Muslimische Apps mit Religiositätsbarometer

Allahgorithmus der Liebe

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Es gibt heute Dating-Apps für alles und alle. Für Hundehalter, Veganer, Akademiker, Christen, Polyamoröse oder Menschen, die ihre Sternzeichenkompatibilität für wichtiger halten als ihre Hobbys. Natürlich auch für Muslime, die online nach dem oder der Richtigen suchen. Nur: Auf den muslimischen Plattformen geht es weniger um Zuneigung als um Frömmigkeit – und um soziale Kontrolle.

Christ sucht Christ, SALT oder Higher Bond wollen christliche Gläubige zusammenbringen, die eine ernsthafte Beziehung suchen. Zeugen Jehovas, Mormonen oder Buddhisten versuchen ebenso, online glücklich zu werden. Selbstverständlich tummeln sich auf dem Markt auch muslimische Apps wie Muzz, mashallah oder eCift.

Sie alle versprechen die perfekte Symbiose von Glauben und Liebe, Halal und Herzklopfen, digitaler Moderne und göttlicher Ordnung. Doch was auf den ersten Blick nach Romantik im Rahmen der Religion klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als moralisches Kontrollsystem.

Liebe mit Religiositätsbarometer

"Wie gläubig bist du?" – eine zentrale Frage, die bei Tinder niemand stellt, bei muslimischen Dating-Apps aber alles entscheidet. Ein "Religiositätsbarometer" prüft, ob fünfmal täglich gebetet, gefastet, Alkohol getrunken oder ein Kopftuch getragen wird. Das klingt harmlos, ist aber ein digitaler Glaubenstest. Der Algorithmus ist auf Frömmigkeit ausgerichtet. Das Ergebnis ist ein digitaler Heiratsmarkt, auf dem Moral wichtiger ist als Emotion. Die Apps versprechen die perfekte Balance zwischen Moderne und Tradition, zwischen Smartphone und Scharia. Doch im Kern konservieren sie Rollenbilder, die längst überholt sein sollten. Viele Profile zeigen Männer, die eine "fromme, gehorsame, familienorientierte Frau" suchen – keine, die Karriere macht, tanzt oder die eigene Meinung laut sagt. Die weibliche Tugend wird digital kuratiert, der Glaube zum Filter für Gehorsam.

So wird der Wunsch nach einer glaubensorientierten Beziehung zum trojanischen Pferd eines alten Patriarchats. "Halal Dating" klingt nach moralischer Innovation, ist aber oft nichts anderes als digitalisierte Kontrolle. Selbstverständlich gibt es auch progressive Muslime, die versuchen, Religion mit Autonomie zu verbinden und auf anderen Plattformen unterwegs sind. Die Struktur der muslimischen Apps hingegen fordert Anpassung und Unterwürfigkeit, nicht Emanzipation.

Half of My Deen – Ehe ohne Liebe

Besonders deutlich zeigt sich dieses in alten Strukturen verhaftete Denken bei der Plattform Half of My Deen, die mit dem Slogan wirbt, die "halbe Religion" – also die Ehe – endlich online zu finden. Klingt harmlos, wäre da nicht die wichtige Rolle des Wali, des männlichen Vormunds, der bei der Partnersuche mitreden, ja mitbestimmen darf. In vielen Fällen fungiert dieser "Vormund" als Vermittler, der im Vorfeld potenzielle Partner prüft, bevor eine Frau überhaupt mit ihnen kommunizieren darf.

Was in der Werbung als "Schutz" verkauft wird, ist in Wahrheit digitale Entmündigung. Die Frau wird nicht als selbstbestimmte Akteurin gesehen, sondern als eine Person, die beaufsichtigt und an einen Partner vermittelt werden muss – durch Vater, Bruder oder einen religiösen Vertreter. So reproduziert Half of My Deen ein patriarchales Rollenmodell, das mit moderner Partnerschaft nichts zu tun hat. Die App schafft ein Umfeld, in dem weibliche Autonomie zur Gefahr erklärt und männliche Vormundschaft zum göttlichen Prinzip erhoben wird. Mit Technik aus dem 21. Jahrhundert und Moralvorstellungen aus dem 7. Jahrhundert betreibt man so digitale Sittsamkeitspflege im Namen der Religion.

Silicon Valley trifft Scharia

Ironischerweise bedienen sich diese Plattformen ausgerechnet jener Technologien, die aus säkularen, westlichen Kontexten stammen – Silicon Valley trifft Scharia. Der Algorithmus sorgt für Ordnung, die Religion für Reinheit. Und während Tinder die Liebe zum Konsumgut macht, verwandelt Muzz & Co. sie in ein Prüfverfahren: Aus dem "Wie sympathisch bist du?" wird ein "Wie gottgefällig lebst du?"

Natürlich lässt sich argumentieren, dass religiöse Dating-Apps nur ein Spiegel der Gesellschaft sind: Sie zeigen, wie die Community denkt, nicht wie sie denken sollte. Doch sie tragen auch zur Verfestigung dieser Denkmuster bei. Wer ständig lernt, dass Liebe nur unter religiösen Auflagen stattfinden darf, verinnerlicht Kontrolle als Standard. So wird die digitale Welt zum verlängerten Arm der religiösen Ordnung. Hinter den Anforderungen und Frömmigkeitsskalen steckt ein Frauenbild, das kaum Platz lässt für Selbstbestimmung, Gleichberechtigung oder Zweifel. Aus einem digitalen Ort der Begegnung wird ein moralischer Ort der Abgrenzung. Man matched sich – aber nie allein. Gott, der Wali und der Algorithmus sitzen mit im Chat.

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