Türkei

Bosporus-Universität kämpft um die Unabhängigkeit

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Studierende protestieren gegen die undemokratische Ernennung eines neuen Rektors
Studierendenproteste an der türkischen Bosporus-Universität

Die neuesten Eskalationen des türkischen Staatsapparats gegen friedlich protestierende Student:innen zeigen, dass Präsident Erdoğan sich der Universitäten zu bemächtigen versucht. Nach der Verhaftung von vier Studierenden, die Bilder der Stadt Mekka mit Pride-Insignien auf dem Campus zeigten, hetzen der Präsident und sein Innenminister mal wieder.

Im Januar begannen Studierende der Boğaziçi Üniversitesi (deutsch: Bosporus-Universität) gegen den neuen Rektor, Melih Bulu, zu demonstrieren. Grund sind dessen Mitgliedschaft in der Regierungspartei AKP, seine gute Beziehung zu Staatspräsident Erdoğan sowie Zweifel an Bulus akademischer Befähigung. An der Universität wird er als "kayyum" bezeichnet – "Zwangsverwalter".

An dieser Stelle sei erwähnt, dass Bulu von Erdoğan persönlich ins Amt gehievt wurde. Seit 2016 ist es dem türkischen Staatspräsidenten erlaubt, Rektor:innen und Professor:innen per Dekret einzusetzen, ohne sich um interne Wahlen oder Wünsche der Universitäten kümmern zu müssen. Mit Bulu hat Erdoğan nun erstmals einer etablierten, international anerkannten Universität einen Rektor aus seinem eigenen Lager "verordnet".

In einem Offenen Brief an den Präsidenten betonen die Studierenden, Bulus Einsetzung sei sicherlich legal gewesen, aber eben nicht legitim. Die Einmischung des Präsidenten in demokratisch organisierte universitäre Belange sei ein Symptom der politischen Krise, in der sich der Präsident befinde.

Trotz anfänglicher Gelöbnisse Bulus, er werde die liberale Diskussionskultur auf dem Campus tolerieren, dauerte es keine paar Wochen, bis er die Polizei dort ausschwärmen ließ. Diese riegelte das Gelände ab und verhaftete vier Personen aufgrund von Grafiken, auf denen die Kaaba in Kombination mit Regenbogenflaggen gezeigt wurde.

"Sollten wir diese abartigen LGBT, die die heilige Kaaba beschmutzen, tolerieren? Natürlich nicht", twitterte promt Suleyman Soylu, Innenminister im Kabinett Erdoğan. Twitter reagierte ebenso prompt, und zwar mit einem Warnhinweis wegen Hassrede.

Indessen wurden aus vier verhafteten Personen auf dem Campus der Bosporus-Universität binnen eines Wochenendes stattliche 159. Insgesamt sollen im Laufe der letzten Woche über 300 Menschen festgenommen worden sein, die meisten davon scheinen wieder auf freiem Fuß.

In Izmir kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, im Istanbuler Bezirk Kadıköy setzte die Polizei Tränengas und Gummigeschosse gegen Protestierende und Journalist:innen ein. Auf diesem Video ist zu sehen, wie der Journalist Kazım Kızıl, der sich in einem friedlichen Protestmarsch mitbewegt, von einem Gummigeschoss getroffen wird. Auf diesem wiederum, wie die Polizei eine Gruppe Journalist:innen in Kadıköy mit Tränengas attackiert.

Wo dieser Hass auf alles, was nicht dem fiktiven Gesetz der Heteronormativität gehorcht, herrührt, daraus macht Erdoğan keinen Hehl: "Wir werden unsere Jugend in die Zukunft tragen, nicht als LGBT-Jugend, sondern als die Jugend, die in der großartigen Vergangenheit unserer Nation existierte."

Eine verirrte, verklärte Nostalgie ist es also, die den türkischen Präsidenten antreibt. Der Mann sollte die Krawatte lockern und ein nicht von seiner eigenen Regierung zensiertes Geschichtsbuch konsultieren. Denn es scheint ihm entfallen, dass der Grund für die Brillanz der türkischen Republik in Kemal Atatürks streng säkularer Staatsräson zu finden war – und sicher nicht in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

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