Psychothriller thematisiert "Willensfreiheit"

(hpd) Der hauptberuflich als IT-Experte arbeitende Autor Guido Kniesel (geb. 1964) hat die derzeit vieldiskutierte Frage der Willensfreiheit (“Freier Wille”) in den Mittelpunkt eines überaus spannungsgeladenen und schonungslos erzählenden Psychothrillers gestellt. Darauf spielt bereits der Titel dieses Romans an: “Kein Wille geschehe”.

In der auch in der säkularen Szene kontrovers geführten Debatte um den freien Willen – nicht nur unter Philosophen, Hirnforschern und Juristen – geht es u.a. u.a. um die begriffliche Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Entscheidung als frei angesehen werden kann.

Weitgehend einig ist man nur darin, dass eine menschliche Entscheidung folgende Bedingungen erfüllen muss, um als frei gelten zu können: Die konkrete Person muss eine Wahl zwischen Alternativen haben; sie muss anders handeln bzw. sich anders entscheiden können, als sie es tatsächlich tut. (Die Bedingung des Anders-Handeln- oder Anders-Entscheiden-Könnens.) Welche Wahl getroffen wird, muss entscheidend von der Person selbst abhängen. (Urheberschaftsbedingung) Und wie die Person handelt oder entscheidet, muss ihrer Kontrolle unterliegen. Diese Kontrolle darf nicht durch Zwang ausgeschlossen sein. (Kontrollbedingung)

Soweit der theoretische Ansatz zum Themas. Die Willensfreiheitsdebatte wird seit Jahren auch beim hpd geführt, siehe dazu einige Quellenverweise im Anhang. Aber doch eher abstrakt auf wissenschaftlichen Niveau und damit nicht unbedingt allgemeinverständlich.

Was aber, wenn sich diese Frage nun einmal ganz konkret stellen würde? Das ist der Ansatz von Guido Kniesel, der dieser Frage anhand eines fiktiven, aber durchaus möglichen Kriminalfalls nachgeht. Da geht es um einerseits um Kausalitäten von Ursache und Wirkung. Wobei die Wirkung schon selbst wieder Ursache kein kann. Und da geht es andererseits um einen äußerst raffiniert handelnden, um einen ebenso skrupellosen wie intellektuellen Täter, der für seine Morde auf Straffreiheit plädieren will, also wegen Schuldlosigkeit der Strafe nach vollbrachter Tat entgehen will.

Die Handlung selbst soll hier nur grob skizziert werden:

Gut sieben Jahren vor den aktuellen Ereignissen hat Nadine Schuster mit einem Zimmermannshammer Lara Steinbeck und deren Tochter Emma erschlagen…

Soweit zur Ursache. Es folgt die Wirkung, wobei der Zusammenhang allerdings für Leser (und auch für die Ermittler im Buch) so schnell nicht erkennbar wird.

Eines Tages werden der pensionierte Strafrichter Anton Kaltenfeld sowie der Staatsanwalt Michael Hofmann in aller Öffentlichkeit ermordet. Beiden hat der Täter in aller Öffentlichkeit die Kehle mit einem Rasiermesser durchgeschnitten. Und beiden wurde mit dem eigenen Blut “AMOR FATI” auf die Stirn geschrieben. Dies ist ein von Friedrich Nietzsche geprägter Ausdruck und bedeutet “Liebe zum Schicksal”. Die wegen der Bedeutung dieses Doppelmordes eingesetzte Sonderkommission unter Leitung des Hauptkommissars Uwe Becker tappt lange Zeit im Dunkeln.

Parallel dazu verläuft ein Erzählstrang um den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Hendrik Jansen, der als forensischer Gutachter bei Strafverfahren tätig ist. Dieser hat nach dem Tode seiner Frau bald wieder geheiratet und zwar eine deutlich jüngere Frau, Diana. Beide haben inzwischen einen Sohn, Noah. Wegen dieser neuen Ehe hatte sich Jansens Tochter Julia von ihrem Vater zurückgezogen, auch ihr Studium schleifen lassen und macht stattdessen mit ihrem Freund Marc Musik in einer Indietronic Band. Jansen selbst bearbeitet zu dieser Zeit einen neuen Fall und wird wegen des Doppelmordes auch kurz von Becker konsultiert.

Dann aber geschieht es. Diana Jansen und Noah werden auf der Fahrt in den Urlaub entführt. Jansen erhält Mails vom Entführer, nimmt diese aber nicht für voll bzw. liest sie gar nicht. Erst als die Entführung zur Gewissheit wird, erkennt er den Ernst der Lage und trifft sich mit dem Entführer, der ihn dann ebenfalls in seine Gewalt bringt. Der Entführer – das ist Richard Aichner, der sich für Jansen etwas Besonderes ausgedacht hat. Dieser soll per Webcam das Sterben seiner Familie miterleben. An dieser Stelle erkennt Jansen, was es mit dem Doppelmord und den Entführungen auf sich hat.

Dies geschieht mit einem gelungenen Kunstgriff des Autors, der in die Handlung ein psychiatrisches Gutachten über die Mörderin Nadine Schuster einführt. Jansen hat jener aufgrund des Strafgesetzparagraphen 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen attestiert.(“Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.”) Auch eine Therapie in einer geschlossenen Anstalt schien für den Gutachter ausgeschlossen, so dass die Mörderin nach einiger Zeit wieder auf freiem Fuße leben durfte.

Jetzt wird Jansen auch bewusst, wer sein Entführer Richard Aichner ist. Der war der Lebensgefährte und Vater der von Nadine Schuster Getöteten. Aichner, der danach selbst psychisch krank wurde, sann seither auf Rache. Und er machte die Schuster zum Werkzeug seiner Rache an Jansens Familie.

Jansens Tochter und Freund Marc bekommen schließlich mit, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie können Jansens Laptop “hacken” und kommen den Entführungen auf die Spur. Mittlerweile hat auch die Soko Aichner ins Visier genommen. Dennoch vermutet Hauptkommissar Becker eher Julia und Marc als die Täter für den Entführungsfall und nimmt deren Hinweise nicht ernst.

Dazwischen immer wieder Episoden um Täter und Opfer. Der Autor schont hier seine Leser absolut nicht. Schonungslos offen und in aller praktizierten Brutalität beschreibt er die körperlichen Leiden von Diana und Noah, aber auch die seelische UND körperliche Leiden Jansens. In den Disputen zwischen Aichner und Jansen geht es immer wieder um die Frage des sogenannten Freien Willens…

Schließlich gelingt es dank Marc und Julia in letzter Minute, Diana und Noah zu retten, wobei sie auch eine tote Nadine Schuster auffinden. Aichner selbst hat Jansen ins Koma geprügelt und stellt sich per Telefon bei der Kriminalpolizei. Zur Zeit des Prozesses liegt Jansen immer noch im Koma, wird aber zu Hause von Frau und Tochter gepflegt.

Aichner hatte allerdings alles so vorbereitet, dass er ebenfalls aufgrund von § 20 StGB nicht verurteilt werden könnte. Doch es gelingt, diesen Plan zu durchkreuzen. Aichner gibt aber nicht auf und schafft es dennoch, auf andere Art als psychisch krank eingestuft zu werden. Durch den Prozess hat er mitbekommen, dass Jansens Frau und Sohn überlebt haben. Er brennt darauf, letzte Rache zu nehmen. Eine Flucht aus dem Haftkrankenhaus gelingt ihm auch, er kommt sogar bis in Jansens Haus…

Ja, diese Geschichte hat es in sich: der Plot, die die Spannung haltende und sogar immer wieder steigernde Erzählweise, die überraschenden Wendungen, die diverse eingefügte Zitate von Philosophen, Schriftstellern, Naturwissenschaftlern und Juristen sowie nicht zuletzt der Fachjargon von IT-Experten…

Gerade die vielen Dialoge zum freien Willen und auch die Selbstreflexionen bzw. Monologe der Protagonisten hierzu machen das Buch interessant und sind alles andere als hölzernes Philosophieren. Sie regen zum Nachdenken an. Sie fördern zugleich die Spannung.

Und was den Roman noch so interessant macht… Kniesel lässt den Koma liegenden Jansen sprechen: wie dieser, obwohl im eigenen Körper gefangen und zu keiner Kommunikation fähig, denkend das Geschehen, die Gespräche, um ihn herum wahrnimmt und wie er denkend darauf reagiert.

Kniesels Thriller kann daher als wertvoller, als bereichernder literarischer Beitrag zur Willensfreiheits-Debatte verstanden werden. Er ist eben mehr als nur ein “Krimi”. Allerdings bietet der Autor für eine wichtige Grundfrage leider keine (säkulare) Lösung an. Diana Jansen findet nach ihrer Rettung nur im Glauben Kraft und der komatöse Jansen macht für Verbrechen allein die Abwendung der Menschen von der Kirche verantwortlich. Aber, der Autor bleibt damit dennoch Realist, denn nach wie vor glauben zu viele Menschen, dass Werte, Moral und Ethik allein kirchenchristlich bedingt seien.

 


Guido Kniesel: Kein Wille geschehe. Psychothriller. 304 S. Klappenbroschur. Edition 211 im Bookspot-Verlag. München 2014. 14,80 Euro. ISBN 978–3–95669–026–6

Quellenverweise:
Die Evolution einer Illusion
Jenseits von Gut und Böse
Das Paradigma der Unschuld