Der Exil-Tschetschene Tumso Abdurakhmanow erreicht über seine Propagandakanäle auf YouTube mehr als eine halbe Million Menschen. Viele von ihnen leben nach Ansicht von Experten in Deutschland.
Der tschetschenische Diktator und Vasall Putins, Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, kennt im Umgang mit seinen Gegnern wenig Zurückhaltung. Oppositionelle werden gefoltert, ihre Familien verschwinden spurlos, und viele von ihnen wurden ermordet. Daher wunderte es auch nicht, als mehrere deutsche Medien Ende 2022 meldeten, dass der tschetschenische Regimekritiker Tumso Abdurakhmanow offenbar in Schweden ermordet worden sei. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass Abdurakhmanow, der zeitweise auch in Deutschland gelebt haben soll, weder ermordet noch "verschwunden" war, wie eine schwedische Zeitung gemeldet hatte. Abdurakhmanow ist putzmunter und betreibt nach wie vor mehrere YouTube-Kanäle, die er unter seinem Nom de guerre Abu-Saddam al-Shishani ("Der Tschetschene, der sich Abu-Saddam nennt") führt – von denen der reichweitenstärkste 536.000 Abonnenten hat. Eine große Zahl, wenn man bedenkt, dass es gerade einmal 1,3 Millionen Tschetschenen gibt, von denen 50.000 in Deutschland leben – vor allem im Osten.
An sie, aber auch an die russischsprachige Community, wendet sich Abdurakhmanow mit seinen Videos, in denen es längst nicht nur um Kritik am Kadyrow-Regime geht. Vor allem Israel steht im Zentrum der Kritik des Exil-Tschetschenen, der nach Ansicht von Experten auch in Deutschland über zahlreiche Follower verfügt und als Influencer die tschetschenische und russischsprachige Islamistenszene bedient.
So beklagt er sich in einem Video darüber, dass bei einem Austausch Hamas-Angehörige als Gefangene und Israelis als Geiseln bezeichnet werden: "Wer ist hier eigentlich der Terrorist?", fragt er seine Zuschauer. Es werde gezielt verschwiegen, dass Israel Tausende Frauen, Kinder und Männer inhaftiert halte. Der Westen sei heuchlerisch und habe sich auf die Seite Israels geschlagen. Er zieht eine Parallele zur Wehrmacht und dem NS-Regime: Wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hätte, wäre "beiden Seiten ihre Wahrheit geblieben".
Dabei sei in diesem Konflikt alles eindeutig: "Israel ist das Böse." In der Lebenswelt seiner Zuschauer setzt er Israel mit Russland gleich – und dessen Opfer seien die Tschetschenen.
Israel ist für ihn ein "Außenposten westlicher Großmächte" im Nahen Osten und kein natürlich gewachsener Staat. Juden hätten nie in Palästina gelebt, ihre Rückkehr sei ein reiner Mythos: "Eure Vorfahren waren nie da" – im Gegensatz zu den "echten Einheimischen", den Palästinensern, die "dort geboren wurden, deren Väter und Großväter dort geboren wurden".
Die Angriffe Israels gegen die Pläne des Iran, Atomwaffen herzustellen, kommentiert er anfangs mit professionellem Respekt: "Israel hat einen gezielten, gut geplanten Schlag gegen militärische und nukleare Ziele sowie gegen zivile Atomphysiker geführt." Aber dass Physiker unter den Opfern waren, nimmt er als Beleg für die israelische Bösartigkeit: "Diese Menschen waren Zivilisten, arbeiteten aber am Atomprogramm – also, laut Israel, müssen sie sterben." Israel sei eine Art Mini-USA. Wenn Amerika weltweit der Polizist sei, dann sei Israel der Polizist im Nahen Osten – ein bei Islamisten beliebtes Bild, demnach die USA der große Satan und Israel der kleine Satan ist. "Sie bombardieren Häuser mit Mehrfamilienwohnungen – mit Zivilisten drin – und nennen das legitime Nebenschäden."
Der Auslöser des aktuellen Konflikts mit dem Iran seien die Angriffe der Hamas am 7. Oktober gewesen. Für ihn eher eine Petitesse: "Israel hat völlig überzogen reagiert, Hunderttausende getötet, und der Westen hat das alles unter dem Vorwand 'Selbstverteidigung' gerechtfertigt."
Zwar lehnt Abdurakhmanow den Iran als "aggressiv-rafiditisch" (ein abwertender sunnitischer Begriff für Schiiten) ab, aber Israel sei der Aggressor, weil es "ohne Kriegserklärung einen schweren Schlag gegen den Iran" geführt habe.
Israel vergleicht er mit Nazi-Deutschland und sagt seinen Untergang voraus: "Es gab schon mal ein Land im 20. Jahrhundert, das meinte, bestimmen zu dürfen, wem was in Europa gehört. Es endete schlecht."
Die Juden, sagt er, seien im 20. Jahrhundert verfolgt worden: "Heute verhalten sie sich wie ihre Verfolger." Der "Opferkult der Juden" verfange aber nicht mehr – die Welt sehe, dass sie nun Täter seien.
Abdurakhmanow fordert ein einheitliches globales Rechtssystem, macht aber geltend: "Der Westen entscheidet nicht nach Recht, sondern nach politischer Sympathie." Israel, die USA und ihre Verbündeten seien die "guten Jungs" – andere Staaten die Sündenböcke. Letzteres treffe vor allem auf die Muslime zu. So habe der Westen, so Abdurakhmanow, das Wort Islamismus erfunden, um Gewalt im Namen des Islams von der Religion zu entkoppeln. Für ihn ist klar: Wer den Begriff "Islamismus" verwendet, ist Teil des "Feindes". Es sei ein Kampfbegriff von Islamhassern.
"Die Anhängerschaft wird (...) den salafistischen Bestrebungen zugerechnet"
Von den Verfassungsschutzbehörden im Bund und in Nordrhein-Westfalen wollte der hpd wissen, wie sie die Szene der tschetschenischen Islamisten einschätzen. Wir fragten auch nach, ob Informationen über Tumso Abdurakhmanow vorliegen, aber die Sicherheitsbehörden geben solche Informationen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht weiter. Die Szene ist allerdings bekannt: "Innerhalb der tschetschenischen Gemeinschaft sind dem NRW-Verfassungsschutz einige miteinander vernetzte Personen bekannt, die dem 'Kaukasischen Emirat' angehörten und extremistische salafistische Ideologie teilen", erklären die nordrhein-westfälischen Behörden. "Nach den Tschetschenienkriegen (1994–1996, 1999–2001) wurde im Jahr 2007 von Doku Umarow das 'Kaukasische Emirat' ausgerufen, das sich Mitte 2015 dem sogenannten 'Islamischen Staat' angeschlossen hat." Die ideologische Ausrichtung der Anhängerschaft sei dementsprechend salafistisch geprägt. Durch die Tötung ihrer Führung sei das Kaukasische Emirat faktisch führungslos. "Die Anhängerschaft wird aus diesem Grund heute den salafistischen Bestrebungen zugerechnet und vom Verfassungsschutz beobachtet."
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die tschetschenischen Islamisten im Blick: "Innerhalb der nordkaukasischen Gemeinschaft in Deutschland sind islamistische Tendenzen feststellbar. Das BfV beobachtet salafistische und jihadistische Radikalisierungen. Ursache und Katalysator ist die Verfügbarkeit von umfangreichen russischsprachigen islamistischen und jihadistischen Propagandamaterialien, auch in den sozialen Netzwerken."
Das Bedrohungspotenzial durch jihadistisch ideologisierte Einzeltäter aus der islamistischen nordkaukasischen Szene sei daher abstrakt hoch.






