Kommentar

Bundesverfassungsgericht: Frauke Brosius-Gersdorf und die konservative Empörung

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Die angesehene Juristin und Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf soll nach dem Willen der SPD als Richterin an das Bundesverfassungsgericht berufen werden – eine Personalentscheidung, die in konservativ-katholischen Kreisen auf harsche Ablehnung stößt. Nicht etwa wegen fehlender Qualifikation, sondern wegen ihrer Haltung zu einem heiklen Thema: dem Schwangerschaftsabbruch.

Die Berufungen ans höchste deutsche Gericht sind richtungs- und zukunftsweisend. Die 16 Richterinnen und Richter in zwei Senaten, jeweils zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt, bestimmen für zwölf Jahre über Grundsatzfragen der Verfassungsauslegung. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen – um parteipolitische Rücksichtnahme zu begrenzen.

Neben Frauke Brosius-Gersdorf hat die SPD Ann-Katrin Kaufhold von der LMU München vorgeschlagen; die Union schickt den Arbeitsrechtler Günter Spinner ins Rennen. Am Freitag hätte der Bundestag über die drei Vorschläge abstimmen sollen, wobei eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Die Schwarz-Rote-Regierung ist daher auf die Unterstützung der Grünen und der Linken angewiesen. Doch wegen Protest gegen Frauke Brosius-Gersdorf wurde die Abstimmung verschoben.

Brosius-Gersdorf: Juristin mit Rückgrat – und Feindbild konservativer Kreise

Die 54-jährige Frauke Brosius-Gersdorf ist Professorin für Öffentliches Recht, Schwerpunkt Verfassungsrecht, an der Universität Potsdam und erfüllt alle formalrechtlichen Voraussetzungen für die Berufung an das Bundesverfassungsgericht. Aufgrund ihrer juristischen Expertise war sie in der vergangenen Wahlperiode stellvertretende Koordinatorin in der von der Ampelregierung eingesetzten Kommission zur Reform des Paragraphen 218 StGB. Ihre verfassungsrechtliche Einschätzung: Die Menschenwürde gelte juristisch "ab Geburt"; ein Schwangerschaftsabbruch sei innerhalb der ersten zwölf Wochen verfassungsrechtlich zulässig – sofern er geregelt und zugänglich sei. Diese klare Position brachte ihr scharfe Kritik ein – vor allem aus dem katholisch-konservativen Lager. Selbsternannte Lebensschützer wandten sich an Bundestagsabgeordnete und appellierten, gegen die Ernennung zu stimmen. Die Beweggründe, ihre Berufung an das Bundesverfassungsgericht zu verhindern, sind so banal wie beschämend.

Erzkonservative und kirchliche Kreise zeigen sich besorgt, da die Potsdamer Juristin den katholischen Wertekonsens nicht allumfassend teilt und für ein abgestuftes Lebensschutzkonzept eintritt. Insbesondere die katholische Wochenzeitung Die Tagespost griff Brosius-Gersdorf polemisch an – sie kolportierte sogar, sie sei eine politische Aktivistin und werde von Professorenkollegen als "Reinkarnation von Margot Honecker" bezeichnet. Eine derartige Diffamierung entbehrt nicht nur jeder Grundlage, sondern disqualifiziert sich selbst und diejenigen, die diese Behauptungen in Umlauf bringen, und versucht, eine differenziert argumentierende Juristin mit einer autoritären Funktionärin eines Unrechtsstaates gleichzusetzen. Unterste journalistische Schublade.

Ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz

Dass nun versucht wird, eine verfassungsrechtlich hochqualifizierte Frau für ihre fachliche Einschätzung zur reproduktiven Selbstbestimmung zu diskreditieren, ist ein alarmierendes Signal. Nicht ihr juristisches Können wird in Frage gestellt – sondern ihre Haltung zur Autonomie von Frauen über ihren Körper in Bezug auf das Thema Abtreibung. Dass sie damit dem katholischen Dogma widerspricht, ist kein Makel – sondern Ausdruck eines säkularen, pluralistischen Verfassungsverständnisses.

Ein Bundesverfassungsgericht darf kein ideologisches Bollwerk sein und muss in seiner Zusammensetzung ein breites Meinungsspektrum abdecken, auch wenn das gängigen konservativ-religiösen Überzeugungen widerspricht. Entscheidend ist die juristische Qualifikation, nicht die Übereinstimmung mit kirchlicher Morallehre. Die Angriffe auf Frauke Brosius-Gersdorf zeigen, wie notwendig ihre Berufung ist: für ein modernes, grundrechtsorientiertes Verfassungsverständnis – und für die Unabhängigkeit der Justiz.„"

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