Interview

"Mit meinem Fall würde ich mich niemals an diese Einrichtung wenden"

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Agnes Wich (links) protestierte auf dem Katholikentag 2022 gemeinsam mit anderen Betroffenen und der Aktionsgruppe "11. Gebot".
Agnes Wich auf dem Katholikentag 2022

Bayern hat eine staatliche Anlaufstelle für Betroffene sexueller Gewalt eingerichtet. Vergangene Woche ging sie an den Start. Von Missbrauch in der Kirche Betroffene hatten dies gefordert, bisher hatte sich der bayerische Staat jedoch dagegen gewehrt. Was von dem neuen Angebot zu halten ist, darüber hat der hpd mit der Betroffenen und Aktivistin Agnes Wich gesprochen.

hpd: Betroffene haben ja seit geraumer Zeit eine solche staatliche, unabhängige Anlaufstelle gefordert. Hattest du dich auch an dieser Forderung beteiligt und fandest du es auch wichtig, dass so etwas entsteht?

Agnes Wich: Diese Idee ist im Aktionsbündis Betroffeneninitiativen immer wieder aufgeflammt. Wir fanden das auch verfolgenswert, weil es zu wenige, unabhängige Beratungsstellen gibt im Kontext kirchliche Aufarbeitung. Was jetzt speziell in Bayern entstand, ist zurückzuführen auf  die Initiative des Zusammenschlusses mehrerer Mitglieder von bayerischen Betroffenenbeiräten, die mit ihrer Forderung nach einer unabhängigen Beratungsstelle an Justizminister Georg Eisenreich herangetreten sind. Ich war nicht daran beteiligt, da ich mein Amt im Münchner Betroffenenbeirat vor einiger Zeit niedergelegt habe. Die Forderung nach Einrichtung einer unabhängigen Beratungsstelle finde ich prinzipiell gut und wichtig, die Umsetzung aber finde ich misslungen.

Warum?

Es ist lediglich eine Weitervermittlung in eine Endlosschleife, in die Warteschlange für Beratungsstellen oder Psychotherapeuten, die völlig überlastet sind. Denn diese sogenannte unabhängige Anlaufstelle hat lediglich Lotsenfunktion. Und nachdem ich die Beschreibung gelesen hatte, dass sieben Personen dafür angestellt sind, dachte ich: das ist ja ein riesen Personalaufwand. Ich habe mich daraufhin zu einem Probeanruf entschlossen, der meine Befürchtungen bestätigte. Unter anderem stellte ich die Frage: "Verstehe ich das richtig, dass Sie nur in eine Warteschlange vermitteln?" – Denn die Wartezeiten für Termine in Beratungsstellen sind ja endlos lang, genauso wie auch für psychotherapeutische Behandlungen.

Das heißt, es wurden gar keine neuen Beratungskapazitäten geschaffen, sondern lediglich ein Verteilzentrum?

Genau, und ich finde die Art und Weise dieser Darstellung völlig missverständlich und irritierend. Auf meine Frage, wie das denn nun funktioniert, habe ich keine konkrete Antwort bekommen. Auch nicht auf die Frage, wie Betroffenen geholfen wird, die dringend Unterstützung benötigten. Dafür erhielt ich sehr lange und ausführliche Informationen zur fachlichen Qualifikation der sieben Stelleninhaber. Es handele sich hier um Psychologen, Pädagogen, die an geeignete Fachberatungsstellen vermitteln würden.

Hast du anonym angerufen? Und hast du einen Fall geschildert oder hast du dich nur nach Möglichkeiten für andere Personen erkundigt?

Ich habe sowohl versucht, einen Fall zu schildern, als auch mich für andere zu erkundigen. Und ich habe meinen Namen genannt.

Hast du in der Rolle der Aktivistin angerufen oder als betroffene Einzelperson?

Eher als Aktivistin. Mit meinem Fall würde ich mich niemals an diese Einrichtung wenden, weil alles zu diffus und nicht transparent ist, weil unklar ist, welche Personen namentlich an diesen Stellen sitzen und wo diese Stelle angesiedelt ist. Es gab bereits im Vorfeld viele Querelen und die zuständige Sozialministerin Ulrike Scharf verhält sich dermaßen intransparent und auch unwissend, welche Form der Unterstützung und Begleitung Betroffene in Krisensituationen benötigen. Es wurde einfach abgetan, es gebe soundso viele Beratungsstellen in ganz Bayern und damit sei das Ganze ja letztendlich gelöst. Das heißt für mich: Frau Scharf hat das ganze Anliegen und die Problematik in ihrer Tiefe weder erfasst noch verstanden.

Daraus entnehme ich, du hättest dich dort auch nicht anvertrauen wollen.

Agnes Wich wurde mit neun Jahren durch einen katholischen Priester missbraucht. Als einzige Frau gehörte sie dem Betroffenenbeirat des Erzbistums München und Freising an, bis sie 2021 austrat. Die Sozialpädagogin und Traumatherapeutin engagierte sich außerdem bei der Betroffeneninitiative Süddeutschland.

Nein. Ich sehe das Problem auch darin: Wenn nun Betroffene in einer akuten Krisensituation dies lesen, so kann der Eindruck entstehen – "Oh, toll, die vermitteln mich direkt an eine Beratungsstelle oder einen Psychotherapeuten, wo ich sonst nur nach langer Wartezeit einen Termin erhalten würde". Das weckt große Hoffnungen. Dass dem dann nicht so ist, kann zu einer weiteren krisenhaften Zuspitzung der Situation führen. Und dann? Wie geht es dann weiter für Betroffene? Deswegen ist das Ganze nach meiner Einschätzung als eine sehr grenzwertige, problematische und risikoreiche Einrichtung zu betrachten.

Wenn so eine Stelle eingerichtet wird, dann muss das meiner Ansicht nach unbedingt kombiniert sein mit einer Beratungsfunktion, wo den Betroffenen Hoffnung auf zügige Bearbeitung ihrer oft krisenhaften Situation gegeben werden kann. So wurde das aber auch aufgrund des äußeren Drucks ganz schnell aus dem Boden gestampft. In Bayern sind im September Wahlen und man möchte sich einen guten Namen machen. Nicht nur für mich macht das alles wenig Sinn. Was ich auch mitbekommen habe, ist, dass diejenigen, die sich mit gezielten Forderungen nach sinnvoller Umsetzung engagiert hatten, sehr enttäuscht sind, das Ganze sehr kritisch sehen – und dies auch zu recht.

Welche Kriterien werden denn bei einer Vermittlung angewandt?

Ich habe es so verstanden, dass man versucht nahe am Wohnort der Betroffenen etwas zu vermitteln, sofern da freie Kapazitäten sind. Was illusorisch ist, denn ich kenne keine einzige Beratungsstelle oder Psychotherapeutin mit freien Kapazitäten. Bei meinem Anruf wurde mir gesagt, es würde themenbezogen vermittelt werden. Wie dies konkret ablaufen soll, habe ich nicht herausbekommen.

Die neue Einrichtung ist ja nicht nur Anlaufstelle für Betroffene von kirchlichem Missbrauch.

Richtig, es geht um Betroffene aus allen möglichen Tatkontexten.

War denn die ursprüngliche Forderung die nach einer Beratungsstelle speziell für kirchlich Missbrauchte?

Die ursprüngliche Forderung war zuerst die nach einer Ombudsstelle ausschließlich mit Bezug zu den Missbrauchsfällen in der Kirche, ja. Dafür hatte sich auch Justizminister Eisenreich sehr engagiert. Und da kam es zu einer sehr heftigen Reaktion des Münchner Kardinals Marx, der meinte, wenn so etwas überhaupt installiert werden sollte, dann für alle Tatkontexte. Die Heftigkeit dieser Reaktion lässt tief blicken.

Das heißt, dass die Beratungsstelle allgemein gehalten wurde, könnte auf eine Idee aus Richtung Kirche zurückzuführen sein?

Ich wäre prinzipiell misstrauisch, wenn solche Inputs aus Kirchenkreisen kommen. Das heißt, Kirche entzieht sich wieder der Verantwortung, lenkt ab von ihren eigenen Verbrechen, indem sie mit dem Finger auf andere zeigt und sagt: "Die haben ja auch…" Prinzipiell finde ich den Gedanken gut, eine Ombudsstelle für Missbrauchsbetroffene aus verschiedensten Tatkontexten einzurichten. Der Impuls hätte aber nicht von einer Täterorganisation kommen dürfen.

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