Olaf Sander zu Gast beim Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg

Berührend und erklärend

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Olaf Sander während seines Vortrags. Auf der Leinwand sieht man ein Foto seiner selbstbestimmt verstorbenen Mutter.
Olaf Sander während seines Vortrags

Am 21. April fand die mittlerweile sechste öffentliche Veranstaltung des Arbeitskreises Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg statt. Olaf Sander war mit Familie – Frau und Vierbeiner – aus Dänemark angereist, um im PFL in Oldenburg die vom SWR im Jahr 2016 gedrehte Reportage, welche die Zeit unmittelbar vor und bis zum Freitod seiner Mutter zeigt, vorzuführen und anschließend über die Erlebnisse dieser Zeit zu berichten sowie Fragen aus dem Publikum zu beantworten.

"Frau S. will sterben – Wer hilft am Lebensende?" heißt der Film, der vom berührenden Kampfgeist Ingrid Sanders bis zu ihrem selbstbestimmten Suizid und der Begleitung ihres Sohnes Olaf handelt. Durch eine Infektion mit Poliomyelitis und dem nachfolgenden Post-Polio-Syndrom (Kinderlähmung) war die inzwischen 78-jährige Ingrid Sander derart körperlich eingeschränkt, dass ohne Hilfe anziehen, waschen und sich Essen zubereiten kaum mehr möglich war.

Ingrid Sanders jahrzehntelanges Kämpfen um ihr Recht, selbstbestimmt und nach ihrer Würde aus dem Leben zu scheiden, die Beschaffung der nötigen und sicher wirksamen Medikamente und die genaue Planung gingen ihrem Freitod voraus. Der als Sterbehelfer bekannte und 2019 verstorbene Arzt Dr. Uwe-Christian Arnold half bei der Vorbereitung. Diesen Arzt an der Seite seiner Mutter zu haben war, wie Olaf Sander im Film sagt, "die beste lebensverlängernde Maßnahme" für sie. 

Ohne die Zusage dieses beeindruckenden Mannes, ihr zu helfen, wenn sie ihr Leben nicht mehr erträgt, wäre sie schon viel früher aus dem Leben gegangen. Eine anstrengende Reise in die Schweiz, um dort zu sterben, kam für sie nicht in Frage – erstens, weil sie in ihrem Umfeld und nach ihren Bedingungen sterben wollte und zweitens, weil ihr ohnehin die finanziellen Mittel für dieses teure Unterfangen fehlten.

Die Verzweiflung Olaf Sanders, die geliebte Mutter bei ihrer Erlösung zu begleiten, wurde im Film und im nachträglichen Gespräch sehr deutlich. Bis heute empfindet es der Sohn aber auch als große Ehre, seiner Mutter bei dieser letzten großen Entscheidung und der endgültigen und selbstbestimmten Handlung beigestanden zu haben.

Zu dieser Zeit galt der von Ärzteorganisationen, Kirchen und Politik durchgedrückte Paragraph 217 StGB zur Sterbehilfe. Unsinnigerweise war es nur Angehörigen erlaubt, diesen Liebesdienst zu erweisen.

Anwalt verhinderte Untersuchungshaft

Olaf Sander reagierte sehr authentisch auf die regen Fragen und Kommentare der gut fünfzig Personen, die der Einladung des Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg gefolgt waren. Sehr eindrücklich und berührend beschrieb er die Situation bei den Ermittlungen, die dem Freitod seiner Mutter nachfolgten. Noch heute ist er froh, sich im Vorfeld einen Anwalt gesucht zu haben. Dieser habe ihn in dieser schweren Zeit juristisch vertreten und ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

Bevor die Mutter starb, entfernte Olaf Sander sich von seiner Mutter, um der Anklage der damals strafbaren unterlassenen Hilfeleistung zu entgehen. So war es deshalb mit ihr und Dr. Arnold abgesprochen. Das bedauert er bis heute sehr, weil die Ermittlungsbehörden kaum hätten nachweisen können, wenn er bis zum Schluss bei ihr geblieben wäre. Zum Beweis seiner Abwesenheit ließ er sich von den Überwachungskameras eines Spielsalons filmen, gleichwohl er Spielsalons verachtet, dort aber ein sicheres Alibi bekommen konnte. Wie es ihm dort in dieser Situation zu Mute war, kann wohl jeder erahnen.

Notarztwagen, polizeiliche Ermittlungen, Anklagen und Mitnahme aufs Revier folgten wie erwartet. Der hervorragende Einsatz des zuvor informierten Anwalts verhinderte eine Untersuchungshaft, da Olaf Sander keine ladungsfähige Adresse in Deutschland hatte. Ohne diesen Anwalt wäre Olaf Sander sehr wahrscheinlich inhaftiert worden. Die endgültige Einstellung des Verfahrens erfolgte erst mehr als zwei Jahre später.

Im Film kamen auch die verantwortlichen Politiker Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) zu Wort, die den Entwurf zu Paragraph 217 StGB damals in den Bundestag eingebracht hatten, der dann 2015 – zum Entsetzen vieler Bundesbürger – als Gesetz verabschiedet wurde. Dieses war gleichzusetzen mit einer Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger. Und nun droht womöglich eine Neuauflage.

Arbeitskreis fordert zum Einsatz auf

Im Februar 2020 wurde dann vom Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass dieser Paragraph nicht mit der in unserem Grundgesetz verankerten Selbstbestimmung zu vereinbaren war. Die Verfassungsrichter erklärten das Gesetz am 26. Februar 2020 deshalb für verfassungswidrig und somit nichtig.

Aktuell liegen dem Bundestag drei neue Gesetzentwürfe vor. Mit einer Entscheidung ist noch in diesem Jahr zu rechnen. Wieder drohen große Einschränkungen – insbesondere der Entwurf um Lars Castellucci (SPD) ignoriert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in höchstem Maße.

Der Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg wird weiter informieren, kämpfen und demonstrieren und braucht dafür auch die zahlreiche Unterstützung aus der Bevölkerung. Der Arbeitskreis fordert alle Gleichgesinnten auf, vor Ort eigene Gruppen zu bilden, auf die Straße zu gehen und laut zu werden, dem Gesetzgeber somit zu zeigen, was der Wille des überwiegenden Teils der Bevölkerung ist.

Jeder hat seine eigenste Art aus dem Leben gehen zu wollen, und diese Freiheit will der Arbeitskreis mit seinen Aktionen erhalten.

Die nächste Veranstaltung findet am 3.6.2023 um 14:00 Uhr in der Mensa der Oberschule Ofenerdiek statt: Eine Theateraufführung zum Thema mit anschließender Diskussion. Nähere Informationen in Kürze auf der Internetseite des Arbeitskreises Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg.

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