(hpd) Die österreichweite Debatte um Gewalt in der Erziehung bringt bei vielen schmerzhafte Erinnerungen hoch. Ein Betroffener hat sich mit seinen Erlebnissen an den hpd gewandt.
Es hat zwei Befreiungsschläge gebraucht, bis die Gewalt gegen mich aufgehört hat. Als ich mit 15 das erste Mal zurückschlug, hörte meine Mutter auf, mich physisch zu misshandeln. Die Flucht in ein Austauschjahr in einem englischsprachigen Land ein Jahr später, ermöglicht durch eine Freundin der Familie, war der zweite Befreiungsschlag. Als ich zurückkam, hörten auch die Demütigungen auf.
Der Blick in eine andere Welt, eine gewaltfreie, hatte aus mir einen anderen Menschen gemacht. Einen, den man sich nicht mehr zu brechen traute. Geflohen war ein kleines Kind, emotional gesehen. Zurückgekehrt war ein junger Mann. Vielleicht keiner, der nach all den Jahren an Schlägen und Demütigungen vor Selbstbewusstsein strotzte. Aber niemand mehr, mit dem man es machen konnte.
Das hat mich davor bewahrt, endgültig gebrochen zu werden.
Ich wurde hunderte Male geschlagen
Ich weiß nicht, wie oft ich geschlagen wurde. Hunderte Male waren es bestimmt. Wenn ich meine Kindheit vor Augen habe, fallen mir wesentlich mehr Situationen ein, in denen ich Gewalt erfahren habe, als solche, in denen ich Liebe erlebt habe. Praktisch alle meine Erinnerungen an die frühere Kindheit haben mit Strafen zu tun, mit Prügeln, mit Beschimpfungen. Und das war der einfachere Teil meiner Kindheit.
Ich leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Mit nahezu allem, was dazu gehört. Mag sein, dass das die Erinnerungen an die Art, wie ich aufgewachsen bin, verzerrt. Mag sein, dass ich das heute als düsterer empfinde als es war. Andererseits: Bei dem, an was ich mich erinnere, stellt sich auch ohne Selbstmitleid die Frage, was an dieser Kindheit nicht düster war.
Die Karriere eines Gewaltopfers
Vielleicht war mein Pech einfach nur, dass ich meinem Großvater ähnlich sehe. Dem Vater meiner Mutter. Ein Mann, unter dem sie unbestreitbarerweise sehr gelitten haben muss. Den galt es an mir auszulöschen, herauszuprügeln, um jeden Preis zu verhindern, dass ich so würde wie er. Den Preis zahlte nicht sie. Den zahle ich.
Für meine Klassenkameraden in der Volksschule war ich das ideale Opfer. Intelligenter als sie und zutiefst verunsichert. Wenn man sich abreagieren will, wer ist besser geeignet als so einer? Nicht nur einmal lauerten sie mir auf. Nicht nur einmal steckte ich auch von ihnen Prügel ein.
Nach einer dieser Prügeleien kam ich heim. Weinend, vermutlich. Meine Mutter hatte nichts Besseres zu tun, als eine Schulkollegin anzurufen und sie zu fragen, ob ich mich gewehrt hätte. Offensichtlich hat sie Ja gesagt. Ich bekam mehrere Ohrfeigen, blutete aus der Nase. Sie wolle keinen Schläger als Sohn, schrie mich meine Mutter an. Wehren, wenn ich geschlagen werde, das ging nicht. Das war verbotene Gewalttätigkeit.
Kalte Duschen und der Gürtel
Wenn die Schläge langweilig wurden oder keinen Erfolg versprachen, worin auch immer der bestanden haben mag, setzte es “in der Ecke knien mit erhobenen Händen”. Und wehe, die Arme sanken herunter. Oder eine eiskalte Dusche. Zur “Beruhigung”, wenn ich tobte. Bis heute bekomme ich Panikattacken, wenn ich mich kalt duschen muss.
Gelegentlich gab es Schläge mit dem Gürtel. Fairerweise, um nicht über Gebühr zu dramatisieren, wenigstens nicht mit der Schnalle. Das Erschreckende ist, dass mir das, während ich diese Worte schreibe, schon wie eine Wohltat erscheint.
In die gleiche Kategorie fällt die immer wieder geäußerte Drohung, mich zu verlassen, nie wieder zu kommen. Meine Mutter verschwand bei solchen Gelegenheiten stundenlang. Irrte irgendwo in der Stadt umher. Die ersten Male versetzte mich das in tiefe Panik. Immer noch besser als die Ankündigungen ihres Vaters, sich aufzuhängen. Das rechtfertigt es nicht, das an mir zu wiederholen.
Ich schlich heim wie ein geprügelter Hund
Verboten war auch, Fehler bei einem Diktat oder einer Rechenübung in der Volksschule zu machen. Ob ich Schläge bekam, oder auch gelegentlich Fußtritte, oder mir meine Mutter beschied, ich sei ein Vollidiot und müsse wohl bald Förderunterricht besuchen, war für mich eigentlich egal. Im Idealfall durfte ich stundenlange Rechenaufgaben als Strafe machen.
Wenn ich einen oder zwei Fehler gemacht hatte, was selten genug vorkam, schlich ich heim wie ein geprügelter Hund.
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Erschreckend. Viel mehr kann ich dazu gegenwärtig nicht sagen.
Vor ca. 1 1/2 Jahren lief im TV der Film "Und alle haben geschwiegen" mit Senta Berger und dem großartigen Matthias Habich. Niederschmetternd. Ich denke, der Film trifft die Thematik exakt.
Pavlovic am Permanenter Link
Vielen Dank für diese ehrliche Beschreibung die das Schweigen bricht.
jh am Permanenter Link
Es ist schlimm. Ich bin einmal eingeschritten als es in unserer Verwandtschaft passierte.
Die Familie bekommt nach wie vor Pflegekinder geschickt. Der damals Kleine ist jetzt erwachsen und hängt selbst weitergehend drin in der Gewaltspirale. Mein großer Respekt, dass sie sich daraus befreien konnten. Die Chancen sind verschwindend, wenn alle gegen ein Kind zusammen helfen.
Heinz10 am Permanenter Link
Es ist bezeichnend, dass in der Kampagne nur Väter als Täter darstellt.
Aber wenigstens zeigt der Text, dass Mütter genauso schlimm, sogar weit schlimmer sein können,
was sie oft auch sind.