Trotz innerparteilichem Unbehagen, zum Beispiel von der Vize-Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch ("Der islamische Terrorstaat Iran steht für alles, was wir bekämpfen"), warb Beckamp um Verbündete für eine pro-iranische Haltung innerhalb seiner Partei. So verbreitete Beckamp 2022 unverblümte Regime-Propaganda in Form eines weitergeleiteten Interviews mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi (verstorben am 19. Mai 2024) per Rundmail. Neben Gnauks Solidarität fand er diese auch bei den AfD-Funktionären Alexander Gauland und Eugen Schmidt, dem Iran-Berichterstatter innerhalb der AfD. Beide sprechen sich gegen westliche Einmischungen im Iran aus. Schmidt fordert Gasimporte aus der Mullah-Republik und Gauland unterzeichnete eine Anfrage zur "Sicherstellung des deutsch-iranischen Handels".
Was an dieser Stelle irritieren mag, sind die als Kontrast empfundenen, rabiat vorgetragenen islamfeindlichen Töne der AfD. Bei genauerer Betrachtung desillusionieren sie sich als Farce oder als schlichte Chiffre für Ausländerhass. Spricht man Gnauck auf die brutalen Menschenrechtsverletzungen der Islamischen Republik an, sagt er: "Wir sollten nicht Partei ergreifen und uns auf eine Seite schlagen." Und Gaulands Antwort lautet: "Islam und Islamismus sind kein Teil von Deutschland, aber natürlich Teil vieler anderer Staaten." Maximilian Krah plädiert ohnehin für eine "dezentrale Interpretation der Menschenrechte". Es ist jener als Ethnopluralismus getarnte Kulturrelativismus, der den Islamismus hierzulande als "raumfremd" empfindet, allerdings andernorts als authentischen Ausdruck der kulturellen Identität huldigt.
Strenggenommen besteht zwischen der AfD und dem Politischen Islam allerdings auch eine Interessensgemeinschaft. Der de facto islamische Staat Iran setzt mit seiner regionalen Radikalisierung des schiitischen Halbmondes US-offene arabische Staaten unter Druck und operiert gemeinsam mit den multipolaren Achsenmächten China und Russland an einer neuen Weltordnung. Diesen Machtverlust des Westens befürwortet die AfD. Beckamp gibt zu Protokoll, dass er Waffen "eher an den Iran" als an Saudi-Arabien liefern würde. 2018 twitterte der Potsdamer AfD-Politiker René Springer: "Lieber ein stabiles Mullah-Regime als ein zweites Syrien mit hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen".
Auch im Inland lässt sich ein besonderes Verhältnis der AfD zum Islam wahrnehmen, das der falschen Vorstellung von der AfD als "islamkritische" Partei trotzt. Anfang 2023 rief das Clanmitglied Ali Bumaye anlässlich der Berliner Wahl zur Stimme für die AfD auf. Am Rande einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im August 2023 in Frankfurt am Main traf eine FAZ-Reportage gar auf migrantische AfD-Unterstützer "mit Systemfrust". Mitte Juni 2023 gründete sich der AfD-nahe Verein Mit Migrationshintergrund für Deutschland. Und Anfang September 2023 führte der irantreue, schiitische YouTuber Huseyin Özoguz einen Webtalk zur Suche nach ideologischen Schnittmengen mit dem Islamwissenschaftler und AfD-Politiker Dr. Hans-Thomas Tillschneider. Zusammen fanden sie diese im Maskulinismus sowie in einer Aversion gegen sexuelle Minderheiten und einem ausgeprägten Antiamerikanismus.
Die Liaison geht noch weiter: Auf der Webseite der AfD-nahen Identitären Bewegung heißt es in einem Beitrag zur "Kritik der Islamkritik": "Der Islam ist nicht der wahre Feind. Wir selbst sind es selbst, als Subjekte des Liberalismus, der uns total durchdrungen hat." In Richtung bürgerlicher, liberaler, konservativer und linker Islamkritiker teilt die IB aus und verdeutlicht zugleich, dass ein repressiver Islam mehr mit den völkischen Akteuren gemein hat, als es dem Common Sense vielleicht bewusst ist: "Alles soll so 'toll' bleiben wie es ist. Party statt Scharia. Playboy statt Kopftuch. Barbecue statt Ramadan. Weltmarkt statt Umma. Sollte das der ideologische Unterbau der Islamkritiker sein, der sich hinter Phrasen wie 'Erhalt der freiheitlichen Grundordnung', oder 'Verteidigung der Trennung von Staat und Religion' verbirgt? (…) Es geht um die Wiedergewinnung unserer historischen, ethnischen und kulturellen Identität. Es geht um unseren eigentlichen Platz in unserer Geschichte, zu deren Zentrum wir selbst werden wollen."
Islamneid: Fixpunkt stabile Identität
Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die identitäre Rechte den Politischen Islam gewissermaßen beneidet. Die muslimischen Gegengesellschaften seien es, wo "echte Werte" noch feste Verwurzelungen finden, Assimilationsversuche abprallen und Menschen ihre "Eigentlichkeit" bewahren. Dreh- und Angelpunkt dieser Auffassung bildet das Stichwort "Identität". Bei den Muslimen finde man noch ein "unberührtes", kollektiv vermitteltes Selbstbild und das Gefühl gemeinschaftlicher Wir-Wärme, so das Credo. Die intellektuelle Rechte des völkischen Blocks ist in ihrer Theoriebildung über den deutschen Philosophen Martin Heidegger gegangen. Maximilian Krah schreibt in seinem Manifest, dass eine rechte Politik, als "Fundament" den "Bezug zur Natur" besitzt. Sie verfolgt "kein abstraktes Ideal", sondern möchte ein "natürlich gewachsenes Eigenes erreichen". Im ethnonationalistischen Weltbild besitze jedes Volk eine kulturelle Eigenart, die als naturgegeben essentialisiert und mit einem angestammten "Lebensraum" verknüpft wird. Gerade erst war es Björn Höcke, der dem bei einem Hubschrauberabsturz verunglückten iranischen Staatspräsidenten Raisi hinterhertrauert und statt eines Unfalls Kriegszusammenhänge wittert. In seinem X-Beitrag spielt sich Höcke als letzter Politiker auf, der noch wahrhaftiges Verständnis "für das Andere, kulturell Fremde" aufbringe.
Mit Heidegger gesprochen, entspräche einzig der Islam dem "So-Sein" der Menschen des Orients. Für Deutsche treffe eben anderes zu: Romantik, Germanentum und Naturverbundenheit zum Beispiel. Weil im konservativ-orthodoxen Alltagsislam patriarchale Strukturen und traditionelle Tugenden noch "intakt" erscheinen und Muslime über eine stolze, unverbrüchliche, kollektive Identität verfügen, verhalten sich Neurechte ihnen gegenüber gewissermaßen neidisch. Zur Faszination mischt sich aus Eifersucht der Hass. Momentan konkurrieren radikale Muslime und völkische Rechte um die Vorreiterposition im Wetteifern reaktionärer Krisenlösungen. Die Übereinstimmungen von Islamismus und Rechtsaußen exemplifizieren sich auch im täuschend ähnlichen Jargon: Muslim Interaktiv warnt in Hamburg vor der "Wertediktatur", Maximilian Krah weist in seinem Pamphlet auf die Gefahr des "übergriffigen Wertewestens" hin.
Missbrauch Israels
Was hervorsticht, ist das instrumentelle Verhältnis der ethnokulturellen Rechten zu Israel. Der klassische Antisemitismus ist unter der populären Rechten weitestgehend out geworden. Im letzten Jahrzehnt wurde sich maßgeblich auf das Thema Einwanderung konzentriert. Hier geraten Juden verklausuliert als "Strippenzieher" hinter der sogenannten "Ersatzmigration" ins Visier. Während klassische Neonazis, zum Beispiel von der Partei "Die Rechte", mit Parolen wie "Israel ist unser Unglück" auffallen, kennzeichnet die Neue Rechte eine missbräuchliche Indienstnahme des Judenstaates. Unter Verkennung der multikulturellen Realität wird Israel oft zum protektionistischen Bollwerk gegen den Islam stilisiert. Mit der Beobachtung "Nicht an der Seite, an der Stelle Israels wollen sie sein" dechiffriert der Autor Nikolai Schreiter pointiert den Israel-Bezug der Neurechten. Die Rechtsreaktionären haben keinen Sinneswandel zum Wohle von Juden vollzogen, sondern projizieren in Israel einzig ihre eigenen Wünsche nach einer wehrhaften Nation. Wie fassadenhaft diese Pseudo-Israelsympathie ist, förderte eine Welt-Umfrage zutage, nach der maßgeblich AfD-Wähler Deutschlands regierungsamtliche Israelunterstützung in den ersten Wochen nach dem 7. Oktober ablehnten.
Ins gleiche Horn blies auch der rechtsidentitäre Posterboy Martin Sellner. Nach dem Hamas-Massaker in Israel registrierte er Bestrebungen unter Konservativen bis Nationalen, hierzulande härter gegen judenfeindliche Migranten durchzugreifen und sie aus Deutschland zu verweisen. In einer Selbstverständigungsschrift warnte Sellner daraufhin die Neue Rechte davor, sich nicht zur "Schützenhilfe" vor den Karren Israels spannen zu lassen. Allerdings müsse "jeder metapolitische Tabubruch (…) amplifiziert" werden, um rechte Kräfte für das "Hauptziel der Rettung unserer Identität" zusammenzurotten. Kurz: Israelische Selbstverteidigung und jüdische Sicherheit werden als Themen höchstens ausgenutzt, um dem höheren Ziel einer deutsch-nationalen Monokultur näherzukommen.
Rechts-linke Querfront und westliche Eintrittspforten
Entgegen der Behauptung, Neurechte seien stumpf antimuslimisch und ewiggestrig, darf der Islam-zugeneigte, Russland-nahe und China gegenüber verständnisvolle Charakter des völkischen Rechtspopulismus nicht unterschätzt werden. Im Grunde genommen schwimmt der Höcke-Flügel voll auf der Welle der Identitätspolitik mit. Gar dem globalen Süden biedert sich die Heidegger-Rechte an. Sowohl die postkoloniale Linke als auch die geopolitisch-plurale Rechte bedauert den Zerfall von autochthonen Kulturen, sobald sie mit dem Westen in Berührung geraten. Hinsichtlich des Antiamerikanismus, der kollektivistischen Geringschätzung des Individuums und der Solidarität mit Verbrecherregimen (China, Russland und Iran) besteht eine Analogie zwischen regressiv abgebogenen Linken und Rechtsradikalen.
Identitäre Rechte möchten eine völkische Antwort auf den erodierenden Westen geben und sich dabei als selbsternannte Avantgarde vom herkömmlichen Konservatismus, der liberalen Moderne und dem Bürgertum abgrenzen. Tatsächlich befindet sich die "Freie Welt" gerade an einem Tiefpunkt ihrer globalen Attraktivität. Ökonomische Krisen, Integrationsprobleme, Fragen der inneren sowie äußeren Sicherheit und genderpolitische Zerwürfnisse lassen am zukunftsweisenden Narrativ der freien Entfaltung des Einzelnen zweifeln. Rechtidentitäre handeln hier nach dem Motto: "Was fällt, das soll man auch noch stoßen" (Friedrich Nietzsche). Die Aufgabe emanzipatorischer Kritik wäre es jedoch, den unerfüllten Freiheitsanspruch des Liberalismus auch in schweren Zeiten einzufordern und sich keinem apokalyptischen Defaitismus hinzugeben.
Am wirksamsten ließen sich AfD und Identitäre Bewegung bekämpfen, wenn man ihnen die Deutungsmacht über polarisierende Konflikte nimmt und anfängt, vor der eigenen Haustür zu kehren. Nur konsequent wäre es, wenn die Strafverfahren gegen die genannten AfD-Politiker nicht bloß vor dem Hintergrund des befürchteten Rechtsrucks bei der Europawahl passieren, sondern die Bundesregierung und das EU-Parlament sich selbst einer schonungslosen Untersuchung stellen, die herausfindet, welch mächtiges Appeasement staatsoffizielle Institutionen seit Jahrzehnten gegenüber den Gewaltherrschaften Putins, Xi Jinpings oder Khameneis betreiben und daraus ein Richtungswechsel abgeleitet wird.
1 Nachdem Krah in einem Interview mit der italienischen Zeitung La Repubblica den Nationalsozialismus relativiert hatte, darf er ab jetzt nicht mehr im EU-Wahlkampf auftreten und er verlässt den AfD-Bundesvorstand. Die extrem rechte französische Partei Rassemblement National (RN) beendete bereits am Dienstag auf Europa-Ebene die Zusammenarbeit mit der AfD. Nun zog die gesamte Rechtsaußen-Europafraktion "Identität und Demokratie" (ID) nach und schloss alle AfD-Europaabgeordneten aus der Fraktion aus. Krahs Kandidatur für die Europawahl bleibt unberührt. ↩︎
3 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Das beste, was Europa seit der Antike hervorgebracht hat, war die Aufwertung des Individuums, die Sicherung seiner Rechte und die Verhinderung von Machtmissbrauch in einer vernünftig legitimierten Demokratie.
Wir hatten in Deutschland die Diktatur des Staatschristentums, der Könige von Gottes Gnaden, des Faschismus und im Osten des Kommunismus. Unter all diesen Regimen hatten die Menschen zu leiden. Es waren nicht nur Unrechtsregime, es waren auch Regime mit zweifehafter Legitimität. Einen Staat auf nichtexistierende Geister zu gründen, ist so schlecht wie ihn auf Gewalt zu gründen. Noch jede Diktatur hat, bei aller Faszination für die Einfältigen, Leid und Verfolgung, vor allem für die Freidenkenden und meistens auch Krieg mit den Nachbarn gebracht. An der Fluchtrichtung lässt sich am besten erkennen, wo Diktatur und wo Freiheit herrschen, wo gut regiert wird und wo die Menschen terrorisiert werden, wo raffgierige Diktatoren das Volk ausbeuten und den Weltfrieden gefährden. Der Artikel muss jeden wachrütteln, der geglaubt hat, die AFD vertrete deutsche Interessen, nein, sie verrät Deutschland, indem sie Bündnisse mit den übelsten Diktaturen eingehen will.
Martin am Permanenter Link
Sehr gute Zusammenfassung, für manche werden diese paradoxe Zusammenhänge, wie das Teile der AfD Islamistenfreundlich sind, überraschend sein.
SG aus E am Permanenter Link
Um die "ethnokulturelle Rechte", gemeint ist die völkische Rechte, zu verstehen, genügt es, das Konzept des 'Ethnopluralismus' zu verstehen.
Das erklärt auch die Haltung zum Nahostkonflikt: Die Existenz Israels ist wichtig, damit die Juden dort eine Heimstatt haben (und raus aus Europa sind). Nur soll der Druck auf die Araber nicht zu groß werden – damit die ja nicht nach Deutschland kommen. Die jüdische Minderheit in Deutschland ist klein und fällt in der Regel zu wenig auf, um das Interesse der Völkischen zu wecken. Nur, wenn sie sich bemerkbar macht, folgen sofort die bekannten antisemitischen Ressentiments (oder, wenn es um religiöse 'Sonderrechte' wie Beschneiden, Schächten und Schabbat geht).
Auf der anderen Seite die Muslime: In Deutschland stören sie, weil sie a) mittlerweile viele und b) teilweise als solche erkennbar sind. Das stört die angestrebte Homogenität. Was Muslime anderswo in der Welt treiben, ist den Rechten allerdings ziemlich egal. Frei nach Goethe:
"Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten; dann kehrt man abends froh nach Haus und segnet Fried und Friedenszeiten." https://gutezitate.com/zitat/206304
Oje, jetzt habe ich Goethe misshandelt! Und mir ist schlecht geworden von diesem völkischen Denken. Mir wär's lieber, der 'hpd' würde damit weitermachen herauszuarbeiten, was Menschenwürde und Menschenrechte weltweit und im Einwanderungsland Deutschland bedeuten und wie diese gefördert werden können.