Ende Mai berichtete der hpd über die schleppende Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im Bistum Hildesheim. Dort hatte sich ein Pfarrer mit seiner Kirche angelegt, während im gleichen Zeitraum beim Landgericht ein erstes gerichtliches Schmerzensgeldverfahren durch ein Missbrauchsopfer auf den Weg gebracht wurde. Nachdem es zwischenzeitlich so aussah, als würden sich die Wogen glätten, steht nun ein früherer Bischof im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Der 1988 verstorbene Würdenträger heißt Heinrich Maria Janssen und soll Kindern über Jahre hinweg höchstpersönlich sexuelle Gewalt angetan haben.
Kürzlich berichteten wir über die schleppende Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im katholischen Bistum Hildesheim. Heute geht es um die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers. Sie ist mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern die mitgliederstärkste Landeskirche in Deutschland und umfasst große Teile Niedersachsens.
Zugegeben, die Überschrift ist ein klein wenig übertrieben. Doch nur wenig. Denn das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und deren höchstes Verfassungsorgan, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hat in Erfurt beim Katholikentag bedauert, dass die Kirchen immer mehr an Bedeutung verlieren.
Das Bistum Hildesheim ist eines der flächengrößten Bistümer Deutschlands. Es verwaltet und umsorgt eine katholische Diaspora im Norden Deutschlands. Zum Bistum gehören Teile Niedersachsens und Bremens. Die geographische Einordnung ist deshalb wichtig, weil seit einigen Tagen so einiges über das Bistum Hildesheim zu lesen und zu hören ist, das auch Nichtkatholiken interessieren dürfte, denen allenfalls die Aufteilung Deutschlands in Bundesländer geläufig ist.
Seit zehn Jahren reist die Aktionsgruppe "11. Gebot" zu jedem Kirchen- und Katholikentag, um mit ihrer drei Meter hohen Moses-Figur an das "11. Gebot" zu erinnern: "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" Beim Katholikentag in Erfurt wird "Moses" durch die bekannten Skulpturen des "Hängemattenbischofs" und des "Geldhamsters" unterstützt. Sie weisen auf einen "doppelten Skandal" hin: Während die katholische Kirche noch immer Millionenzuschüsse vom Staat kassiert, werden die Opfer sexueller Gewalt im Stich gelassen.
Das Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche ist nicht neu. Zu viele Enthüllungen in der Vergangenheit sorgten dafür, dass die Institution das Thema nicht vom Tisch bekam. Kaum ein Bistum war hiervon ausgenommen. Seit 2010 beschäftigt das Thema die deutsche Öffentlichkeit. Die Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche und die Behandlung von Missbrauchsopfern blieb aber weitgehend unsichtbar. Anlass eine Zwischenbilanz zu ziehen.
In Louisiana kommt ein Priester nach Kindesmissbrauch ohne Schadenersatz davon – weil die Taten lange genug zurückliegen. Der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaates kippte im März die verlängerte Frist für Zivilklagen von Opfern sexueller Gewalt. Das erst 2021 eingeführte Gesetz (Louisiana Child Victims Act) ermöglichte den Opfern vorübergehend, die Täter juristisch zu belangen, ohne an eine Verjährungsfrist gebunden zu sein. Die Entscheidung fiel denkbar knapp aus: Vier der sieben Richterinnen und Richter votierten für die Streichung.
Die aktuelle Erklärung des Vatikan mit dem Titel "Dignitas Infinita" (Unendliche Würde) will den weltweit 1,4 Milliarden Katholiken eine Richtschnur geben, wie sie beim Thema Menschenwürde denken sollen. Wenn sich die rund 21 Millionen deutschen Katholiken daran ein Vorbild nehmen, werden sie in wichtigen politisch-gesellschaftlichen Feldern keinen leichten Stand haben. Es geht um die auch hierzulande hochaktuellen Themen Abtreibung, Leihmutterschaft, Sterbehilfe oder sexuelle Selbstbestimmung.
Im Hildesheimer "Theater für Niedersachsen" läuft ein ungewöhnliches Experiment: Es werden die Missbrauchsfälle der Kirche auf die Bühne gebracht. Karl Haucke ist Betroffener körperlicher, sexualisierter Gewalt in einem katholischen Ordensinternat. Und er steht selbst neben professionellen Schauspielerinnen und Schauspielern auf der Bühne. Nach der Premiere des Stücks am vergangenen Samstag sprach hpd-Autor Peter Kurz mit ihm über die Entstehungsgeschichte und den Hintergrund des Stücks. Und über die Reaktionen des Publikums auf diesen schweren Stoff.
Erich Scheuch geriet im Alter von fünf Jahren in die Fänge einer brutalen Erzieherin. Erst nach sieben Jahren Prügel und Demütigung wurde er erlöst. Doch das Leid verfolgt den 67-Jährigen noch heute Tag und Nacht. Peter Kurz sprach für den hpd mit dem Missbrauchsopfer.
Auch im katholischen Polen zieht der Skandal um sexuelle Gewalt in der Kirche weite Kreise. Im Mittelpunkt des aktuellsten Falles steht der Rücktritt von Andrzej Dziuba, dem Bischof von Lowicz. Dem 74-jährigen werden Versäumnisse bei der Aufarbeitung von Missbrauchsbeschuldigungen gegen Priester seiner Diözese vorgeworfen.
Die Organisation Missbrauchsopfer & Betroffene im Bistum Trier (MissBit e.V.) hat versucht, mit Bischof Stephan Ackermann eine formelle Kooperationsvereinbarung zu schließen, die die individuelle Aufarbeitung für Betroffene zum Inhalt hatte. Diese hat er jedoch abgelehnt.
Nach dem Willen des Europarats sollen europäische Überlebende von Kindesmissbrauch in staatlichen oder religiösen Institutionen Gerechtigkeit erfahren durch Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, eine offizielle Entschuldigung sowie Wiedergutmachungszahlungen.
2003 gründete der selbst ernannte Pastor Paul Nthenge Mackenzie in Kenia seine Good News International Ministries Kirche. Aus der Mini-Kirche entwickelte sich eine größere Gemeinde mit eigenem Landbesitz. Im April 2023, nach dem Hilferuf des Angehörigen zweier Kirchen-Anhängerinnen, untersuchten die Behörden das Land und fanden zahlreiche Gräber. Sektenführer Mackenzie leugnete jede Schuld. Nun steht er wegen zahlreichen Anschuldigungen vor Gericht, unter anderem Mord, Kindesmisshandlung und Terrorismus.
Die Evangelische Kirche hat sich in Sachen Missbrauch jahrelang hinter der katholischen Kirche versteckt. Eine nun veröffentlichte Studie zeigt: auch hier ging es vor allem um den Schutz der Täter. Vertuschen, Verschleiern, Verschleppen stand im Vordergrund.