Säkularisierung in Polen

Ethikunterricht in polnischen Schulen

Seitdem gibt es also Bemühungen, ein solches Fach an den Schulen zu etablieren. Mit einigen Mitstreitern betreibst Du das Internetportal "Ethik in der Schule" für Lehrer, Eltern und Schüler. Welche Ziele verfolgt das Projekt? Was habt Ihr bisher erreicht?

Das Projekt "Ethik in der Schule" entstand im Jahre 2010. In den fünf Jahren unserer Arbeit hat sich die Anzahl der Schulen mit Ethikunterricht verzehnfacht, von leicht über 300 auf über 3000.

Wie gesagt, Ethik war von Anfang an unerwünscht in den Schulen. Man hat dieses Fach als Feind der Religion stigmatisiert. Sowohl die Eltern, die ihre Kinder zum Ethikunterricht schicken wollten, als auch die Ethiklehrer fanden keine Unterstützung und Wohlwollen seitens Schuldirektionen und Schulbehörden; nicht selten war das offene Feindschaft, besonders seitens der Religionslehrer. Und der Pfarrer gleich Religionslehrer ist in den ländlichen Schulen oft wichtiger und mächtiger als Schuldirektor und Bürgermeister, der Arbeitsgeber des Schuldirektors ist.

Wir führen unsere Arbeit in drei Richtungen:

  1. Den Lehrern die Unterrichtsunterlagen kostenlos zur Verfügung zu stellen.
  2. Die Eltern über ihre Rechte zu informieren und in den Bemühungen um Organisation der Ethik in Schulen ihrer Kinder mit Ratschlägen, mit Mustern der Korrespondenz mit Schuldirektionen und Schulbehörden etc.zu unterstützen
  3. In zahlreichen Publikationen, in Interviews in Medien, bei öffentlichen Debatten und anderen Gelegenheiten das Wesen des Fachs Ethik und die Nutzen des Ethikunterrichts für die intellektuelle Entwicklung und das selbständige Denken der Kinder zu erklären und vorzustellen.

Im vergangenen Schuljahr entschieden sich 90 Prozent der Schüler für den katholischen Religionsunterricht, 2005 waren es noch 95 Prozent. Ist das auch ein Indiz für die Säkularisierung Polens und wie hoch ist die Beteiligung am alternativen Ethikunterricht?

Warschau
Warschau, Foto: @Peter Reimann

Viele dieser Schüler würden gerne auf den Religionsunterricht verzichten, aber sie dürfen das vor ihrem 18. Lebensjahr nicht alleine entscheiden und ihre Eltern verhalten sich konformistisch. Ob das Indiz für die Säkularisierung Polens ist? Eher ein Beweis dafür, dass Religion als Schulfach immer mehr an Anerkennung verliert.

Die Religionslehrer haben meistens keine pädagogischen Kompetenzen und das Programm des Faches ist an das katholischen Dogma und die aufdringliche Katechese begrenzt. Indiz für die Säkularisierung Polens ist aber wachsende Anzahl der Gläubigen, die gegen die große Macht, die Einmischung der Kirche in die Politik und die kompromisslose Stellung der Bischöfe in Sachen wie in vitro, Abtreibung, homosexuelle Ehen, Schutz der pädophilen Verbrechen unter Geistlichen, offene Kritik des "revolutionären" Papstes und in vielen anderen sittlichen Angelegenheiten protestieren.

Ethikunterricht existiert in ca. 12 Prozent der Schulen, aber die Anzahl der Ethik-Schüler ist uns nicht bekannt. Besonders wichtig und positiv ist, dass immer mehr Schüler sowohl an Religions- als auch an Ethikunterricht teilnehmen. Von dieser Lösung/Möglichkeit wurde das Bildungsministerium von uns überzeugt. Auf diese Weise schützen die Eltern, die aus verschieden Gründen nicht bereit sind, ihr Kind aus dem Religionsunterricht herauszunehmen, die Kinder vor einseitigen religiösen Indoktrination.
 

Wer verantwortet eigentlich den Ethikunterricht, dort, wo er stattfindet?

Den Religionsunterricht verantworten die örtlichen Bischöfe. Der Ethikunterricht ist eine Waise, für den niemand einsteht.

Wie bereits gesagt, war Ethik von Anfang an ein nichtgewolltes Fach, Alibi, Feigenblatt für die Einführung des Religionsunterrichts. Das mag zwar unbescheiden klingen, aber wir (etykawszkole.pl) waren die einzigen, die den Ethiklehrern und den "ethischen" Eltern geholfen hatten und weiter helfen. Jetzt sind wir schon nicht mehr alleine und das ist fast schon eine bürgerliche “ethische” Bewegung, die die von uns unterstützten und geschulten Eltern bilden. Ich bin überzeugt, dass die Anzahl der Schulen mit Ethik systematisch wachsen wird. Auch dann, wenn PiS die Wahlen gewinnt.
 

Welche Unterstützung hat Euer Projekt von den europäischen Humanisten beim Aufbau des Faches Ethik und welche wünscht Ihr Euch noch?

Das Projekt etykawszkole.pl hätte ohne Unterstützung des HVD Berlin-Brandenburg überhaupt nicht entstehen können. Wir haben von dort zahlreiche Materialien für die Ethiklehrer mit der Genehmigung bekommen, sie zu übersetzen und kostenlos den Lehrern zu Verfügung zu stellen.

Ich muss noch eine wichtige Sache betonen: das sind Unterlagen für das Schulfach Lebenskunde, eine humanistische Ethik. Viele polnische Ethik-Lehrer haben sich an diesen Unterlagen ausgebildet. Das heißt, dass wir Charakter, Kern und Inhalte des Ethikunterrichts, als humanistische Ethik, in den polnischen Schulen entscheidend mitgestaltet haben.

Die Weltanschauungsgemeinschaften haben auf diese Weise Zugang zu den Bildungseinrichtungen bekommen. Das hat auch die Leitung der katholischen Kirche bemerkt und bekämpft Ethikunterricht noch immer. Der Bischof von der Stadt Kalisz hat sogar auf der Internetseite seiner Diözese geschrieben, dass die Teilnahme eines Kindes am Ethikunterricht identisch ist mit der Apostasie der Eltern.

Was wünschen wir uns noch? Vor allem weitere fachgerechte Unterstützung seitens HVD.

Es besteht meiner Meinung nach zur Zeit in Polen keine humanistische Organisation, die als Partner für den HVD in Frage kommen kann, mit dem wir (etykawszkole.pl) gemeinsam größere bilaterale Projekte mit HVD realisieren könnten, die der Säkularisierung des polnischen Schulwesen, der Zusammenarbeit der polnischen und deutschen Ethiklehrer etc. dienen würden.

Die bescheidenen Möglichkeiten des Redaktionsteams etykawszkole.pl erlauben uns nicht mehr, als die vom HVD erhaltenen alten und neuen Unterrichtsmaterialien den Ethiklehrern und den Eltern weiter zur Verfügung zu stellen. Wir würden auch sehr gerne die von den HVD-Lebenskundelehrern verfassten Ratschläge, Hinweise, Vorschläge, Erfahrungsberichte etc. den polnischen Jungethiklehrern zugänglich machen. Vielleicht entsteht ja beim HVD Berlin-Brandenburg ein Unterstützungs-Komitee des Projekts etykawszkole.pl.
 

Vielen Dank für das Interview. Dir und Deinem Projekt weiterhin viel Erfolg.

Das Gespräch führte Manfred Isemeyer für den hpd.