Was Gruppen von Grünen und Linken in Deutschland als rassistisch und islamophob kritisieren und verhindern wollen, hat in einem afrikanischen, islamisch geprägten Staat nun Gesetzeskraft erlangt: Ägypten wird seinen Schülerinnen ab dem kommenden Schuljahr das Bedecken des Gesichts mit einem Schleier verbieten. Es ist nicht das erste islamische Land, das Maßnahmen gegen den Gesichtsschleier in Schulen ergreift.
Rund 51 Millionen Frauen leben in Ägypten, wobei etwa 90 Prozent von ihnen muslimischen Glaubens sind. Viele von ihnen diskutieren zurzeit in den Sozialen Netzwerken leidenschaftlich über ein Dekret des ägyptischen Ministeriums für Bildung und technische Erziehung. Wie ägyptische Zeitungen berichten, hat das Bildungsministerium ab dem kommenden Schuljahr, das am 30. September beginnt, einheitliche Spezifikationen für Schuluniformen an öffentlichen und privaten Schulen eingeführt. Im Rahmen dieser Regelungen dürfen Schülerinnen ihre Gesichter nicht mehr mit Schleiern bedecken. Damit werden Niqab (ein Gesichtsschleier mit einem kleinen Sehschlitz) und Burka (Überwurf mit engmaschigem Augengitter) aus ägyptischen Schulen verbannt. Das Tragen eines Kopftuchs ist den Mädchen erlaubt, wenn es freiwillig erfolgt.
Die große Mehrheit der Frauen in Ägypten trägt keinen Gesichtsschleier, sehr wohl aber ein Kopftuch. Viele Mädchen sind also vom neuen Verbot persönlich gar nicht betroffen, aber die Tatsache, dass in einem islamischen Staat eine islamische Bekleidung verboten wird, ist ungewöhnlich und erzürnt viele Muslime.
Das Ministerium rechtfertigt diese Maßnahme damit, den Gemeinschaftssinn in Schulen stärken und Mobbing sowie Hänseleien unter den Schülern aufgrund unterschiedlicher Kleidungsstile reduzieren zu wollen. Ebenso argumentiert man, dass die Einführung einheitlicher formeller Kleidung die Kosten und finanzielle Belastung für die Eltern verringern werde, indem sie den Wettbewerb zwischen den Schülern, der oft mit Prahlerei einhergeht, eindämmt. Während diese Überlegungen die Einführung von Schuluniformen begründen, bieten sie jedoch keine Erklärung dafür, warum die religiöse Gesichtsverschleierung verboten wird. Da das Bildungsministerium keine ausreichende Argumentation für diesen weitreichenden Schritt geliefert hat, wird die Debatte darüber angeheizt, und einige werfen der Regierung Tyrannei vor.
Eine Maßnahme zur Beschränkung des Einflusses der Muslimbruderschaft?
Was steckt wirklich hinter dieser Entscheidung? Viele sehen darin einen weiteren Schritt der Regierung, um den Einfluss der Muslimbruderschaft einzuschränken. Die Muslimbruderschaft vertritt einen streng orthodoxen sunnitischen Islam und spielte eine bedeutende Rolle in der jüngeren politischen Geschichte Ägyptens. Im Jahr 2012 gelang es ihr, einen Präsidentschaftskandidaten, Mohammed Mursi, aufzustellen, der sich als moderat gab und die Massen für sich gewinnen konnte. Er wurde der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens, wenn auch nur mit knapper Mehrheit. Doch nach seiner Wahl zeigte Mursi sehr schnell seine wahre Absicht, nämlich die säkularen Kräfte im Land durch eine islamische Verfassung, die sich an der Scharia orientiert, auszuschalten. Er erklärte, dass seine Entscheidungen und Gesetze endgültig seien und gegen sie keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden könnten. Dadurch setzte Mursi die Gewaltenteilung außer Kraft, die ein wesentliches Element eines Rechtsstaates darstellt. Für viele Menschen hat Mursi damit nicht nur die Staatsmacht an sich gerissen, sondern den Arabischen Frühling verraten. In der Folge kam es zu landesweiten Unruhen, Straßenkämpfen und schließlich zu seiner Absetzung in einem Militärputsch durch den Generaloberst Abd al-Fattah as-Sisi. 2018 wurde dieser mit knappen 97 Prozent der Stimmen als Präsident wiedergewählt. Dass Sisi fast 100 Prozent der Stimmen erzielen konnte, wird von vielen als Beleg dafür angesehen, dass die Wahl nicht frei und korrekt gewesen ist. Sisi nutzt bis heute sein Amt, um die Muslimbrüder als Terrororganisation unerbittlich zu verfolgen. Es kam zu Massenverhaftungen und es wurden viele Todesurteile verhängt. Trotzdem konnte Sisi die Muslimbruderschaft nicht zum Verschwinden bringen, sie erstarkt langsam wieder.
Vor dem Hintergrund des Kampfes, den die Regierung unter Sisi gegen die Muslimbruderschaft führt, hat eine Anmerkung zur Einführung der neuen Bekleidungsvorschriften besondere Aufmerksamkeit erregt: Im Zusammenhang mit der bloß optionalen Möglichkeit des Tragens eines Kopftuches besagt das Dekret, dass der Wunsch der Schülerin entscheiden soll, "ohne Druck oder Zwang von jemand anderem als dem Erziehungsberechtigten, der hierüber zu informieren ist". Die Formulierung wird von manchen als eine Spitze gegen die Muslimbruderschaft angesehen, die Mädchen einreden will, eine gottgefällige Muslimin müsse zwingend ein Kopftuch tragen.
Es kommen auch andere Gründe für ein Vollverschleierungsverbot in Betracht: Das Bildungsministerium könnte betonen wollen, dass die Regierung noch am Ziel eines liberalen, säkularen Staates festhält und sich von extremistischen Ideologen wie dem Islamischen Staat distanziert. Es könnte beabsichtigt sein, die Kommunikation der Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen zu fördern. Mädchen aus stark religiösen Haushalten soll vielleicht die Möglichkeit gegeben werden, sich unter gleichen Bedingungen am schulischen Geschehen zu beteiligen. In einem Land, in dem immer wieder terroristische Akte stattfinden, kann es auch eine Maßnahme aus Sicherheitsgründen sein, da Vollverschleierung es schwieriger macht, schulfremde Personen beim Betreten des Schulgebäudes zu erkennen. Vor allem wegen der Gefahr von Selbstmordattentaten haben Regierungen auch in anderen afrikanische Staaten Vollverschleierungsverbote ausgesprochen, darunter islamisch geprägte Nationen wie der Tschad (ca. 60 Prozent Muslime) und Senegal (über 90 Prozent muslimisch). Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die argumentieren, dass die Regierung lediglich von drängenderen Problemen im Bildungssystem ablenken will, wie überfüllte Klassenzimmer und veraltete Ausrüstung.
Beweggründe nicht transparent dargelegt
Was die tatsächlichen Gründe für das Verbot von Niqabs und Burkas betrifft, so bleiben diese ein Rätsel, solange die Regierung diese nicht offiziell offenlegt. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass in Ägypten ein solches Verbot ausgesprochen wurde: Bereits 2015 hat die alte und renommierte Universität von Kairo ihren Dozentinnen das Tragen des Niqab verboten. Die Universität begründete die Entscheidung damit, dass der Gesichtsschleier die Kommunikationsfähigkeit von Frauen, die ihn tragen, negativ beeinträchtige. Diese Entscheidung führte zu Protesten und wurde gerichtlich angefochten. Im Jahr 2020 stellte der Verwaltungsgerichtshof in Kairo fest, dass die individuelle Wahl der Kleidung zwar zu den persönlichen Freiheiten gehört, die in der ägyptischen Verfassung garantiert sind, diese Freiheiten seien aber nicht ohne Grenzen und dürften nicht im Widerspruch zur "öffentliche Moral" stehen. Im Hinblick auf die Bedeutung einer klaren und direkten Kommunikation zwischen dem akademischen Personal und den Studenten sollten Professoren ihr Gesicht im Umgang mit Studenten während akademischer Vorlesungen nicht verbergen dürfen.
Die neue Rechtslage wird zweifellos weitere Diskussionen auslösen, und es wird spannend sein zu beobachten, wie sich ihre Auswirkungen auf die soziale und religiöse Dynamik in Ägypten entfalten. Bedauerlicherweise hat der Bildungsminister versäumt, seine Beweggründe für das Verschleierungsverbot transparent darzulegen, und damit verpasste er die Gelegenheit, seine Kritiker zu überzeugen, dass diese Entscheidung auf vernünftigen Abwägungen beruht.
Natürlich können gute Argumente gegen ein Vollverschleierungsverbot vorgebracht werden. Zum Beispiel könnte argumentiert werden, dass in einem liberalen Staat, der die persönlichen Freiheiten aller Menschen ohne Diskriminierung respektiert, auch die Freiheit zur freiwilligen Unterwerfung unter religiöse Zwänge anerkannt werden muss. Eine religiöse Unterwerfungslust ist aber keinesfalls Kindern zu unterstellen. Die Schule ist die einzige Bastion zum Schutz ihres jungen Verstandes vor religiöser Bestechung, Täuschung und Drohung und vor dem Einfluss archaischer Familienstrukturen und Gruppen.