Hessen: Vor Schwangeren-Beratungsstellen herrscht ab jetzt Demo-Verbot

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Lebensschützer positionieren sich mit ihren Botschaften regelmäßig auch vor Beratungsstellen, Praxen und Kliniken. Damit soll in Hessen jetzt Schluss sein.
Sogenannte Lebensschützer

Ein Erfolg für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen: In Hessen dürfen keine Mahnwachen oder Demonstrationen mehr im direkten Umfeld von Einrichtungen stattfinden, die sich um Schwangere in Konfliktsituationen kümmern. Das hat das Innenministerium erlassen. Lebensschützer sind außer sich und starten eine Petition gegen den Beschluss.

In Hessen darf rund um Beratungsstellen für ungewollt schwangere Frauen nicht mehr ohne weiteres demonstriert werden, berichtete die Frankfurter Rundschau. Einen entsprechenden Erlass tätigte das dortige Innenministerium unter der Leitung des CDU-Politikers Peter Beuth vergangene Woche. Die "Handreichung zur Lösung von Konfliktfällen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Arztpraxen und Kliniken" soll Städten und Gemeinden Rechtssicherheit geben und gelte mit sofortiger Wirkung, schrieb katholisch.de unter Berufung auf eigene Recherchen.

Wirklich konkret wird das Papier, auf das sich die berichtenden Medien berufen, nicht: Wo "Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle besteht" sind Mahnwachen und andere Kundgebungen während der Öffnungszeiten verboten. Eine 150-Meter-Schutzzone, wie sie die Gießener und Frankfurter Stadtverordnetenversammlungen gefordert hatten und wie es auch die Linksfraktion als Gesetzesentwurf in den Landtag eingebracht hatte, wird es nicht geben. Doch genau darin sieht Mathias Wagner, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, einen Vorteil: Es sei eine umfassendere Lösung, konnte man in der Frankfurter Rundschau lesen. Denn: "Die Belästigung der Frauen kann ja auch am 151. Meter ansetzen." "Das wirkt sofort", freute sich auch die Grünen-Innenpolitikerin Eva Goldbach in der Zeitung. Die Maßnahme war der weiteren Parlamentsdiskussion und damit einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren zuvorgekommen.

Die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel, die durch ihre – mittlerweile aufgehobene – Verurteilung wegen "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche bekannt wurde und sich dem Kampf gegen Paragraph 219a verschrieben hat, unterstützt den Gesetzesvorschlag der Linken. In einer Stellungnahme zu einer Expertenanhörung im Landtag schrieb sie: "Frauen wollen ja gerade eben in dieser sehr intimen und unangenehmen Situation nicht gesehen und erkannt werden. Für sie entspricht der Gang in die Praxis einem Spießrutenlaufen, in dem ja früher Verurteilte durch eine Gasse gehen mussten und Stock­schläge bekamen."

Immer wieder demonstrieren selbsternannte Lebensschützer betend und singend in direkter Umgebung von Einrichtungen wie "Pro Familia", die Schwangeren in Konfliktsituationen ergebnisoffen helfen, oder vor Arztpraxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dabei sind die Abtreibungsgegner äußerst hartnäckig und verharren im Rahmen von Aktionen wie "40 Tage für das Leben" mitunter auch über einen längeren Zeitraum dort. Sie bedrängen die Frauen mit sogenannten "Gehsteigberatungen" und versuchen, sie von einer Abtreibung oder gar dem Inanspruchnehmen der Beratung abzuhalten.

Die Reaktion des Frankfurter Ablegers von "40 Tage für das Leben" ließ nicht lange auf sich warten: "Die Kultur des Todes wird nun immer offener und aggressiver von den politischen Eliten verteidigt! Ein trauriger Tag für den demokratischen Rechtsstaat. Ein Kniefall vor dem nihilistischen Zeitgeist", steht in einem entrüsteten Post auf der zugehörigen Facebook-Seite. Hessens Innenminister habe "unter Druck" gestanden und sei außerdem "verwirrt", kann man dort lesen. Die Lebensschützer berufen sich auf Grund- und Versammlungsgesetz und prophezeien ein Einschreiten des Verwaltungsgerichts. Bei CitizenGo wurde bereits eine Onlinepetition mit dem Titel "Stoppen Sie den Maulkorb-Erlass gegen Lebensschützer!" gestartet. Bis jetzt haben knapp 5.800 Personen unterzeichnet.

Das Innenministerium als oberste Versammlungsbehörde des Landes hält diesen Eingriff in das Versammlungsrecht für "zulässig, wenn nicht sogar geboten", da es um das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen gehe. Sie hätten das Recht auf eine vertrauliche und wenn gewünscht anonyme Beratung. Eine Abwägung der Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit Dritter habe ergeben, "dass das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frauen während der Öffnungszeiten der jeweiligen Beratungsstelle überwiegt", stellte Ministeriumssprecher Marcus Gerngroß gegenüber katholisch.de klar. "Eine auf Erzeugung von Schuldgefühlen abzielende und in dieser Weise belehrende Einflussnahme, die in erster Linie die Bereitschaft der Frau einschränkt, sich der Konfliktberatung gegenüber zu öffnen", diene dagegen "weder dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes noch dem Selbstbestimmungsrecht der Frau", heißt es im Erlass. Bei Zweifeln soll aber auch im Einzelfall entschieden werden können.