Ein muslimischer Zwergstaat nach Vorbild des Vatikans soll in der albanischen Hauptstadt Tirana entstehen. Darauf hat sich laut New York Times der Premierminister Edi Rama mit dem Oberhaupt des sunnitischen Bektaschi-Ordens, Baba Mondi, verständigt.
Mit eigener Verwaltung, Pässen und Grenzkontrollen wäre es der kleinste souveräne Staat der Welt. Der Vatikan in Rom ist flächenmäßig etwa viermal so groß. Alkohol soll in der muslimischen Enklave weiterhin erlaubt bleiben, zudem wolle man auf spezielle Bekleidungsvorschriften für Frauen und andere Einschränkungen der Lebensführung verzichten. Damit spiegelt der geplante Staat die Gebote des sunnitischen Bektaschi-Ordens wider, der stark von Sufismus geprägt ist. Er vertritt eine islamische Mystik, die auch Elemente vorislamischer Religion umfasst. Zudem genießen religiöse Lehrer (Derwische) große Verehrung. Der Orden zeichnet sich durch eine liberale Auffassung des Islams aus und weicht in vielen Punkten von der strengen Auslegung der Scharia ab. "Gott verbietet nichts, deshalb hat er uns Verstand gegeben", sagt das Oberhaupt der Bektaschi Baba Mondi, mit bürgerlichem Namen Edmondo Brahimaj. Der 65-Jährige ist als Chef des "Souveränen Staat des Bektaschi-Ordens" im Gespräch.
Ziel der Staatsgründung sei es, einen toleranten Islam zu fördern, so Premierminister Rama in einem Interview. "Wir sollten diesen Schatz der religiösen Toleranz bewahren und niemals als selbstverständlich ansehen". Die Bektaschi sind mit gut 2 Prozent eine religiöse Minderheit in Albanien. Mit über 56 Prozent vertritt die Mehrheit andere islamische Richtungen, fast 17 Prozent sind Christen (Zahlen von 2011). Trotz der geringen Zahl wird dem Bektaschi-Orden eine bedeutende Rolle auf dem historischen Weg des Landes in die Unabhängigkeit\zugeschrieben. Im 13. Jahrhundert in Kleinasien gegründet, gelangte die Gemeinschaft mit Eroberung von Balkan-Gebieten durch das Osmanische Reich im14. und 15. Jahrhundert auch zu Einfluss im heutigen Albanien, Kosovo und Mazedonien.
Als die Bektaschi in den 1920er Jahren, wie alle Derwisch-Orden, vom türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk verboten wurde, verlegte sie den Hauptsitz nach Albanien. Mit der Erklärung Albaniens zum atheistischen Staat durch den kommunistischen Staatschef Enver Hoxha 1967 wurden auch die Bektaschi verfolgt und ihre religiösen Zentren zerstört. Erst nach Ende des Regimes 1990 kam es zur Gründung neuer Einrichtungen.
Während Premierminister Rama die geplante Gründung einer muslimischen Enklave in Albanien als Signal für religiöse Toleranz verstanden wissen will, sehen Beobachter darin eher einen symbolischen Akt. Ein mögliches Ziel sei es, "ungeachtet der zunehmend autoritären Züge seiner Herrschaft als liberaler und weltoffener Herrscher eines Landes" zu gelten, das bald in die EU aufgenommen werden könnte, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Wie Rama mitteilte, arbeiten derzeit in- und ausländische Fachleute an einem Gesetzentwurf für die Einrichtung des Zwergstaates. Anschließend muss das albanische Parlament die Staatsgründung absegnen.