Fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, unter der behutsamen Regie der Moderatorin Bettina Rust präsentierten sich zwei nachdenkliche Juristen im Bundesministerium der Justiz zum Tag des Grundgesetzes. Man mochte fast meinen, abseits der auf allen Fernseh- und Radio-Kanälen lautstark diskutierten Detailwut mit dem Austausch von Detailwissen zum Grundgesetz haben sich zwei Diskutanten vorgenommen, daran zu erinnern, warum es überhaupt zum Grundgesetz kam und mit welcher Hypothek das damals vor siebzig Jahren eine neue Zeitenwende einläutete.
"Gerichte sind nicht dazu da, dem Volkswillen zu gefallen" – Katarina Barley im Gespräch mit Bernhard Schlink
Wohltuend erwies sich der Hinweis der Moderatorin, nicht als Juristin die Diskussion zwischen den beiden zu führen, auch wenn einige juristisch Bewanderte zu diesem Event gekommen waren, aber sicher auch in der Minderzahl waren.
Interessant allein das Zusammentreffen der beiden Juristen Barley und Schlink: er als Schriftsteller in der Öffentlichkeit kein Unbekannter, hatte er doch mit dem 'Vorleser' vor über zwanzig Jahren einen Bestseller gelandet, der auch als Verfilmung Furore machte. Sie, die Justizministerin und erste Wahl der SPD als Aushängeschild für die Europawahl ständig in der Öffentlichkeit.
Um das Ergebnis einmal vorwegzunehmen, hier treffen sich zwei Gleichgesinnte, um über das Grundgesetz, sein Zustandekommen und der Reflexion über die Gültigkeit auch nach siebzig Jahren, zu philosophieren, übrigens vor dem riesigen Bühnen-Hintergrundbild der ersten Artikel des Grundgesetzes.
Ein Blick in die Historie beim Zustandekommen des Grundgesetzes ist nicht ohne den Hintergrund der Historie Deutschlands zu begreifen, eine Aufgabe, die dem eigens zusammengesetzten Parlamentarischen Rat aufgrund einer Anordnung der Alliierten den Ministerpräsidenten der elf westlichen Länder – und Berlin, übertragen wurde.
Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schufen die Väter (nur vier Frauen gehörten dazu) des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat etwas, das sich als sehr nachhaltig erwies, obwohl es nicht für die Ewigkeiten zementiert wurde. Grundgesetz, das Wort existierte bei der Planung noch nicht, wie Katarina Barley in ihrem vorab formulierten Statement erinnerte – der zum Parlamentarischen Rat gehörende frühere Hamburger Bürgermeister hatte wohl als Erster diese Wortschöpfung benutzt, die nicht Verfassung genannt werden sollte.
Differenzen kann man das in der Diskussion auch nicht nennen, was da zustande kam, so gab es eigentlich nur zweimal unterschiedliche Ansätze über Grundgesetzartikel, die unterschiedlich gesehen wurden – so zum Beispiel die mögliche Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz und die juristische Bewertung der AfD. Letzterer Diskussionspunkt wurde von Katarina Barley deshalb anders gesehen, weil sie auf die bisher nicht mögliche Ansicht über Demokratie aufmerksam machte. Es ging um die früher bewährte Person des Alterspräsidenten bei der ersten Zusammensetzung des Bundestages. Jetzt abgeschafft:
Warum jemandem ein Forum verschaffen, der nur rein zufällig der Älteste beim Zusammentritt eines neuen Bundestages und zufällig die Rolle des Alterspräsidenten übernehmen durfte. Es hatte sich in der Vergangenheit daran eine Diskussion entwickelt, weil beim Zusammensetzen des letzten Bundestags ein AfD-Abgeordneter diese Position erhalten hätte – bei dem Geschichtsbewusstsein dieser Fraktion ein Unding.
Die Übernahme von einem Passus über die Kinderrechte war der zweite Punkt, den aber Katarina Barley als ehemalige Familienministerin anders interpretierte als Bernhard Schlink, der als ehemaliger Professor für Staatsrecht und Verfassungsrichter keinen neuerlichen Anwendungsbedarf sah. Abgeleitete Rechte für Kinder, Digitalisierung, Forderungen nach Änderungen des Grundgesetzes – die beiden Juristen verwiesen immer wieder auf die damals auch schon ausdrucksstarken Artikel des Grundgesetzes, die einige Diskussionspunkte in der Öffentlichkeit ansprachen.
Die Notwendigkeit, einige Artikel zu ändern, sei sicher schon mal gegeben, doch eine Änderung bedürfe hoher Hürden, so zum Beispiel die Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag – auch hier verhilft das Verfassungsgericht zu starken Grenzen, die nicht ohne Weiteres geändert werden können. Der Verweis der beiden Juristen auf die undemokratisch erfolgten Änderungen bei den Verfassungsgerichten in Polen und Ungarn, anstelle von Zweidrittelmehrheiten schon einfache Mehrheiten zuzulassen, zusammengesetzt von willfährigen Abnickern in diesen Ländern, ist warnendes Beispiel.
Es war – wie gesagt – eine Veranstaltung der anderen Art: Leise Töne, aber eindringlich, die nie verstummen sollen.
3 Kommentare
Kommentare
Bernd am Permanenter Link
auch interessant das 19. Karlsruher Verfassungsgespräch "Deutschland in guter Verfassung?" (26.05.19) auf Phoenix
https://www.youtube.com/watch?v=eQH-p_Ds_qs
Jörg Schönenborn mit Thomas de Maizière (CDU), Gregor Gysi (Die Linke), Angelika Nußberger (Vizepräsidentin des EuGH für Menschenrechte), Jutta Allmendinger (Sozialforscherin)
rainerB. am Permanenter Link
"Gerichte sind nicht dazu da, dem Volkswillen zu gefallen" – Katarina Barley.
Gerichte haben in der Tat keinem Volkswillen "zu gefallen", sondern diesen in Form der Gesetzesbindung sogar zu befolgen. Recht wird von Volksvertretern in Parlamenten, also mittelbar vom Volk per Gesetz gesetzt, an dessen Text Gerichte sich halten sollten, was sie leider oft genug nicht machen.
Wenn Frau Barley mit Volkswillen Alltagsstimmungen meinte, dann sollte richtigerweise auch dieses Wort verwendet werden. Denn der "Volkswille" als Ergebnis pluraler gesellschaftl. Diskussion ist in der Demokratietheorie der Volkssouveränität die oberste Gewalt und nicht mit Alltagsmeinung zu verwechseln.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Hier nur ein kurzer Kommentar zu einem der bedeutsamsten Gesetzeswerke der Bundesrepublik. Es lohnt sich immer wieder die unveräußerlichen Grundrechte unserer Verfassung, also die Artikel 1-19 plus 20 zu lesen.
Die politische Entwicklung und die Eigentumsverhältnisse haben sich nun so stark verändert, dass die Artikel 14 und 15 nach einer starken Berücksichtigung verlangen, aber nicht nach einer Veränderung oder gar Beseitigung.
Gerade die klare, verständliche knappe Darstellung der Grundrechte ermöglichen es für die meisten Bürger, auch solchen ohne juristischer Ausbildung, im täglichen Zusammenleben mit anderen Menschen und vor allem staatlichen Institutionen sich zu verteidigen, verständlich zu machen oder auch den Finger in manche staatliche Wunde zu stecken, und, das ist ganz besonders wichtig, dennoch auch konstruktiv und weiterführend zu argumentieren.
So gibt es zum Beispiel den Art. 10 (1) Post und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Dort steht aber nicht drin, dass dieser Artikel von jedermann über den Haufen geworfen werden kann, nur weil die technischen Möglichkeiten es staatlichen Institutionen sondern vor alem großen IT Firmen wie google oder Amazon es leicht machen die Hürden der Privatsphäre der Bürger zu überwinden, ja das geheime Wissen schamlos profitabel auszunutzen.
Ich hatte einen Traum: Zum 70igsten Geburtstag gäbe es für jeden einzelnen Artikel ein Fernsehspiel mit überraschender Wende und erstaunlichen Einsichten. Leider ist bisher mein Traum noch nicht in Erfüllung gegangen.