la Barre dem christlichen Glauben jedoch nicht viel abgewinnen. Man verdächtigte ihn sogar, antiklerikal zu sein. 1764 erlaubte er sich, vor einer rund 20 Meter entfernten Fronleichnamsprozession den Hut nicht zu ziehen.
Als im Folgejahr entdeckt wurde, dass ein Holzkreuz auf einer Brücke über dem Fluss Somme in Abbeville Schrammen und Kerben aufwies, war für die Verteidiger des Glaubens klar, dass es sich um eine bewusste Schändung des Kruzifixes handeln muss. Der Bischof von Amiens rief zur Jagd auf die Täter auf und bald waren drei vermeintlich Schuldige gefunden. Neben dem ohnehin der Antiklerikalität verdächtigen de la Barre, ein Monsieur d’Etallonde sowie ein 15-jähriger Junge namens Moinel – auch die beiden waren ins religiöse Fahndungsraster geraten, weil ihre Hütte beim Vorüberziehen der Fronleichnamsprozession im Vorjahr kein korrektes Demutsverhalten gezeigt hatten. Zum Unglück von de la Barre fand man bei der Durchsuchung seines Zimmers überdies auch noch zwei verbotene erotische Schriften sowie das ebenfalls verbotene Dictionnaire philosophique portatif des berühmten Freigeistes Voltaire.
1766 wurde de la Barre schuldig gesprochen und zur Hinrichtung verurteilt. Vor seiner Enthauptung wurde er dem Urteil gemäß gefoltert, außerdem wurde ihm die Zunge abgeschnitten und die rechte Hand abgeschlagen. Anschließend wurde sein Körper öffentlich verbrannt – zusammen mit Voltaires Dictionnaire, das hierbei angeblich an de la Barres Oberkörper genagelt gewesen sein soll. D’Etallonde konnte sich der Hinrichtung entziehen, da er vor seiner Verhaftung ins Ausland floh, und der 15-jährige Moinel, weil de la Barre ihn entlastet hatte.
Die Nachricht von der Verurteilung und der Hinrichtung des Chevalier de la Barre verbreitete sich seinerzeit in ganz Europa. Nicht zuletzt, weil Voltaire öffentlichkeitswirksam versuchte, den Tod des jungen Mannes zu verhindern. Der Tod von de la Barre wurde so über Grenzen hinweg zum Symbol für den schädlichen Einfluss von Religion und Kirche auf Staat und Gesellschaft.
Besonders die französischen Freidenker hielten das Ansehen des Chevaliers de la Barre über die Jahrhunderte lebendig. 1905 – im selben Jahr, in dem in Frankreich das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat verabschiedet wurde – wurde das Modell einer Statue von de la Barre auf einem Freidenker-Kongress eingeweiht und eine danach gegossene Bronzestatue im Folgejahr vor der Basilika Sacré-Cœur auf dem Montmartre in Paris aufgestellt. 1941 wurde die Statue zusammen mit anderen nicht-religiösen Statuen gestürzt und auf Geheiß des mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regimes eingeschmolzen.
Über 80 Jahre später konnte die französische Freidenker-Vereinigung Fédération nationale de la libre pensée nun endlich ihren Plan umsetzen, den letzten Menschen, der in Frankreich wegen Blasphemie hingerichtet wurde, mit einer Statue vor der Basilika Sacré-Cœur zu ehren. Wie das Original von 1905 wurde auch sie im Rahmen eines internationalen Freidenker-Kongresses eingeweiht, der im April in Paris stattfand.
Spenden mit dem Betreff "Chevalier de la Barre" sind über die Webseite der französischen Freidenker oder per Banküberweisung möglich.
IBAN: FR76 1820 6002 0665 0276 555 8592
BIC: AGRIFRPPP882
3 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wie können sich Menschen anmaßen andere Menschen zu töten, nur weil diese nicht an
deren erfundenen Gott glauben können und schon eine verbale, angebliche, Beleidigung
Das finsterste Mittelalter lässt grüßen, kann sich die Menschheit nicht endlich von derartigen Hirngespinsten loslösen? oder soll das ewig so weitergehen?
Wasserspender am Permanenter Link
Die Sache mit den Kerben im Holzkreuz kann ich mir nur so erklären, daß die damals noch keine vernünftigen Akku-Kettensägen hatten.
Rainer Neuhaus am Permanenter Link
Vielleicht als Ergänzung/Hintergrund interessant? Die Seite zum Chavalier de La Barre auf den Internetseite der Voltaire-Stiftung. Mag sein, dass die Autorin sie auch zur Kenntnis nahm?