Die logische Folge dominanter Ideen aus Gender- und Queer-Studies (Teil 1)

Queers for Palestine – Kein Widerspruch?!

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Palästina-solidarische Demonstration. Im Vordergrund drei Demonstranten mit Kufiya. Berlin, 2023
Palästina-solidarische Demonstration

Der Juni war Pride-Month. In nahezu jeder deutschen Großstadt – oder zumindest in jeder Universitätsstadt – zogen Christopher-Street-Day-Paraden durch die Straßen. Ein hedonistisches Get-together der LGBTQ-Szene, bei dem, wenn es politisch wird, überaus selten der Islamismus als massive Bedrohung für sexuelle Minderheiten benannt wird. Besonders bemerkenswert ist die Parteinahme manch queerer Aktivisten für Palästina unter dem Label "Queers for Palestine" – ausgerechnet für eine Region, in der bei Homosexualität Gefängnis oder gar Lynchjustiz durch die eigene Familie droht. "Chicken for KFC", also Identifikation mit dem Aggressor, spottet es von der Kommentarspalte bis hin zu Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Das greift zu kurz: Welche ideologische Basis prägt diese Bewegung? Passend dazu hat hpd-Autor Moritz Pieczewski-Freimuth ein umfassendes Working Paper am Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Schröter veröffentlicht. Entgegen obiger Schmähkritik kommt er zu dem Schluss: Queers for Palestine sind die stringente Weiterführung dominanter Prämissen aus Gender- und Queer-Studies. In Teil 1 präsentiert der hpd ausschnittsweise die Analyse der Thesen der Vordenkerinnen Butler, Davis und Puar.

"Nie wieder" war gestern

Adornos kategorischer Imperativ, "alles Denken und Handeln so auszurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe" (1966), gehört der Vergangenheit an. Das Massaker vom 7. Oktober in Israel ist das schwerste antisemitische Verbrechen seit der Shoah. Obwohl Israels Armee die Hamas, die Hisbollah sowie den Iran inzwischen erheblich militärisch geschwächt hat, behalten die palästinensischen Terrorgruppen im Krieg um die Bilder die Oberhand.

Im Westen rückte mit Beginn der israelischen Selbstverteidigung der Vorwurf eines vermeintlich unverhältnismäßigen Vorgehens der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen in den Fokus der öffentlichen Debatte. Besonders im akademischen Milieu scheint die Hamas-Strategie der moralischen Delegitimierung Israels auf fruchtbaren Boden zu fallen. Eigentlich wäre zu erwarten, dass eine Katastrophe wie der 7. Oktober in aufgeklärten Gesellschaften zu klarer Verurteilung, dem Wunsch nach Rehabilitierung der Opfer und der Forderung nach Bestrafung der Täter führt. In Deutschland führte der 7. Oktober zu einem drastischen Anstieg islamistischen Terrors (das Risiko vervierfachte sich) und ließ antisemitische Vorfälle fast doppelt so häufig auftreten. Während Islamisten ihren Judenhass offen zelebrierten, verklärten Teile der Linken und einige "weltoffene" Akademiker das Massaker zum dekolonialen Aufstand. Besonders auffällig: Gerade progressive Intellektuelle avancierten zu Schallverstärkern regressiver islamistischer Narrative.

Der "ehrbare" Antisemitismus im Gewand des Antizionismus (Jean Améry, 1969) artikuliert sich heute unter dem Deckmantel postkolonialer und queerfeministischer Diskurse. Vor dem Hintergrund der antiemanzipatorischen Ideologie der Hamas sind es ausgerechnet Adepten der Gender- und Queer-Studies, LGBTQ-Initiativen und queerfeministische Kreise, die durch Schweigen, Leugnen, vermeintliche Kontextualisierungen, sympathisierende Rechtfertigungen und offene Solidaritätsbekundungen einer antisemitischen, homophoben und frauenfeindlichen Vernichtungsagenda Vorschub leisten. Besonders deutlich wird dies bei Queers for Palestine.

Die Philosophinnen Judith Butler und Angela Y. Davis sowie die Genderwissenschaftlerin Jasbir K. Puar gelten als zentrale Referenzfiguren des gebildeten, queerfeministischen Antizionismus. Allesamt engagieren sich für Queer BDS, ein Arm der Israel-Boykott-Bewegung, der die Ansicht vertritt, dass die Beseitigung Israels zur Befreiung der Palästinenser und damit aller Queers führe.

Judith Butlers Dekonstruktion jüdischer Souveränität

Butler, selbst jüdischer Herkunft, Begründerin der Queer Theory und maßgebliche Pionierin eines performativen Genderverständnisses, äußert sich nicht erst seit dem 7. Oktober zunehmend israelfeindlich und gegenüber dem Islamismus verharmlosend bis romantisierend. Bereits 2006 erklärte sie Hamas und Hisbollah zu "sozialen Bewegungen, die progressiv sind, die links stehen, die Teil einer globalen Linken sind".

Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober titulierte sie als "Aufstand" und zweifelte die sexuelle Gewalt des Mordanschlags an; später bezeichnete sie es gegenüber dem Spiegel grundsätzlich als "Karikatur, dass Frauen, Schwule, Lesben und trans Personen in Palästina nicht frei und offen leben" können.

Butler versucht ihrer Kritik am Zionismus eine identitätskritische Note zu geben: Israel gilt ihr als identitäres Projekt, die Diaspora hingegen als gelebtes Nicht-Identitäres. Zionismus erscheint ihr als Hauptübel. Eine "jüdische Nation auf der Basis jüdischer Souveränität" bedeute, dass "die Palästinenser auf Dauer in der Minderheit gehalten werden sollen". Jüdische Selbstbestimmung gründe somit zwangsläufig auf "Strategien des dauerhaften Ausschlusses und zur dauerhaften Beschränkung der Bewegungsfreiheit" der Palästinenser. Israel schließe den Palästinenser als den a priori "Anderen" aus – die Emanzipation der "Einen" impliziere zugleich die Exklusion der "Anderen".1

Somit entwickelte Butler eine postzionistische Judaistik, die zwischen der "bösen" israelischen Nation und der vermeintlich gewaltfreien "guten" Diaspora unterscheidet. Die Diaspora beschreibt sie als ein "hineingeworfen sein in eine Welt der Nicht-Juden, in der man ethisch und politisch seinen Weg inmitten einer unumkehrbaren Heterogenität finden muss." Zur Dekonstruktion seiner (jüdischen) Identität gezwungen, quasi: Der "Andere" sei dort "unassimilierbar als der, der meine eigene Kontinuität unterbricht und ein 'autonomes' Selbst gegenüber einem 'autonomen' Anderen verunmöglicht", so Butler 2013 in "Am Scheideweg".

Ungeachtet ihrer Betonung des jüdischen Respekts gegenüber dem Anderen verschweigt Butler geflissentlich, dass dieser Respekt den Juden niemals in gleicher Weise entgegengebracht wurde. Sie erwähnt weder das Leiden der Juden in der Diaspora, in den deutschen Ghettos und osteuropäischen Schtetln, noch die Demütigung unter der islamischen Dhimmitude2 oder die Enteignung der Mizrachi-Juden. Kein Wort verliert sie über die Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung durch die Arabische Liga, den Angriffskrieg auf Israel von 1948 oder über die Bürgerrechte für Palästinenser und Muslime im jüdischen Staat.

Wehrhafte Juden, verkörpert durch einen muskulären Staat Israel, gelten ihr als Verräter am Judentum und an einem universellen Menschenbild, das sie als besonders diversitätssensibel etablieren möchte. Israels Streben nach Sicherheit und Unabhängigkeit interpretiert sie sozusagen als Ausdruck eines maskulinen Identitätsfanatismus. So wird Israel zum patriarchalen Aggressor, der die mit Queeren gleichgesetzten Palästinenser aus seinem Selbstverständnis heraus ausschließen muss.

Die aktivistische Umsetzung dessen war dieses Jahr auf dem CSD in Zürich zu sehen: Unter der Transflagge hielt ein Mann ein Plakat mit der Aufschrift: "Wir Queers bekämpfen die laufende Entmenschlichung und Dämonisierung der Palästinenser*innen – Wir kennen diese Art von Politik zu gut."

Intersektional gegen Israel: Beispiel Angela Y. Davis

Einen weiteren Beitrag zum zeitgenössischen Queerfeminismus liefert das Konzept der Intersektionalität.

Intersektionalität bezieht sich auf Überschneidungen auf den Diskriminierungsachsen Race, Class, Gender zunehmend aber auch auf Alter, Behinderung oder Religion – insbesondere Islam. Antisemitismus bleibt hingegen meist außen vor. Dreh- und Angelpunkt der Intersektionalität sind kollektive Identitäten, oft als "Mehrfachidentitäten" wie gleichzeitig Frau, Muslimin und People of Color (PoC) vorgestellt. Kurzum: Intersektionalität spricht Menschen nicht als Individuen, sondern als Gruppenwesen an.

Doch genau hier liegt bereits das erste Problem hinsichtlich des Antisemitismus: Antisemiten unterstellen Juden, "nichts Ganzes" zu sein, sich einer klaren Zuordnung zu entziehen und keine monolithische Identität zu besitzen. Sie gelten als gemeinschaftszersetzend, wurzellos, geradezu nicht-identisch.

Zur Kategorie race: Judenhass lässt sich nicht einfach unter Rassismus subsumieren, sondern erfordert eine eigenständige Betrachtung. Rassismus biologisiert soziale Merkmale, um als "minderwertig" halluzinierte Menschen herabzuwürdigen. Antisemitismus hingegen richtet sich nicht gegen Juden als Minderheit, sondern gegen die "Gegenrasse, das negative Prinzip als solches"3, die im Konkurrenzgefälle als "überwertig" imaginiert wird.

Class thematisiert in der Intersektionalitätsforschung Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund prekärer ökonomischer Verhältnisse – um eine materialistische Analyse von Klassenverhältnissen geht es nicht. In der antisemitischen Ideologie erscheinen Juden nicht als Opfer von Klassismus, sondern als Agenten des Kapitalismus selbst. Juden werden im Antisemitismus nicht als unterprivilegiert, sondern als dezidiert überprivilegiert wahrgenommen.

Zu gender: Die grausame Gleichzeitigkeit von systematischen Sexualverbrechen und Vernichtungsantisemitismus am 7. Oktober böten ein geeignetes Analysefeld für die Intersektionalitätsdimension "gender". Doch der sexistische "Mehrfachdiskriminierer" wurde längst im "alten weißen Mann" identifiziert, den einige Queerfeministinnen nun in Israel verkörpert sehen.

Konkrete Nutzanwendung der Intersektionalität für die Palästinasolidarität liefert Angela Y. Davis. Die emeritierte Professorin für feministische Studien an der UC Santa Cruz erlangte durch ihren Aktivismus für Black Lives Matter und als intellektuelle Wegbereiterin des Black Feminism internationale Bekanntheit.

Das Massaker vom 7. Oktober revitalisierte Davis' nostalgische "Palästinasolidarität". Am 27. April 2024 trat sie während der antiisraelischen Campusbesetzungen in Denver mit einem Palästinensertuch auf die Bühne und rief: "And if Palestine can be free, then the entire world can be free" – die israelbezogene Artikulation des Erlösungsantisemitismus.

Partikularen Gemeinschaften unterstellt Davis ein automatisches revolutionäres Potenzial gegen die "Tyrannei des Universellen"4 womit sie meist den Westen oder die sogenannte weiße Vorherrschaft samt deren Vorhut Israel meint.

Eine Verbindung zwischen Palästinensern und Schwarzen zieht sie willkürlich entlang folgender scheinbarer Indizien: US-amerikanische Einsatzkräfte der Aufstandsbekämpfung gegen Black Lives Matter wären von den Israel Defense Forces trainiert worden; die antizionistische BDS ("Boykott, Desinvestition und Sanktionen")-Bewegung bekundete ihre Solidarität mit den antirassistischen Protesten in Ferguson; die jüdische Nation praktiziere mit den Palästinensern Apartheid nach südafrikanischem Vorbild und begehe an ihnen, besonders in Gaza, einen Genozid analog zum Holocaust. Potz Blitz: Schon hat Davis die scheinbar logische Verwandtschaft von zwei grundverschiedenen politischen Bewegungen hergestellt.

Palästinenser werden mit Schwarzen in eine Schublade gesteckt, während Israelis beziehungsweise Juden grundsätzlich mit Amerikanern paktieren würden und als Weiße gelten. Eine intakte israelische Armee und bewachte Grenzen: Hiermit verloren Juden im antirassistischen Diskurs sukzessive ihren Status als "schutzbedürftige Minderheit". Israel fungiere letztlich als Akteur der White Supremacy und Juden seien "super-weiß" situiert.

Jasbir K. Puar: Pinkwashing Terrorism

Im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer rassistischen Vereinnahmung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung und dessen Verknüpfung mit Israelhass erscheint die US-amerikanische Professorin Jasbir K. Puar als Schlüsselfigur der queerfeministischen Palästinasolidarität.

Jasbir K. Puar prägte den Begriff "Homonationalismus", um angesichts der Liberalisierung von Geschlechterrollen eine Verquickung von Sexualität und Queerness mit nationalen oder imperialen Interessen in liberalen Demokratien kritisch zu erfassen. Unter Rückgriff auf Edward Saids Orientalismus-These attestiert sie dem Westen, sich als fortschrittlich, zivilisiert und homofreundlich darzustellen, während er der MENA-Region reaktionäre, barbarische und homophobe Eigenschaften zuschreibt.

Es gelte längst nicht mehr nur die imperialistische Annahme "white men are saving brown women", sondern inzwischen auch die Darstellung des Westens als Schwulen-El-Dorado in Abgrenzung zur muslimischen Welt – nun in der aktualisierten Losung: "white men saving gay men from muslim men".

Als "pioneer of homonationalism" stigmatisiert Puar Israel, den einzigen de facto safe space für Homosexuelle im Nahen Osten. Sie identifiziert dort "Siedlerkolonialismus, Besatzung und neoliberale Beschwichtigungspolitik" als Nährboden für "die Normalisierung von Homosexualität durch Nationenbildung".5

Hier kommt der Begriff Pinkwashing ins Spiel. Puar verwendet den Begriff als Vorwurf, Israel instrumentalisiere seine progressive LGBTQ-Politik, um "siedlerkoloniale" Praktiken zu rechtfertigen und zu verschleiern. Verweise auf LGBTQ-Rechte in Israel sollten schlicht Legitimität für Militäroperationen "erkaufen".

Israel wird unabhängig von seinem Verhalten zur Zielscheibe. Egal also, ob Israel Homosexuelle schützt oder verfolgt, es gerät immer ins Kreuzfeuer der Ressentiments. Was im Umkehrschluss viel eher bedeutet, dass der LGBTQ-Diskurs von Puar und ihren Anhängern schlicht missbraucht wird, um ihren Antisemitismus "pink zu waschen".

Puar meint auch, dass LGBTQ-Personen und ihr Bedürfnis nach rechtlicher Gleichstellung im Nahen und Mittleren Osten gar nicht existieren würden. "Deren" Definition von Sexualität sei eine subtilere, nicht-westliche sogenannte Assemblage6 – Kulturrelativmus auf akademisch codiertem Niveau. Gemeinsam mit dem postkolonialen Autor Joseph Massad behauptet sie, der Westen würde die muslimische Welt einem abstrakten Monster der "gay international" unterjochen.7 Mahmud Ahmadinedschad, ehemaliger iranischer Präsident, betonte 2007 an der Columbia-Universität: "Im Iran gibt es keine Homosexuellen". Vergleichbares äußert Puar.

Queer BDS' Obsession mit dem Westen und seiner Speerspitze Israel – genährt durch Butler, Davis und Puar – verfängt jedoch nicht bei den eigentlich Protegierten, sogar nicht bei jenen, die Israel ausgesprochen feindlich gegenüberstehen. Eher dürften Puars Thesen bei erzkonservativen islamischen Eliten Anklang finden. Samira Saraya, Aktivistin der queerfeministischen, propalästinensischen Gruppe Aswat, erkennt in den Pinkwashing- und Homonationalismus-Thesen Vernachlässigungsdiskurse: Einen "Missbrauch der Besatzung als Vorwand, um unseren Kampf nicht zu unterstützen" – weitere Beispiele finden sich im Paper.

Tatsächlich ergreift Puar in ihrem Werk Terrorist Assemblages auch konkret Partei für Jihadisten, die wahrhaftig homo-, bi- oder transsexuelles Leben bedrohen. Sie konstatiert: Damals waren es queere Menschen, die in westlichen Gesellschaften als sexuell deviant, pervers, den "Volkstod" provozierend galten, heute würde der muslimische Mann zum Albtraum sexueller Abweichung und Bedrohung erklärt werden. Die Avantgarde sei ein jihadistischer Selbstmordattentäter, der durch die "Auflösung körperlicher Grenzen [und] das erotische ballistische Ereignis des Todes" westliche Identitätskonstruktionen zerstöre. Puar verklärt das suizidale Massaker zur Performance queerer Subversion.8

Fazit: Nur eine scheinbare Paradoxie

Die organisierte sexuelle Gewalt am 7. Oktober sowie die Lebensrealität von LGBTQ-Personen – ihre Sicherheit in Israel, ihre Entrechtung im traditionellen Islam und ihre prekäre Lage in den palästinensischen Gebieten – lassen die Bezeichnung "paradox" für die Queers for Palestine zunächst als zutreffend erscheinen. Doch dieser Widerspruch ist nur oberflächlich. Alles, was am 7. Oktober geschah und was davor oder danach an Antisemitismus und Islamismus im Nahen Osten und freien Westen entflammte, wurde von den Queers for Palestine gerechtfertigt – kein Interessenkonflikt, sondern die logische Konsequenz einer queerfeministischen, antiwestlichen Ideologie. Die intellektuelle Basis dieser Bewegung findet sich in den Thesen von Judith Butler, Angela Y. Davis und Jasbir K. Puar.

Butlers Subjektkritik führt in den Antizionismus: Autonomie bedeute ihr zufolge Ausschluss. Ihr Angriff auf das Partikulare – Geschlecht, sexuelle Orientierung, Nationalstaaten – verkennt, dass westliche Freiheitsrechte prinzipiell universalisiert werden können und Israel eine historisch erzwungene partikulare Notwendigkeit darstellt. Wer sich an dem jüdischen Staat stört, sollte sich die Antisemiten vorknöpfen, die das Rettungsunternehmen Zionismus erst notwendig machen.

Davis' Intersektionalität verklärt Palästinenser, PoC, Muslime und Queers zu revolutionären Subjekten im antiwestlichen Kampf gegen Israel. Das Kollektiv ist alles, das Individuum nichts. Dissidente Stimmen – etwa von LGBTQ-Palästinensern – bleiben ungehört. Ihre intersektionale Neuauflage der "antiimperialistischen" Solidarität wird so zum Steigbügelhalter für die Proxys des islamistischen Expansionismus der iranischen Ayatollahs.

Die These, dass Staaten progressive LGBTQ-Gesetze zur Imagepflege nutzen, ist nicht neu. Bei Jasbir K. Puar jedoch kippt sie ins antisemitische Verschwörungsdenken: Ihre Theorie konstruiert ein paranoides Bild vom "Kollektivjuden" Israel, der in allem was er tut oder unterlässt täuscht und manipuliert.

Antisemitismus als "intersektionale Ideologie": Judenhass speist sich stets auch aus homophoben, sexistischen, rassistischen und vereinfachend antikapitalistischen Motiven. Er fungiert als Scharnier zwischen scheinbar widersprüchlichen Weltbildern. Eine reformierte Intersektionalität müsste das anerkennen – und endlich auch die Mehrfachdiskriminierung etwa lesbischer Frauen in patriarchal-muslimischen Communities thematisieren: zwischen Anpassungsdruck in der eigenen Gruppe und Fremdzuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft.

Voraussetzung dafür? Zwei Tabubrüche:

  1. Die "unterdrückende Macht" ist nicht automatisch "weiß" oder "westlich".
  2. Kollektive Identität ist nicht per se schützenswert – oft dient sie nur als Deckmantel für Gewalt.

Über die "Palästinasolidarität" als gemeinsamen Nenner von Queerfeminismus und Islamismus hinaus deckte hpd-Autor Moritz Pieczewski-Freimuth in seinem FFGI-Working Paper auch Schnittmengen im Sexualitätsverständnis des progressiven Genderparadigmas und des islamischen Patriarchats auf. Darüber berichtet er in Teil 2.

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1 El Helou, C. (2024): Die Vordenkerin des queeren Antizionismus: Von Judith Butlers Prägung der Queer Theory zur Dekonstruktion des jüdischen Staates. In: Vukadinović, V. S. (2024): Siebter Oktober dreiundzwanzig: Antizionismus und Identitätspolitik. Querverlag 

2 Butler, J. (2013): Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus. Campus Verlag

3Horkheimer, M., Adorno, T. W. (1969). Dialektik der Aufklärung: philosophische Fragmente. Deutschland: Fischer Taschenbuch Verlag

4 Davis, A. Y. (2016a): Freedom is a constant struggle: Ferguson, Palestine, and the foundations of a movement. Haymarket Books. S. 81–91 

5 Puar, J. K. (2017). The right to maim: Debility, capacity, disability. Duke University Press 

6 Blackmer, C. E. (2022): Queering Anti-Zionism: Academic Freedom, LGBTQ Intellectuals, and Israel/Palestine Campus Activism. Wayne State University Press. 

7 https://kidoks.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/4523/file/CARS_WorkingPaper_016.pdf

8 Puar, J. K. (2007): Terrorist assemblages: Homonationalism in queer times. Duke University Press ↩︎