Der Papst ist erkrankt, schwer erkrankt. Seit Wochen berichten deutsche Medien täglich, wie es um die Gesundheit des Oberhaupts der katholischen Kirche steht. An manchen Tagen informiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland in seinen Nachrichten noch vor den Schrecken des Ukrainekriegs und der Regierungsbildung über den aktuellen Grad der Lungenentzündung des Pontifex Maximus – muss das sein?
Wer 88 Jahre alt ist, hat ein hohes Alter erreicht. Jeden Tag wird einem die eigene Sterblichkeit bewusster und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich das Leben dem Ende zuneigt. Dieses Schicksal erwartet jeden, der das Glück hat, so alt zu werden. Auch Jorge Mario Bergoglio ist ein alter, gebrechlicher Mann, aber im Gegensatz zu seinen Altersgenossen steht sein Gesundheitszustand seit Wochen unter medialer Dauerbeobachtung. Das Ausmaß dieser Berichterstattung ist erstaunlich und gleichzeitig schwer zu ignorieren.
Als Papst Franziskus ist Bergoglio zweifellos eine wichtige Persönlichkeit und für Millionen Gläubige als Oberhaupt der katholischen Kirche von enormer symbolischer und spiritueller Bedeutung – verständlich, dass sich viele Katholiken Sorgen um seinen Gesundheitszustand machen. Tausende beten täglich auf dem Petersplatz oder vor dem Gemelli-Krankenhaus in Rom, wo für Franziskus im obersten Stockwerk ein eigener Trakt reserviert ist. Die Katholische Presseagentur Österreich weiß Genaueres zu berichten: "Die Krankenwohnung lässt sich über einen eigenen Aufzug und einen streng bewachten Gang erreichen. Für den Papst gibt es ein Krankenzimmer, und auch für seine Begleiter stehen Räume zur Verfügung. Es gibt ein Wohnzimmer, einen Besprechungsraum, Sekretariate und eine Privatkapelle." Nebenbei erfährt man noch, dass es in der Gemelli-Klinik eine Hall of Fame gibt: Im Flur des Krankenhauses befindet sich ein kleines Museum, das die Krankenhausaufenthalte von Johannes Paul II. dokumentiert.
Voyeuristische Berichterstattung
Während normalerweise Diskretion herrscht, wenn Staatsoberhäupter schwer erkranken, scheint dies im Fall Bergoglios nicht zu gelten. Der Vatikan veröffentlicht gefühlt alle drei Stunden ein neues medizinisches Bulletin, das über die Nachrichtenagenturen verbreitet wird. Aber muss wirklich jeder Atemzug, jede Fieberkurve und jeder Husten in Echtzeit an die Öffentlichkeit dringen? Diese fast voyeuristische Berichterstattung vermittelt weniger Respekt als Sensationslust. So sendet RTL "Infos zu Papst Franziskus im Live-Ticker" und t-online hat einen Newsblog mit "Gesundheitsupdates" eingerichtet. Selbst Spiegel online berichtet regelmäßig und informiert, wenn Franziskus eine erneute "Atemkrise" erleidet. Man erfährt, dass der Papst gut geschlafen und eine ruhige Nacht verbracht hat, dass seine Blutwerte stabil sind, eine Niereninsuffizienz droht, das klinische Krankheitsbild komplex sei und er sich einer Computertomografie unterzogen hat.
Die Zeit, die christlichen Themen einen hohen Stellenwert einräumt, widmete der päpstlichen Hofberichterstattung in ihrem Resort "Glauben & Zweifeln" am letzten Donnerstag sogar eine ganze Seite. Unter der Schlagzeile "Er ist nicht außer Gefahr" diskutiert die Wochenzeitung im Boulevardstil vor allem zwei wichtige Fragen: "Wird er das überleben? Und wenn er es schafft, tritt er dann zurück?" Autor Andreas Englisch ("Seine Papstbücher sind Bestseller") ergänzt die medizinischen Infos noch um den Hinweis, dass eine Blutuntersuchung einen Mangel an Thrombozyten ergeben hatte, bevor er den Gerüchten um einen bevorstehenden Rücktritt ausführlich nachgeht und diese weiter anheizt. Ironischerweise zitiert Englisch abschließend Kardinal Giovanni Battista Re mit den mahnenden Worten: "Über einen Rücktritt des Papstes darf man nicht spekulieren!"
Viele der am Heiligen Stuhl akkreditierten Journalisten – sogenannte "Vatikanisti" – beteiligen sich an dem Gedankenspiel um einen vorzeitigen Rücktritt von Franziskus, mit Verweis auf Joseph Ratzinger. Ein einberufenes Konsistorium nährt die Gerüchteküche. Meistens folgen dann Berichte über rivalisierende Flügel im Kardinalskollegium, die sich im Vorfeld einer möglichen Papstwahl positionieren. Das jüngst Oscar-prämierte Kinospektakel "Konklave" dürfte die Spekulationen und das Medieninteresse sicherlich angeheizt haben. Ob eine Papstwahl aufgrund von Rücktritt oder Tod stattfindet, gerät im politischen Ränkespiel im Schatten des Petersdoms zur Nebensache.
Merkwürdige Prioritäten
Beachtung verdient auch die ethische Dimension dieser Berichterstattung: Papst Franziskus hat sich stets für Bescheidenheit und die Würde des Menschen eingesetzt. Die Art und Weise, wie seine Krankheit medial ausgeschlachtet wird, steht in starkem Kontrast zu diesen Werten. Sie degradiert ihn zu einem Objekt ständiger Beobachtung und lenkt von den Inhalten ab, für die er sich Zeit seines Pontifikats starkgemacht hat. Diskretion statt Offenheit wäre das Gebot der Stunde. Den päpstlichen Widersachern scheint jedes Mittel recht, Franziskus zu beschädigen und die Medien lassen sich vor den Karren der Erzkonservativen spannen.
Während ausführlich über den aktuellen Grad der Lungenentzündung des Papstes berichtet wird, finden humanitäre Katastrophen, politische Entscheidungen und soziale Missstände oft nur am Rande Erwähnung. Der öffentliche Rundfunk, der sich einer ausgewogenen und sachlichen Berichterstattung verpflichtet fühlt, sollte sich fragen, ob diese Gewichtung seinem journalistischen Auftrag gerecht wird und er sich nicht auf andere Themen fokussieren sollte. Es ist an der Zeit, die mediale Prioritätensetzung zu überdenken. Die Gesundheit von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist selbstverständlich von Interesse, doch sollte diese nicht die Berichterstattung über weltbewegende Ereignisse in den Schatten stellen. Ein respektvoller Umgang mit dem Menschen Jorge Mario Bergoglio bedeutet, ihm Privatsphäre und Würde zu lassen, und nicht, jeden Krankheitsverlauf zum Topthema zu hypen.
Nachtrag: Inzwischen gibt es sogar eine Wettplattform, auf der man Geld auf die Frage "New Pope in 2025?" setzen kann. Tendenz "ja".
