Wenn eine Heimleitung freiwillige Helfer denunziert

"Ich fühlte mich so allein gelassen."

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Flüchtlingsunterkunft Winsstraße
Flüchtlingsunterkunft Winsstraße

BERLIN. (hpd) Die Hilfe für die vielen tausend Flüchtlinge, die in Berlin eingetroffen sind, ruht zum überwiegenden Teil auf den Schultern von freiwilligen Helfern. Ohne diese Menschen, die Zeit, Sachmittel, Geld und vor allem auch Nerven aufbringen, wäre die Stadt kaum in der Lage, die Versorgung der Flüchtlinge auch nur notdürftig sicherzustellen. Umso schwerer wiegt der Vorwurf, den Betroffe gegenüber dem Humanistischen Pressedienst äußerten: freiwillige Helfer werden gemobbt, denunziert und sogar gefährdet.

Ende des vergangenen Jahres wurde im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg die Turn- und Sporthalle in der Winsstraße in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt. Knapp 200 Menschen fanden darin eine provisorische Unterkunft, etwa zwei Drittel waren vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen, 70 bis 80 der Flüchtlinge waren farsisprachige Afghanen.

Wie viele andere bot sich ein Paar an, im Flüchtlingsheim zu helfen; zumal einer der beiden Farsi (Persisch) sprach und als Dolmetscher helfen konnte. Denn das Heim war einzig auf arabischsprechende Flüchtlinge eingestellt. So wurde die Hilfe selbstverständlich gern angenommen.

Der Dolmetscher ist häufig das einzige Bindeglied zwischen den Flüchtlingen, den Freiwilligen und der Heimleitung. Freiwillige Helfer haben meist feste Bereiche, in denen sie helfen und Orte innerhalb des Heimes, an denen sie sich aufhalten. Anders Dolmetscher; sie sind im gesamten Heim unterwegs: in der Kleiderkammer ebenso wie in der Küche; im Ärzteraum und sogar bei den Flüchtlingen in ihren “Wohnräumen”. Das ist eher die Ausnahme für freiwillige Helfer, da die an sich schon kaum vorhandene Privatsphäre der Menschen respektiert wird. Allerdings werden Dolmetscher von den Flüchtlingen selbst eingeladen, “weil jemand krank ist, weil man zu irgendeinem Konflikt gerufen wird, weil jemand wieder eine Panikattacke hatte oder weil Frauen ein Gespräch im Vertrauen führen wollen.”

Im Flüchtlingsheim in der Winsstraße lief das nicht anders ab als in vergleichbaren Einrichtungen. Jedoch gab es von Beginn an Missverständnisse, die die Heimleitung nicht abzustellen bereit oder in der Lage war. So wurde den Flüchtlingen – wie es in anderen Einrichtungen Gang und Gäbe ist – nie erklärt, wer welche Rolle und Befugnisse hat. “Wer sind die Menschen, die in der Kleiderkammer oder an der Essensausgabe stehen? Woher stammen die Bekleidungen oder die Hygieneartikel, die ausgegeben werden?” Ebenso ungeklärt war, welche Rolle und Rechte ein Dolmetscher, die Sicherheitsleute oder gar die Heimleitung hat.

Durch diese fast anarchichen Zustände kam es zu gewalttätigen Übergriffen von einigen Sicherheitsleuten gegenüber den Flüchtlingen und zu Gewalt unter den Flüchtlingen selbst. Als sich hier freiwillige Helfer und Dolmetscher einmischten und die Heimleiterin darum baten, einzuschreiten, kam es zum Eklat.

Die geschlagene Frau

Eine junge afghanische Frau hatte berichtet, dass sie mit 16 Jahren zwangsverheiratet wurde und seitdem von ihrem Mann misshandelt wird. Sie erzählte weiter, dass der Mann sie und das zweijährige Kind sogar während der Flucht immer und immer wieder geschlagen hatte. Die Frau wollte sich den Gewaltausbrüchen entziehen und bat um Hilfe.

Im Gespräch mit der Heimleiterin zeigte sich diese entsetzt: “Ich bin so wütend auf solche Menschen. Warum hat sie sich nicht schon in ihrem Land getrennt? Oder auf der Flucht? Wie sollen wir das hier machen? Denkt sie nicht an alle anderen hier? Wenn sie geht, wird ihr Mann ausrasten. Vielleicht nimmt er dann ein Messer und verletzt hier andere… Daran denkt sie nicht.” Statt Mitgefühl mit einer Frau zu zeigen, die sich endlich wagen konnte, um Sicherheit zu bitten, wurde ihr eine Mitschuld zugesprochen. Auch Tage später, als die junge Mutter von ihrem Mann in der Flüchtlingsunterkunft zusammengeschlagen wurde, reagierte die Heimleiterin nicht angemessen.

Die freiwilligen Helfer sagten gegenüber dem hpd: “Wir haben immer wieder versucht, mit der Heimleitung Lösungen für die Belange der Flüchtlinge zu finden, wenn ich denn die Heimleitung wenigstens draußen während der Zigarettenpause zum Gespräch angetroffen hatte. Eine andere Möglichkeit gab sie mir ja nicht, den Zettel ‘abzuarbeiten’, der sich immer mehr mit Namen und Problemen der Menschen füllte, die sich mir anvertrauten. Das war der Leitung augenscheinlich lästig; die Flüchtlinge waren ihnen lästig.
Da stand ich mit meinem Zettel voller Probleme und fühlte mich so allein gelassen.”

Obwohl und weil die Heimleitung keinerlei Schritte unternahm, traten die freiwilligen Helfer mit der “Zentrale für Gewalt gegen Frauen” (BIG) in Verbindung und es hieß zuerst, dass die junge Afghanin in ein Frauenhaus könne. Diese Information wurde an die Heimleiterin weitergegeben. Nach vier Tagen zeigte sich die Heimleitung bereit, dieser Empfehlung zu folgen und es zu ermöglichen, die jungen Frau zum Treffpunkt zu bringen. (Da Frauenhäuser an geheimen Orten sind, müssen die Frauen ab dem Treffpunkt mit der entsprechenden Kontaktperson alleine weitergehen.) Allerdings stellte sich dann heraus, dass Frauenhäuser keine noch nicht registrierten Frauen aufnehmen, da deren Lebensunterhalt nicht durch eine Kostenübernahme gedeckt sei.

Die junge Frau wurde deshalb außerhalb des Heimes privat untergebracht und von freiwilligen Helfern vor ihrem gewalttätigen Mann versteckt. Der Mann zeigte sich anschließend autoaggressiv; er verletzte sich selbst. Das ist ein bekanntes Verhalten aus Kulturen, in denen Männer ihre “Ehre” vom “Wohlverhalten” ihrer Frauen abhängig machen. “Die Männer nehmen so gesellschaftskonform die Opferhaltung ein. Sie holen sich von den anderen Mitgliedern der Gesellschaft die Bestätigung, dass sie das Opfer sind und daher das Recht dazu haben, mit voller Härte gegen die Frau vorzugehen. Wenn sie es selbst nicht schaffen, bieten sich dann Freunde oder Familienmitglieder an, der Täterin, in ihren Augen tatsächlich die Frau, die nun die Ehre des Mannes beschmutzt hat, zu bestrafen.”

Gespräche mit der Präventionsbeauftragten der Polizei, mit Mitarbeitern vom Opferschutz der Polizei, mit der “Zentrale für Gewalt gegen Frauen” (BIG) und Leitungen anderer Flüchtlingsheime bestätigte den freiwilligen Helfern, die die junge Afghanin vor ihrem Mann in Schutz nahmen, dass diese völlig korrekt gehandelt haben. Es wurde gemeinsam entschieden, den Bewohnern des Flüchtlingsheimes in der Winsstraße noch einmal die Rolle der freiwilligen Helfer und des Dolmetschers deutlich zu machen, damit diese nicht denken, dass eine Frau als “ehrlose” böse Europäerin die junge Afghanin dazu gebracht hätte, ihren Mann zu verlassen. (Die “Schändung der Familienehre” ist in vielen Kulturen Grund zu grausamer Rache.) Es sollte damit ein klares Signal gesetzt werden, dass diese Entscheidung hierzulande als gesellschaftlich legitim gilt und vom Staat unterstützt wird. Es sollte klargestellt werden, dass das deutsche Recht den Schutz von Frauen vor Gewalt vorsieht.

Das Versagen der Heimleitung

Statt sich jedoch zu einer solchen Aufklärung bereit zu zeigen, verhängte die Heimleitung ein sofortiges Hausverbot für die beiden freiwilligen Helfer. Damit wurde wissentlich in Kauf genommen, dass der verlassene Ehemann und etliche der Heimbewohner die freiwilligen Helfer als “Schuldige” ansahen; Schuld daran, die “Familienehre” des Mannes verletzt zu haben. Und das kann für die “Schuldigen” lebensgefährlich werden.

Wie gefährlich zeigt sich in der weiteren Entwicklung: Am vergangenen Sonntag bekam die Dolmetscherin auf ihrem privaten Telefon einen Anruf aus Afghanistan. Es war der Ehemann der geschlagenen Frau, der sich bereits wieder in Afghanistan aufhielt, der: “dringend seine Frau sprechen [müsse], er hätte ihr etwas zu sagen.” Auf die Frage nach seiner Frau habe “die Heimleiterin mir gesagt, sie wisse überhaupt nichts, sie habe damit nichts zu tun.” Es sei allein die “Schuld” der freiwilligen Helfer, dass seine Frau nicht bei ihm sei.

Man kann davon ausgehen, dass die Telefonnummer von der offenbar überforderten Heimleiterin weitergegebenen wurde, weil sie sich nicht mit dem aggressiven Mann auseinander setzen wollte. Damit wurden nicht nur jegliche Abmachungen boykottiert und gegen den erklärten Willen der staatlichen Stellen gehandelt, die deutlich machen wollten, dass der Schutz der Frau vor der Gewalt durch ihren Ehemann ein gesellschaftliches Anliegen ist; viel schlimmer noch wurden die freiwilligen Helfer (und deren Familie) der Gefahr ausgesetzt, Opfer des Mannes (oder seiner Verwandten) zu werden.

Die Betroffenen fordern vom Trägers des Heimes, dem “Volkssolidarität Landesverband Berlin e.V.” mindestens eine Entschuldigung. Besser wäre jedoch eine offen geführte Aussprache, personelle Konsequenzen wegen des grob fahrlässigen und konsequent destruktiven Handelns der Heimleiterin sowie eine Rücknahme des Hausverbotes.

Kein Einzelfall

Leider sind die geschilderten Zustände: die völlige Überforderung der staatlichen Stellen, der Träger der Einrichtungen, des Sicherheitspersonals und auch der freiwilligen Helfer, kein Einzelfall. Immer wieder erfährt man von Gewalt gegen Flüchtlinge, von den unhaltbaren Zuständen im Lageso. Ohne die hervorragende Vernetzung der freiwilligen Helfer untereinander, die oft genug mitten in der Nacht noch helfen, wenn die Umstände das nötig machen, wäre das gesamte System bereits auseinander gebrochen. Der Berliner Senat ist anscheinend außerstande, mit den vielen Flüchtlingen umzugehen.

Helfer berichten, dass manche Flüchtlinge bereits 5 bis 6 Stationen in Flüchtlingsheimen verschiedener Städte hinter sich gebracht haben. Ein Flüchtling zum Beispiel wurde erstmals in München untergebracht, dann über Rostock und Schwerin nach Berlin verfrachtet. Jeweils in provisorischen Unterkünften untergebracht hat er bis heute noch keinen Asylantrag stellen können; obwohl er sich bereits seit gut 2 Monaten in Deutschland aufhält.

Zudem versagt das System auch deshalb, weil Flüchtlinge in verschiedene Kategorien eingeteilt werden: Syrische Flüchtlinge werden bevorzugt behandelt (was mehr als verständlich ist), aber mit afghanischen zusammen in Unterkünften untergebracht. Das führt immer wieder zu Spannungen und Gewalt zwischen den Flüchtlingsgruppen, da – dem Innenminister sei Dank – die Afghanen mit der Abschiebung rechnen müssen, seit ihr Heimatland als “sicher” eingestuft wurde; was die Flüchtlingen nicht verstehen, herrscht dort doch noch immer Bürgerkrieg (und ist dort sogar auch die Bundeswehr noch stationiert).

Es fehlt ein “Runder Tisch”, an dem offen und ohne Beschönigung miteinander lösungsorientiert gestritten wird. Es müssen sich endlich Ausländerbeauftragte, Sicherheitsbehörden, Frauen- und Kinderhilfsdienste, die Träger der Flüchtlingsheime und Flüchtlingshilfevereine an einen Tisch setzen. Schon allein, um zukünftig zu verhindern, dass eine überforderte Heimleiterin das Leben von freiwilligen Helfern gefährdet.