Glosse

Was das deutsche Stadtbild wirklich braucht

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Das Gefängnis Pul-e Charkhi am Rande Kabuls, in das afghanischstämmige Abgeschobene überführt werden.
Gefängnis Pul-e Charkhi

Den Taliban wird das afghanische Generalkonsulat in Bonn überlassen – inklusive digitaler Infrastruktur und den entsprechenden Datensätzen. Nicht nur wird das "Bonner Stadtbild" demnächst also durch Dschihadisten mit Diplomatenpass bereichert, nein: Wir händigen dem Regime willfährig sensibelste Daten über Oppositionelle und Ortskräfte aus.

Sehen Sie, ich persönlich halte Friedrich Merz' Bemerkungen zur Lage des "deutschen Stadtbilds" für nichts weiter als den unionstypischen Alltagsrassismus, mit dem wir uns schon seit der Ursuppe herumschlagen. Wenn der Bundeskanzler meint, Deutsche und Nichtdeutsche, Kriminelle und Nichtkriminelle anhand ihrer Physiognomie abgrenzen zu können, dann sagt das mehr über den Kanzler als über die Abgekanzelten. Und es sagt uns, dass Merz in bester konservativer Tradition steht. "Kinder statt Inder" hieß es früher, "Stadtbild" heißt es heute.

Wen interessiert schon, ob "die Ausländer"™ hier Steuern zahlen, wählen, ihre Kinder hier auf die Schule schicken und uns mit ihren kulinarischen Künsten verwöhnen – Deutsche werden sie ja anscheinend sowieso nicht. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich gar vorzüglich.

Ob man sich darüber also empören möchte, geschenkt. Worüber ich mich allerdings empöre – und wohl der Meinung bin, dass wir uns auf breiter Basis darüber empören sollten – ist der inhumane, despektierliche und schlicht und ergreifend betrügerische Umgang mit den afghanischen Ortskräften der Bundeswehr. Man muss sich mal vorstellen, was wir diesen Menschen angetan haben: Unter Einsatz von Leib und Leben, unter Einsatz der Sicherheit ihrer Familien, unterstützen sie das deutsche Militär, das unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen sucht (auch so ein Blödsinn für die Geschichtsbücher), mit logistischen, sprachlichen und geographischen Dienstleistungen – und zum Dank treten wir ihnen mit kruppstahl-bewehrten Stiefeln in den Allerwertesten.

Statt nämlich die vertraglich festgehaltenen Versprechungen einzuhalten, müssen diese Ortskräfte auf Einhaltung der Verträge klagen. Vor deutschen Verwaltungsgerichten. Und wenn sie letztendlich Recht bekommen, weil sie nun einmal Recht haben, tönt es nicht selten: Die Gegenleistungen seien viel zu umfangreich, der Familiennachzug viel zu großzügig, die wurden doch bezahlt. Trumpismus in seiner reinsten Form: Was interessiert mich mein Vertrag von gestern?

Dass man einen solchen Vertrag vielleicht nur deswegen eingeht, weil einem explizit garantiert wird, dass die gesamte Familie ausgeflogen wird und sich die Taliban daher nicht an irgendeiner Cousine, irgendeinem Onkel, irgendeiner Urgroßtante für die Sabotage am Heiligen Krieg rächen können, wird hier geflissentlich ignoriert. Dass man keine Ortskräfte bekommt, wenn man ihnen nicht vertraglich garantiert, dass man alles Menschenmögliche tun wird, um ihre Angehörigen vor Folter und Exekution zu bewahren, wird hier geflissentlich ignoriert.

Und jetzt setzen wir der Sache noch die Narrenkappe auf und überlassen den Taliban das afghanische Generalkonsulat in Bonn. Inklusive Serverschrank. Inklusive Abschussliste ihrer politischen Gegner*innen in ganz Europa, in Kanada und in Australien. Inklusive Personendaten unserer Ortskräfte und der Exilopposition, ihrer Familien und all jener, die vor den Taliban geflohen sind.

Die mit dem rechten Rand Liebäugelnden werden es ganz sicher zu schätzen wissen, wenn die Flagge einer staatgewordenen Terrororganisation auf einem Konsulat weht.

Die mit dem rechten Rand Liebäugelnden werden ganz sicher eine Verbesserung des "Stadtbilds" konstatieren, wenn wir Dschihadisten mit Diplomatenpässen ausstatten.

Ob ihr alle Lack gesoffen habt, hab ich gefragt. Ist eigentlich irgendjemandem in diesem Karnevalsverein namens Auswärtiges Amt bewusst, was ein Diplomatenpass ist?

Ein Diplomatenpass ist ein Persilschein, ein Dokument, das straf- und zivilrechtliche Immunität garantiert. Wir drücken also Terroristen einen Blankoscheck in die Hand, damit wir, wie Innenminister Dobrindt mehrfach bestätigte, nach Afghanistan abschieben können, wo die Ausgeflogenen nach den Gesetzen der Scharia abgeurteilt und bisweilen hingerichtet werden. Wir liefern die Menschenrechte und unsere eigenen Verbündeten ans Messer, nur damit der rechte Rand auf die Abschiebezahlen masturbieren kann.

All unsere in Afghanistan verbliebenen Ortskräfte setzen wir dadurch einem unberechenbaren Risiko aus. Auch die Ortskräfte, die sich und ihre Familie erfolgreich bis nach Deutschland geklagt haben, können auf deutschem Boden nicht mehr ruhig schlafen, denn ihre Häscher kommen per Staatsflugzeug, die Knochensäge im privilegierten Handgepäck. Es ist wahrlich eine Schande, mit welcher an Abscheu grenzenden Gleichgültigkeit wir unsere eigenen Verbündeten behandeln. Eine Schande, ein moralischer Insolvenzantrag, aber keine Überraschung. Wer Tätersprache spricht, schart Täter um sich.

Noch weht die Flagge der Taliban nicht über Bonn. Die Flagge der Islamischen Republik Afghanistan allerdings weht – der ursprünglichen Übergabevereinbarung zuwiderlaufend – auch nicht mehr.

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